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Die Banalität des Bösen: Ein Zeichentisch bei "Topf & Söhne".

© dpa

Neuer Holocaust-Erinnerungsort: Die Ofenbauer von Erfurt

Die Erfurter Firma Topf & Söhne baute die Öfen für Auschwitz und andere Konzentrationslager. Nun ist der Firmensitz endlich ein Erinnerungsort.

Wenn der Ofenbau-Ingenieur Kurt Prüfer vor seinem Reißbrett bei Topf & Söhne stand und aus dem Fenster blickte, konnte er den Ettersberg bei Weimar sehen. Auf dessen Rückseite lag das berüchtigte Konzentrationslager Buchenwald. Bei Dunkelheit sah der Ingenieur vermutlich den Lichtschein des Lagers. Er wusste auch vom Leiden und massenhaften Sterben der Häftlinge: Schließlich war er es, der ab 1939 Krematoriumsöfen für Buchenwald entwickelte.

Damals ließ sich die Erfurter Traditionsfirma Topf & Söhne auf Geschäfte mit der SS ein. Nicht mehr Pietät und Totenwürde waren die Regeln, denen sie nun folgte. Stattdessen wurde in ihren Büros und Werkstätten „dafür gedacht, konstruiert, gerechnet und gebaut, dass Menschenleichen wie Kadaver verbrannt werden konnten“, sagt Annegret Schüle. Die Historikerin leitet den „Erinnerungsort Topf & Söhne“ im einstigen Verwaltungsgebäude der Firma, der jetzt eröffnet wurde. Mit dem Museum bekennt sich die Thüringer Landeshauptstadt zu diesem Teil ihrer Geschichte.

Die Ausstellung zeigt die erschreckende Normalität von Konstruktionszeichnungen, Rechnungen und Prämienforderungen, die das Geschäft mit der Vernichtung von Leichen für das Unternehmen war. „Stets gern für Sie beschäftigt“, steht nun in großen Lettern an der Außenfassade des Gebäudes – jene Grußformel, die man auch bei der Korrespondenz mit der SS verwendete.

Als sich die SS nach einer Ruhr-Epidemie im KZ Buchenwald wegen der Beseitigung der Leichen an Topf & Söhne wandte, wusste die Firma zu helfen. Ingenieur Prüfer konstruierte einen fahrbaren Verbrennungsofen, wie er bis dahin nur für die Vernichtung von Tierkadavern verwendet wurde. Die Zusammenarbeit, die so begann, beschreibt Historikerin Schüle kenntnisreich in ihrem gerade erschienenen Buch „Industrie und Holocaust“. Demnach entwickelte und baute die Erfurter Firma mindestens 25 Krematoriumsöfen mit 76 Brennkammern für NS-Konzentrationslager.

Es ist nicht überliefert, dass die beteiligten Ingenieure das Gewissen plagte. Ihnen ging es nur noch darum, „in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen so brennstoffsparend und spurlos wie möglich verschwinden zu lassen“, wie es Volkhard Knigge, Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, einmal formulierte.

So erdachte der Ingenieur Fritz Sander einen „kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb“. Er sei sich darüber klar, schrieb er an die Geschäftsleitung, „dass ein solcher Ofen als reine Vernichtungs-Vorrichtung anzusehen ist, dass also die Begriffe Pietät, Aschetrennung sowie jegliche Gefühlsmomente vollständig ausgeschaltet werden müssen“.

Sander reagierte mit seinem monströsen Plan auf die Leichenberge in Auschwitz. Topf & Söhne hatte inzwischen den Auftrag bekommen, die Öfen für das Vernichtungslager zu bauen. Doch dabei blieb es nicht. Das Unternehmen lieferte auch Lüftungstechnik für die Gaskammern. Damit, so sagt Historikerin Schüle, habe die Mittäterschaft der Firma eine neue Qualität erreicht. „Sie wirkte jetzt daran mit, das Töten selbst zu optimieren.“

Diese Bereitwilligkeit, sich am Terror- Regime der Nazis zu beteiligen, ist bis heute unerklärlich. Laut den Historikern gab es weder Zwang noch waren die SS-Aufträge für die Firma wirtschaftlich bedeutsam. Keiner der beteiligten Mitarbeiter soll fanatischer Nationalsozialist oder Judenhasser gewesen sein. Außer Prüfer und zwei anderen Ingenieuren wurde nach dem Krieg niemand bestraft, von Reue ist bei den Beteiligten nichts bekannt. Einer der beiden Besitzer, Ernst-Wolfgang Topf, ging nach Westdeutschland und sprach sein Leben lang von den „unschuldigen Öfen“.

„Was hätte ich getan? Das ist die Frage, die auch heute wichtig ist“, sagt Rikola- Gunnar Lüttgenau, stellvertretender Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald. Während die Verstrickung der Erfurter Firma zu DDR-Zeiten verdrängt wurde (einer der Topf-Monteure in Auschwitz, ein Kommunist, wurde gar als Verfolgter des Naziregimes anerkannt), wirkt heute der Erinnerungsort mitten in einem Wohn- und Geschäftsviertel beinahe verstörend. „Diese Irritationen muss man aushalten“, sagt Leiterin Schüle. Jüngst erst gab es heftige Diskussionen, weil eine benachbarte Bäckerei mit „ofenfrischen Brötchen“ warb. Ist das noch erlaubt oder einfach gedankenlos? Die Werbung wurde inzwischen geändert.

Die Bedeutung des „Erinnerungsortes Topf & Söhne“ reicht den Historikern zufolge weit über Erfurt hinaus. In Europa sei es der einzige erhaltene Firmensitz, an dem „die Mittäterschaft der privaten Wirtschaft am Massenmord in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern gezeigt, belegt und erinnert werden kann“, sagt Annegret Schüle. Ein Einzelfall war die Erfurter Firma freilich nicht. So lieferte auch der Berliner Konkurrent Kori dutzende KZ-Öfen. Doch die Geschichte von Kori, sagt Historikerin Schüle, „ist noch nicht erzählt“.

www.topfundsoehne.de

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