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Berlusconi

© AP

Neuwahlen: Gründerzeit in Italien

Nach Mitte-links will jetzt auch Oppositionsführer Silvio Berlusconi eine neue Partei. Was führt der mediengewandte Machtmensch im Schilde?

Nach eineinhalb Jahren Stillstand steht Italiens Politik plötzlich kopf. Mit wachsendem Staunen registrierten Millionen politikverdrossener Italiener, wie der Vorsitzende der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, in der linken Tageszeitung "La Repubblica" ein Ultimatum an Silvio Berlusconi stellte: "Es reicht. Entweder die Koalition wechselt ihren Kurs, oder sie stirbt." Im Fernsehen verfolgten die Zuschauer ungläubig, wie der verdutzte Forza-Italia-Sprecher Fabrizio Cicchitto auf einer Parteiversammlung der Nationalen Allianz gnadenlos ausgepfiffen wurde. Und sie wurden Zeugen, wie der stets gemäßigte Christdemokrat Pier Ferdinando Casini von Berlusconi gereizt ein "Ende der Propaganda" forderte. Nationale Allianz, Lega Nord und Christdemokraten durchkreuzten Berlusconis Strategie der Neuwahlen um jeden Preis und unterbreiteten der Regierung ein Gesprächsangebot über ein neues Wahlrecht und eine Verfassungsreform.

"Auf Perückenträger und Berufspolitiker werden wir in Zukunft verzichten"

Damit eröffnen sie der italienischen Politik neue Wege – in Italiens Rechtsallianz allerdings fliegen jetzt erst recht die Fetzen. Mit einem für ihn typischen Befreiungsschlag regierte der Cavaliere am Sonntag auf die heftigen Attacken seiner Verbündeten. Er kündigte kurzerhand die Auflösung seiner Partei Forza Italia an. An ihre Stelle soll der Partito Popolare della libertà treten, die Volkspartei der Freiheit. Seinen Parteisprechern Sandro Bondi und Fabrizio Cicchitto empfahl er, der Gründung der neuen Partei tunlichst fernzubleiben: "Auf Perückenträger und Berufspolitiker werden wir in Zukunft verzichten. Die Verantwortlichen werden direkt vom Volk gewählt."

Dass sich in einem Land, dessen Regierung fast täglich der Sturz droht, ausgerechnet jene Koalition hoffnungslos zerstreitet, die in der Wählergunst über zehn Prozentpunkte vorne liegt, ist selbst für Italiens wirre politische Szenerie ein Novum. Zeitungen und Kommentatoren rätselten gestern über die Gründe für Berlusconis Coup. Will der Cavaliere einen fast unmöglichen Alleingang riskieren? Oder handelt es sich nur um ein Manöver zur Demütigung seiner Verbündeten? Weicht die Politik der permanenten Konfrontation einem Kurs des Dialogs? Was führt der mediengewandte Medienherrscher und Parteichef wirklich im Schilde?

Neuwahlen sollen Berlusconis Untergang verhindern

Eines steht fest: Nichts fürchtet Berlusconi mehr als eine Übergangsregierung, die nach Prodis Sturz eine Verfassungsreform verabschieden könnte. Denn der 71-jährige Oppositionsführer weiß nur zu gut, dass seine Chancen auf eine dritte Kandidatur für das höchste Regierungsamt von Tag zu Tag sinken. Nur bei sofortigen Neuwahlen scheint seine Rückkehr an die Macht sicher.

Seine Strategie ist zwar noch undurchsichtig, aber die Rivalen Fini und Casini sind vorerst gewarnt: Ein machtbewusster Populist wie Silvio Berlusconi lässt sich nicht aufs Abstellgleis manövrieren. Gut möglich, dass sich der Oppositionsführer jetzt mit dem neuen Vorsitzenden des Partito Democratico, Walter Veltroni, auf Verhandlungen über ein neues Wahlgesetz einlässt, das den unzähligen Kleinparteien den Garaus macht. Als Gegenleistung könnte Berlusconi auf einem Wahltermin im Herbst kommenden Jahres bestehen. Seine neue Partei kann durchaus 30 Prozent der Stimmen erreichen. Dann könnte Berlusconi mit seinen ehemaligen Bündnispartnern das tun, was er am meisten liebt: anderen seine Bedingungen diktieren.

Gerhard Mumelter[Rom]

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