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Auftritt nach stundenlangen Verhandlungen im Kanzleramt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (M, CDU), Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (l, SPD) und Ministerpräsident Reiner Haseloff (r, CDU) aus Sachsen-Anhalt.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Newsblog Flüchtlinge: Bund entlastet Länder um vier Milliarden Euro

Kanzlerin Merkel bestätigt Einigung auf Kostenverteilung und Gesetzesänderungen. Albanien, Montenegro und Kosovo sollen sichere Herkunftsländer werden. Die Entwicklungen im Newsblog.

Nicht nur Einigung in Asyl- und Flüchtlingspolitik: Die Länder erhalten auch Mittel für den Kita-Ausbau und die Familienpolitik. So sollen die freiwerdenden Mittel des Bundes aus dem vom Bundesverfassungsgericht gekippten Betreuungsgeld dafür auf die Länder verteilt werden.

Dies seien im nächsten Jahr aufgrund von Altfällen eher 310 Millionen Euro, in den Jahren 2017 und 2018 sei es nahezu eine Milliarde Euro, sagte Merkel. Die Verwendung könne von Land zu Land variieren.

Weitere sichere Herkunftsländer: Die Runde hat sich laut Kanzlerin Merkel zudem darauf verständigt, dass auch Albanien, Montenegro und das Kosovo zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt würden. Damit können die Asylverfahren beschleunigt werden. "Dieses ist von allen Anwesenden so gutgeheißen worden", sagte Merkel. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lasse ausrichten, dass er alle Beschlüsse mittrage, aber noch nicht abschließend sagen könne, ob sein Land im Bundesrat zustimme. Kretschmann regiert mit der SPD. Die Grünen haben grundsätzlich Bedenken gegen die Herkunftsregelung.

Gesamtsumme von 4 Milliarden Euro: Die SPD beziffert die Gesamtentlastung für Länder und Kommunen auf rund vier Milliarden Euro. Bei der Flüchtlingsaufnahme übernehme der Bund 2016 durch die vereinbarte Pauschale Kosten von 3,5 Milliarden Euro auf der Grundlage von 800.000 Millionen Flüchtlingen einschließlich der 350 Millionen Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Hinzu kämen 500 Millionen Euro für sozialen Wohnungsbau.

Länder zufrieden mit Gipfel-Kompromiss: "Ich bin sehr froh mit dem Ergebnis", sagte beispielsweise Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem "atmenden System", bei dem der Bund die "finanziellen Risiken übernimmt und diese Risiken nicht mehr bei den Ländern liegen". Dies hatten die Länder und Kommunen ausdrücklich gefordert, bei denen derzeit ein Großteil der Kosten für die Flüchtlingsversorgung liegt. Eine Gesamtsumme wurde zunächst nicht genannt.
Beschlossen wurden nach Angaben von Merkel auch eine Beschleunigung der Asylverfahren, eine Reduzierung von "Fehlanreizen" beispielsweise durch Sachleitungen statt Geldzahlungen sowie die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer.

Erste Details der Einigung zwischen Bund und Ländern: Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt vor Journalisten die Ergebnisse der fast fünfstündigen Beratungen im Kanzleramt vor. Der Bund wird den Ländern im kommenden Jahr über eine Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling und Monat finanziell unter die Arme greifen. Zudem beteiligt sich der Bund mit 500 Millionen Euro am sozialen Wohnungsbau und gibt 350 Millionen Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Auch das freiwerdende Betreuungsgeld komme den Ländern zugute. Unterstellt seien 800.000 Flüchtlinge und eine durchschnittliche Bearbeitungszeit der Fälle von fünf Monaten.

Diese Meldung deckt sich mit Vorabinformationen vom Nachmittag: Die Nachrichtenagentur Reuters hatte erfahren, dass der Bund für 2016 als Abschlagszahlung etwa 4,1 Milliarden Euro an die Länder überweisen werde. Grundlage dafür sei, dass der Bund pro Asylbewerber und Monat 670 Euro an die Länder überweise.

