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Politik: Neues Europa, alte Gräben

NATO-GIPFEL IN PRAG

Von Christoph von Marschall

Fangen wir mit dem Unwichtigen an. Vor dem Gipfel bewegte halb Deutschland, wie der Präsident dem Kanzler begegnet. George W. Bush hat, so sagt er, Gerhard Schröder „herzlich begrüßt“ und Deutschland einen „wichtigen Freund“ genannt. Na und? Das wird in wenigen Tagen kaum noch Bedeutung haben. Die Meinungsunterschiede über den Irak bleiben, die persönlichen Verletzungen auch. Nur, ignorieren können sich zwei so wichtige Länder eben nicht.

Einen Platz in den Geschichtsbüchern verdient der Gipfel gleichwohl. Ein Jahrzehnt nach der Wende nimmt das neue Europa Gestalt an. In Prag, wo sich vor zwölf Jahren der Warschauer Pakt auflöste, hat die Allianz den Nachlass geordnet. Nach Polen, Tschechien und Ungarn 1999 wurden jetzt sieben weitere Länder eingeladen. Bis auf Russland, das Kooperationspartner bleibt, und Albanien sind alle früheren PaktStaaten von 2004 an Nato-Mitglieder. Die EU wird in drei Wochen ihre große Osterweiterung besiegeln. Sie und die Allianz bilden nun die Stabilitätsanker des ganzen Kontinents.

Das ist neu für Europa: Seine Sicherheit ist nicht mehr von innen bedroht, es ist nicht mehr auf Amerikas Schutz angewiesen, um dieser Gefahr zu begegnen. Nur bietet die innere Stabilisierung keine Garantie gegen die neuen Bedrohungen von außen. Europa hat sein Sicherheitsproblem der Jahrzehnte seit 1945 gelöst, aber noch keine Antwort auf die Herausforderung durch den Terror. Und Zweifel, ob Amerikas Antwort die richtige ist: die Bereitschaft zu militärischer – auch präventiver – Vorwärtsverteidigung.

Deshalb sieht sich Europa in Prag mit vielen alten Streitthemen neu konfrontiert: Lastenteilung im Bündnis, Amerikas technische Überlegenheit – kurzum, mit der Frage nach Europas Gewicht und Einfluss im Bündnis, aber auch in der Welt. Die Nato ist größer geworden, aber nicht mächtiger, schon gar nicht militärisch; auch nicht moderner. Ihr europäischer Pfeiler ist jetzt breiter, aber nicht tragfähiger. Amerika kann fast alles alleine, braucht allenfalls die politische Rückendeckung der Partner, wie beim Irak- Beschluss. Europa hat bestenfalls Verhinderungs-, nicht Gestaltungsmacht. Welche alternative Gesamtstrategie soll es auch anbieten, wenn ihm doch die Muskeln fehlen? Die braucht es nicht, um sie ständig einzusetzen. Sondern weil ihr Besitz Einfluss sichert – und überhaupt erst Handlungsoptionen öffnet.

Europa steht vor der Wahl, ob es die Investition in weltpolitisches Gewicht leisten will – oder gegenüber den USA weiter zurückfällt. Es ist gar nicht nötig, wie Amerika 3,8 Prozent des Sozialprodukts für Verteidigung auszugeben. Die im Bündnis vereinbarten zwei Prozent wären genug, Briten und Franzosen tun freiwillig mehr, trotz Konjunkturkrise. Deutschland verharrt – vertragsbrüchig – bei 1,5 Prozent und setzt das wenige Geld schlecht ein. Die Personalkosten der Bundeswehr verschlingen einen höheren Anteil als bei den meisten Partnern, da bleibt kaum Geld für moderne Ausrüstung.

Europa müsste weit mehr Interesse als Amerika haben, dass die Nato nicht zu einem politischen Club herabsinkt, sondern ein starker Akteur bleibt. Aber Europa steht sich selbst im Wege. Die neue Nato-Eingreiftruppe, ein US-Vorschlag, wurde zunächst skeptisch beäugt – als Konkurrenz zur EU-Eingreiftruppe. Tatsächlich leistet Amerika Geburtshilfe. Die EU ist dem Ziel, 60 000 Mann im Jahr 2003 einsatzbereit zu haben, noch nicht sehr nahe gekommen. Mit der Nato- Truppe wird es schneller gehen. Beide brauchen die gleiche neue Ausrüstung, vor allem Transportflugzeuge, sie stehen nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich. So wie Amerika und Europa das auch tun könnten. Wenn sie nur wollten.

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