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Rainer Brüderle: Als er redet, ist er wieder ganz der Alte.

© dpa

Neujahrsempfang der FDP in NRW: Alle denken nur das Eine

Eine Woche wie eine Achterbahnfahrt: Rainer Brüderle, rauf und runter. Der Neujahrsempfang der FDP in Düsseldorf ist sein erster Auftritt seit dem Vorwurf des Sexismus. Was wird er tun? Was wird er sagen?

Rainer Brüderle bleibt wie angenagelt sitzen. Er hat in der ersten Reihe neben Hans-Dietrich Genscher Platz genommen, die beiden stecken die Köpfe zusammen, aber das Gespräch scheint zuweilen zu stocken. Die Kameramänner werden durch ein blaues Band auf Abstand gehalten, so dass niemand hören kann, was der frisch ernannte Spitzenkandidat der Liberalen und der Ehrenvorsitzende zu besprechen haben; allenfalls verraten ihre Mienen, dass das Thema offenbar keinen Anlass für besondere Heiterkeit bietet. Sie schauen auch nicht hoch, als Guido Westerwelle den Ballsaal betritt, durch die Reihen schlendert, Hände schüttelt und nicht wenige umarmt, die er hier trifft.

Wie sich die Zeiten ändern. Vor einem Jahr noch war es Guido Westerwelle, der bei dem gleichen Neujahrsempfang seiner Partei einen eher zerknirschten Eindruck machte. Der von seinen Parteifreunden kritisch beäugt wurde und damit rechnen musste, dass selbst in seinem Heimatverband die Stimmung kippt. Dieser Westerwelle also versprüht heute Vormittag demonstrativ gute Laune – während sich Rainer Brüderle an die Seite von „Hans-Dietrich“ flüchtet. Hier scheint Brüderle sehnsüchtig darauf zu warten, dass die Veranstaltung beginnt, damit die Kameras abgebaut werden und er endlich aus dem Visier der Fotografen kommt. Ausgerechnet Rainer Brüderle – der joviale Rheinland-Pfälzer, der bis vor kurzem freundlich auf alle Journalisten zugegangen ist und leutselig in jede Kamera gesprochen hat. Brüderle ist verstummt, auf seinen Schultern scheint eine zentnerschwere Last zu liegen.

Es war eine Woche wie eine Achterbahnfahrt für Rainer Brüderle und seine FDP. Ein sensationeller Wahlerfolg liegt hinter ihnen, ein offener Machtkampf mit Parteichef Philipp Rösler – und diese Sache mit dem Stern. In einem in dem Magazin veröffentlichten Porträt hatte die heute 29-jährige Journalistin Laura Himmelreich von einer Begegnung mit Brüderle Anfang 2012 berichtet. Dabei soll der FDP-Politiker anzügliche Bemerkungen gemacht und ihre Hand geküsst haben. Seit diesem Tag debattiert das Land – nicht nur über Herrenwitze, sondern über Sexismus, Macht und den Geschlechterkampf im Allgemeinen.

Doch Deutschland diskutiert ohne Rainer Brüderle. Der will davon nichts wissen und huscht bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit den Sexismusvorwürfen an den Journalisten – es sind mehr da als je zuvor – schnell vorbei. Als ihn eine Frau mit Handschlag begrüßen will , wendet sich der 67-Jährige ab und verschwindet durch einen Nebeneingang. Die Eile des Spitzenkandidaten fällt auch den Liberalen auf, ihre Missbilligung gilt aber den Journalisten. „Sehen Sie doch mal die Meute“, faucht einer. Ein anderer ruft über die Köpfe hinweg: „Schweigen, was soll er sonst tun?“

Drinnen ist die Regie ohnehin ein wenig durcheinandergeraten. Das aber liegt am überraschenden Erfolg in Niedersachsen. FDP-Hoffnungsträger Christian Lindner hatte den Neujahrsempfang bewusst auf den spätestmöglichen Termin im Januar gelegt – und damit auf das Wochenende nach der Landtagswahl. Er hatte Parteichef Philipp Rösler nicht mehr eingeladen und damit einen kalkulierten Tabubruch gewagt. Linder entschied sich schon im Herbst des vergangenen Jahres, nicht Rösler, sondern Fraktionschef Rainer Brüderle als Hauptredner zu verpflichten. Rückendeckung erhielt er dabei von Hans-Dietrich Genscher, der dem neuen Jungstar der Liberalen öffentlich und nicht öffentlich bei allen möglichen Gelegenheiten zur Seite springt. Gemeinsam mit Lindner hat Genscher ein Buch geschrieben, das im März erscheint und für Lindner eine Art Ritterschlag bedeutet. Unter dem Titel „Zwei Generationen – eine Leidenschaft“ arbeiten die beiden den Freiheitsbegriff auf und wollen Antwort geben auf die Frage, was eine liberale Partei in der heutigen Zeit bewegen muss.