Merkel bestätigt umfangreiche Gesetzesänderungen: Bund und Länder haben sich in der Flüchtlingskrise auf eine Kostenverteilung und ein umfangreiches Paket an Gesetzesänderungen geeinigt. Das teilte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstagabend nach einem Spitzentreffen mit den Ministerpräsidenten der Länder im Kanzleramt in Berlin mit.

Dynamische Kostenbeteiligung der Bundesregierung: Die sich abzeichnenden Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern über den Umgang mit den Flüchtlingsströmen gehen nach den Worten von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow in die richtige Richtung. Der Bund wolle sich künftig dynamisch an den Kosten beteiligen, sagt der Linken-Politiker am Rande der Sitzung. Außerdem seien bürokratische Erleichterungen und eine einfachere Anerkennung von medizinischem Personal unter den Flüchtlingen geplant.

Einigung beim Flüchtlingsgipfel: Bund und Länder haben sich in der Flüchtlingskrise grundsätzlich auf eine Kostenverteilung verständigt. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstagabend aus Verhandlungskreisen des Flüchtlingsgipfels im Kanzleramt in Berlin.

Bund-Länder-Gipfel will Gesamtkompromiss beschließen: Die Beratungen zwischen Bund und Ländern über ein Maßnahmenpaket als Reaktion auf die Flüchtlingskrise befinden sich auf der Zielgeraden. Das Plenum komme jetzt zur Schlussrunde zusammen, um einen Gesamtkompromiss zu beschließen, verlautet aus Teilnehmerkreisen. Der Gipfel war mit großer Verspätung gestartet. Bereits am Nachmittag war bekannt geworden, dass der Bund des Ländern zwei zusätzliche Milliarden Euro für ihre flüchtlingspolitischen Maßnahmen in Aussicht gestellt habe.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

© Wolfgang Kumm/dpa

EU-Marine-Mission gegen Schleuser ab 7. Oktober: Der erweiterte europäische Marineeinsatz gegen Menschenschleuserbanden im Mittelmeer soll am 7. Oktober beginnen. Dies teilte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Donnerstag am Sitz der EU-Mission EUNAVFOR MED in Rom mit. Die Mission ist bisher auf das Sammeln von Informationen und die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge begrenzt. Mit der sogenannten Phase 2 können auch Schiffe von Schmugglerbanden gestoppt und zerstört sowie Verdächtige in internationalen Gewässern festgenommen werden.

Nach einem Kabinettsbeschluss vom Mittwoch voriger Woche dürfen sich bis zu 950 deutsche Bundeswehrsoldaten an dem Einsatz beteiligen. Der Bundestag muss dem neuen Mandat noch zustimmen. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Operation EUNAVFOR MED sollen im Zeitraum 1. Oktober 2015 bis 31. Oktober 2016 bei insgesamt rund 42,3 Millionen Euro liegen.

AfD führt Demonstration wegen Asylpolitik der Bundesregierung durch Dresden an: Mehrere hundert Menschen haben am Donnerstagabend auf einer Kundgebung der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD) in Dresden gegen die Asylpolitik der Bundesregierung demonstriert. Die Veranstalter sprachen von knapp 1000 Teilnehmern. Nach einem friedlichen Protestzug durch die Innenstadt ergriff die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry das Wort. Sie warf der Bundesregierung unter anderem vor, in der Flüchtlingspolitik die Kontrolle komplett verloren zu haben. Es gehe nun darum, auf der Straße mehr politischen Druck auf die Regierenden zu erzeugen.
Der Generalsekretär der sächsischen AfD, Uwe Wurlitzer, kündigte regelmäßige Demonstrationen seiner Partei gegen die aktuelle Asylpolitik überall im Freistaat an.

Bund und Ländern verhandeln weiter: Beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt wird weiter über die Details der Finanzierung der Flüchtlingskosten gerungen. Eine Arbeitsgruppe aus Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und den drei Ministerpräsidenten Horst Seehofer (Bayern), Volker Bouffier (Hessen) und Dietmar Woidke (Brandenburg) wie auch dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz tage in einem Nebenraum, verlautet aus Verhandlungskreisen.

3000 Mitarbeiter mehr fürs BAMF: Für eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge benötigt der neue Chef des Bundesamtes für Migration (BAMF), Frank-Jürgen Weise, 3000 neue Mitarbeiter. Dies trägt der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit am Abend nach Angaben eines Teilnehmers beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt vor. Diese wolle er aus der Bundesagentur rekrutieren. Die BAMF-Mitarbeiterzahl stiege damit von 3300 auf 6300.

Ungarn baut Zaun an slowenischer Grenze: Ohne Vorankündigung begannen Polizisten und Soldaten am Donnerstag, auch an der Grenze zu Slowenien einen Zaun zur Abwehr von Flüchtlingen zu bauen. Die Grenze zu Serbien ist bereits abgeriegelt, auch an den Grenzen zu Kroatien und zu Rumänien will die rechtskonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban Zäune errichten.

Noch am Donnerstag wurde eine Entscheidung des Sicherheitskabinetts in Budapest erwartet, ob die Grenze zu Kroatien vollständig gesperrt werden soll. An diesem Freitag reist Orban nach Wien, um mit seinem österreichischen Kollegen Werner Faymann über die Flüchtlingskrise zu reden. Der Sozialdemokrat hatte das Vorgehen Orbans zuletzt immer wieder scharf verurteilt.

Amnesty International kritisiert Ergebnisse des EU-Gipfels: In den Gipfelbeschlüssen gebe es nichts, "was die Lage grundlegend ändern wird", kritisierte die Menschenrechtsorganisation. Es gehe um "die Fortsetzung einer gescheiterten Strategie". So fehlten Möglichkeiten legaler Einwanderung und eine Reform des EU-Asylsystems.

Bund stellt Ländern deutliche Aufstockung der Finanzhilfen in Aussicht: Unmittelbar vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt hat der Bund eine deutliche Aufstockung seiner Finanzhilfen für die Länder in Aussicht gestellt. Im laufenden Jahr sollen den Ländern nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur zwei Milliarden Euro bereitgestellt werden - eine Verdoppelung der bisherigen Zusage. Im nächsten Jahr wolle der Bund seine Hilfe von den zuletzt zugesagten drei Milliarden Euro auf nunmehr „gut vier Milliarden Euro“ erhöhen, verlautete am Donnerstagnachmittag aus Verhandlungskreisen in Berlin. Die genaue Höhe der Zahlung für 2016 stehe noch nicht endgültig fest.

Der Beginn der Gespräche über die Neuausrichtung der deutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik verzögerte sich deutlich, da die Vorbesprechungen länger dauerten als geplant. Bund und Länder wollten bei dem Spitzentreffen ein umfangreiches Paket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beschließen. Es geht zum einen um die künftige Verteilung der Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Der Gipfel berät außerdem über ein Paket mit zahlreichen Gesetzesänderungen.

Die Ursachen der Flucht sollen endlich angegangen werden. Nicht treibt aktuell mehr Menschen nach Europa als der Bürgerkrieg in Syrien. Russland und die USA bemühen sich am Rande der UN-Generalversammlung offenbar um eine diplomatische Lösung. Die „New York Times“ berichtete am Donnerstag unter Berufung auf das Weiße Haus, am Montag oder Dienstag werde mit einem Treffen von US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin in New York gerechnet. Vom Verlauf des Gesprächs dürfte es abhängen, ob die beiden Staaten sich auf eine gemeinsame Resolution für den UN-Sicherheitsrat am kommenden Mittwoch einigen können. Nach epd-Informationen zirkulieren derzeit noch zwei unterschiedliche Entwürfe.