Als er redet, ist er wieder ganz der Alte

Brüderle atmet auf. Als Gastgeber Lindner ans Rednerpult tritt, haben Ordner die Fotografen verjagt. Der NRW-Chef begrüßt den designierten Spitzenkandidaten als „Freund, zu dem wir stehen“. Kein Wort zum Sexismusvorwurf oder Machtkampf. Dafür schiebt Lindner einen Seitenhieb auf den SPD-Konkurrenten Peer Steinbrück hinterher, „unser Spitzenkandidat wird hier ohne Honorar reden“.

Als Brüderle dann redet, ist er wieder ganz der Alte, wortgewaltig, lautstark. „Die FDP darf nicht verlernen, sich freuen zu können!“, donnert er in den Saal. Er wettert gegen den Begriff der Leihstimmen – „es gibt keine Leihstimmen, die Bürger entscheiden selbst“ – und attackiert dann die Tugendwächter bei den Grünen. „Was mir besonders auf den Keks geht, sind diese selbst ernannten Tugendjakobiner“, ruft Brüderle. Wer erwartet, dass er auf die zu schlüpfrigen Details der jüngsten Berichte anspielt, sieht sich getäuscht. Brüderle spottet über politisch-korrekte Ernährung und charakterisiert sich unter dem Gelächter und „Bravo“-Rufen der Parteifreunde als Politiker „in der mittleren Phase meines Lebens“. Ansonsten bleibt es bei der verabredeten Devise, das Thema Sexismus nicht öffentlich zu befeuern. „Sie können uns schlagen, beschimpfen, mit Dreck bewerfen, aber sie können uns unsere Überzeugungen nicht nehmen.“

Lindner, jetzt unten in der ersten Reihe, lächelt. Obwohl er und Brüderle vom Temperament her unterschiedlicher kaum sein können, haben sie sich schon vor vielen Monaten verbündet. Lindner gibt bei dem ungleichen Duo den rhetorisch begabten jungen Intellektuellen, den Vordenker gewissermaßen. Und Brüderle spielt den harten Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit, der im Bierzelt die liberale Stammkundschaft bei Laune halten kann. Lindner bereitet auch an diesem Vormittag den Boden für den Spitzenkandidaten ohne jeden Zwischenton. Brüderle soll an vorderster Front die Stimmen für die FDP einsammeln, die im Moment auf Bundesebene fehlen, um am Ende doch noch über die Fünfprozenthürde zu springen.

Der Pfälzer hat im Laufe der Jahre schon etliche Konstellationen getestet, hat in seiner Heimat sowohl mit den Christdemokraten als auch mit den Sozialdemokraten paktiert. Als Helmut Kohl in Berlin mit der FDP regierte, schmiedete Brüderle ein sozial-liberales Bündnis und hielt an der Koalition mit Kurt Beck fest. Wenn es Probleme gab, traf man sich auf einen Schoppen Wein. Beck ließ ihm als Wirtschaftsminister Freiraum, bis Brüderle 1998 in den Bundestag wechselte, wo er sich um die Wirtschaftspolitik der Liberalen kümmerte. Das Amt des Bundeswirtschaftsministers betrachtete Brüderle als die Krönung seiner Karriere. Dass ihm Rösler dieses Regierungsamt nahm, hat er bis heute nicht verwunden.

Den Namen Rösler nimmt niemand auf dem Podium in den Mund: weder Lindner noch Brüderle. Und auch bei Westerwelle spielt sein Nachfolger keine Rolle. Lindner aber lobt er als Mann der Zukunft, „geistreich, engagiert und mit starkem Kompass“. Und dann nimmt Westerwelle als Einziger zu Brüderle Stellung, indirekt jedenfalls. Und gibt die Richtung vor, wie früher. „Ich weiß, was es heißt, Spitzenkandidat der Liberalen zu sein“, hebt er an, Metall in der Stimme, „und allen Attacken des politischen Gegners und aus bestimmten Redaktionsstuben ausgesetzt zu sein“. Dann schiebt Westerwelle hinterher: „Zunächst einmal sind wir alle Menschen.“ Wer weiß das besser. Der Beifall ist ihm sicher.

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