Mehr Kita-Pläzte nötig. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hält zehntausende zusätzliche Kita-Plätze für Flüchtlingskinder für nötig. Rechne man aktuelle Betreuungsquoten von Kindern mit Migrationshintergrund auf die aktuelle Prognose von 800.000 Flüchtlingen hoch, sei mit 68.000 Kita-Kindern zu rechnen, sagte ein Ministeriumssprecher am Donnerstag.

Der erste Integrationspunkt. Der bundesweit erste „Integration Point“ (Integrationspunkt) soll in Düsseldorf Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren. Sie sollen dort aus einer Hand alle nötigen Hilfen für die berufliche Eingliederung und Sicherung des Lebensunterhalts erhalten. Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter und Stadt Düsseldorf sind daran beteiligt. Die Bundesagentur für Arbeit dämpfte am Donnerstag bei der offiziellen Eröffnung die Erwartungen: Im ersten Jahr sei eine Vermittlungsquote von zehn Prozent realistisch. Die Arbeitslosigkeit werde durch die aktuelle Zuwanderung bundesweit voraussichtlich um 130.000 Jobsuchende steigen.

Ein Flüchtlings-Kind in Hanau. Die Welle an Menschen aus Krisengebieten reißt nicht ab.
Ein Flüchtlings-Kind in Hanau. Die Welle an Menschen aus Krisengebieten reißt nicht ab.

© Reuters

Rekordzahlen. Ungarns Polizei hat am Mittwoch 10.046 neu angekommene Flüchtlinge gezählt. Das teilte die Behörde am Donnerstag auf ihrer Homepage mit. Dies ist für einen einzigen Tag ein absoluter Rekord. Sichtbar sind diese Flüchtlinge in Ungarn derzeit kaum, weil sie offenbar in organisierter Form von der kroatisch-ungarischen Grenze zur ungarisch-österreichischen Grenze gebracht werden. Seit der Abriegelung der ungarisch-serbischen Grenze nehmen die meisten Flüchtlinge den Umweg über Kroatien, um über Ungarn nach Westeuropa zu gelangen. Ungarn will demnächst auch die Grenze zu Kroatien sperren.

Ein prägnanter Satz der Regierungserklärung: „Unser Umgang mit der aktuellen Krise wird unseren Kontinent auf lange Sicht prägen“, sagte Angela Merkel. Die EU bilde eine Werte-, Rechte- und Verantwortungsgemeinschaft, betonte die Kanzlerin im Bundestag. Es gelte in Europa Mindeststandards einzuhalten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und bei Asylverfahren. Dies sei „derzeit an den EU-Grenzen nicht immer gegeben“, so Merkel. Eine Bekämpfung der Fluchtursachen werde nur gemeinsam mit den USA, Russland und den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens möglich sein.

Merkel wiederholt ihr Mantra: "Wir schaffen das." Die Kanzlerin beendet ihre Rede mit ihrer Version des Obama-Leitspruchs "Yes we can".

The world is not enough. Merkel hebt die Krise um Flüchtlinge und eine erstarrte Weltgemeinschaft noch weiter an und sagt: "Noch nie stand die Menschheit vor so großen gemeinsamen Aufgaben."

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung

© Reuters/Hannibal Hanschke

Gemeinsame Linie der Europäer? Die Mitglieder der Gemeinschaft schienen zuletzt uneinig und zerstritten wie sonst nur eine Großfamilie es sein kann. In Ihrer Rede betont Merkel aber vor allem das Wissen aller um die Notwendigkeit der Kooperation. Die Kanzlerin will nicht mit zu scharfer Rhetorik die europäischen Partner vergraulen. Doch auch sie weiß: Von einer einheitlichen Position sind die Länder Europas sehr weit entfernt.

Die Kanzlerin fordert ein "dauerhaftes Verfahren" für Verteilung der Flüchtlinge. Diese Sätze sind sicherlich an die Osteuropäer gerichtet: Merkel ist eine Verteilung von 120.000 Flüchtlingen auf freiwilliger Basis nicht genug. Ein dauerhafter Verteilungsmechanismus, gegen den Länder wie die Slowakei entschiedensten Widerstand angekündigt haben, sei dringend nötig. Zumindest bei der Feststellung, dass die Flüchtlingskrise eine gesamteuropäische Aufgabe ist, seien sich die EU-Regierungschefs auch einig, betont Merkel.

Merkel widmet ihre Regierungserklärung dem Thema Flüchtlinge. Die Kanzlerin spricht... über die Integration von Menschen, die in Deutschland bleiben wollen, aber auch um die "schnelle Rückführung" von Menschen ohne Bleibeperspektive. Merkel macht deutlich, dass das Erlenen der deutschen Sprache ein integraler Bestandteil für das Ankommen ist.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen)
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen)

© dpa/Marijan Murat

Kretschmann will Pauschale: Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält es für angemessen, dass der Bund den Ländern künftig pro Flüchtling eine Pauschale von 10.000 Euro zahlt. Das sei „der richtige Weg“, sagte Kretschmann vor dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am Donnerstag dem SWR. Bisher beteilige sich der Bund gerade mal zwischen fünf und zehn Prozent an den Kosten der Länder für die Flüchtlinge. Das reiche nicht aus.

Kretschmann forderte außerdem, dass Deutschland legale Arbeits- und Ausbildungskorridore für Menschen aus den Westbalkan-Ländern öffnet. Dies sei der wichtigste Punkt für ihn, den die Teilnehmer des Flüchtlingsgipfels beschließen müssten. Wenn man sich auf solche Korridore festlege, dann könne er sich auch vorstellen zuzustimmen, dass weitere Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt würden. Man müsse den Menschen von dort zeigen können, dass sie trotzdem eine Möglichkeit haben, legal nach Deutschland zu kommen. Kretschmann betonte, dass der deutsche Arbeitsmarkt solche Zuwanderer gut gebrauchen könne.

EU legt Streit erst einmal bei: Die EU-Staaten haben bei einem Krisengipfel ihren wochenlangen Streit über den Kurs in der Flüchtlingspolitik vorerst beigelegt. Die Spannungen seien zwar nicht verschwunden, hätten aber bei dem Spitzentreffen nicht wirklich eine Rolle gespielt, resümierte der französische Staatspräsident François Hollande am frühen Donnerstagmorgen nach rund siebenstündigen Beratungen in Brüssel.

Die EU-Staaten hatten sich erst unmittelbar vor dem Gipfel nach langen Auseinandersetzungen auf die Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen geeinigt. Dabei wurden Rumänien, Tschechien, die Slowakei und Ungarn überstimmt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Krisengipfel mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Krisengipfel mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

© AFP/Alain Jocard

Im größten Flüchtlingsdrama seit dem Zweiten Weltkrieg nehmen die Europäer nun Milliarden in die Hand, um der Lage zu begegnen. Mit dem Geld wollen sie ihre gemeinsamen Außengrenzen besser sichern und schutzbedürftigen Menschen in Krisengebieten helfen. „Wir müssen unsere Politik offener Türen und Fenster korrigieren“, sagte Gipfelchef Donald Tusk. „Das Chaos an unseren Außengrenzen muss ein Ende nehmen.“ Die EU gibt eine Milliarde Euro zusätzlich zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes. Das Geld soll etwa an das UN-Welternährungsprogramm WFP und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fließen. Dem WFP fehlt Geld; die Organisation musste ihre Unterstützung für Flüchtlinge kürzen, was teilweise zu Engpässen in Lagern führte. Der EU-Sondergipfel beschloss auch, bis Ende November in Italien und Griechenland Registrierungszentren („Hotspots“) für Flüchtlinge einzurichten. Nach Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat auch Bulgarien seine Bereitschaft erklärt, einen solchen „Hotspot“ einzurichten. Grenzzäune seien kein Mittel, das Problem zu lösen. Allerdings gebe es auch keine Wahlfreiheit für Flüchtlinge. „Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land“, sagte Merkel. „Zum ersten Mal ist die Migrationsfrage nicht das Problem eines einzelnen Mitgliedstaates“, bilanzierte der italienische Regierungschef Matteo Renzi. „Es ist eine Frage für alle Europäer und insbesondere alle EU-Institutionen.“ Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll die Flüchtlingshilfe für die Türkei für das laufende und das kommende Jahr auf insgesamt eine Milliarde Euro aufgestockt werden. „Das muss die Türkei aber auch wollen“, sagte ein Diplomat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird am 5. Oktober in Brüssel zu Gesprächen erwartet. Von der Finanzhilfe soll auch Afrika mit 1,8 Milliarden Euro profitieren. Außerdem will die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex stärken - auch dafür gibt es zusätzliches Geld. Laut EU-Kommission sollen die Gelder, die vor allem zur Flüchtlingshilfe eingesetzt werden, im Vergleich zum Jahresbeginn auf 9,2 Milliarden Euro verdoppelt werden. Zunächst waren 4,5 Milliarden Euro vorgesehen.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban drohte die Schließung der Grenze seines Landes zum EU-Mitglied Kroatien an. Der Rechtskonservative beklagte, es sei nicht gelungen, eine gemeinsame Sicherung der griechischen EU-Außengrenze zu beschließen. So könnten Flüchtlinge internationale Regeln brechen und weiter nach Griechenland vordringen. Zu den umstrittenen ungarischen Grenzzäunen sagte Orban: „Wenn der Zaun nicht gewollt wird, dann können wir die Flüchtlinge auch durchlassen Richtung Österreich und Deutschland.“

Tusk räumte Meinungsverschiedenheiten ein, einige Themen seien nach wie vor strittig. „Sie können sich vorstellen, dass die Diskussion zwischen dem ungarischen Premierminister und dem österreichischen Kanzler sehr energiegeladen war.“ Ungarn wird vorgeworfen, Flüchtlinge ohne Registrierung einfach nach Österreich weiterreisen zu lassen, obwohl dies dem sogenannten Dublin-Prinzip widerspricht.

Merkel sagte über die Position Orbans: „Da gibt es Punkte der Übereinstimmung, da gibt es auch durchaus unterschiedliche Einschätzungen. Die Übereinstimmung besteht darin, dass wir uns völlig einig sind, dass der Schutz der Außengrenzen notwendig ist.“

Die Staats- und Regierungschefs der EU werden schon in drei Wochen bei ihrem regulären Gipfel wieder über die Flüchtlingskrise beraten.

Flüchtlingsgipfel in Berlin: Bund und Länder wollen am Donnerstag bei einem Gipfeltreffen in Berlin ein umfangreiches Paket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beschließen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt dazu am Nachmittag (15.00 Uhr) mit den Ministerpräsidenten der Länder im Kanzleramt zusammen.

Es geht zum einen um die künftige Verteilung der Flüchtlingskosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Bislang tragen Länder und Kommunen einen Großteil der Lasten. Der Bund zahlt ihnen im laufenden Jahr bereits eine Milliarde Euro an Unterstützung und hat für 2016 drei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahlungen nochmals aufgestockt werden. Im Gespräch ist eine Bundesbeteiligung über eine Pauschale pro Flüchtling.

Bund und Länder beraten auch über ein Paket mit zahlreichen Gesetzesänderungen. Vorgesehen ist unter anderem, Albanien, Kosovo und Montenegro als weitere „sichere Herkunftsstaaten“ einzustufen, Asylbewerber künftig länger in Erstaufnahmeeinrichtungen zu halten und ihnen dort überwiegend Sachleistungen zu gewähren. Für bestimmte Flüchtlingsgruppen sind auch rigide Leistungskürzungen vorgesehen.

Außerdem will der neue Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, bei dem Treffen Vorschläge präsentieren, wie er die Asylverfahren beschleunigen und den immensen Berg von mehr als 275.000 Asylanträge abbauen will. (mit AFP, dpa, Reuters)

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