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Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bei der Abstimmung über die Reformgesetze im Parlament

© Reuters/Christian Hartmann

Newsblog zur Krise in Griechenland: Griechisches Parlament billigt Reformauflagen der Gläubiger

Die Abgeordneten im griechischen Parlament haben für die ersten Reformgesetze gestimmt. Ministerpräsident Tsipras bekam dafür aber keine eigene Mehrheit, Mitglieder seiner Syriza-Partei lehnten die Reformen ab. In Athen gab es Ausschreitungen. Die Ereignisse in unserem Newsblog.

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Nach der Einigung in Brüssel auf Hilfsmaßnahmen für Griechenland und ein umfassendes Reformpaket des Landes hat das griechische Parlament eine wichtige Hürde auf dem Weg zu Verhandlungen mit den Europartnern über ein drittes Hilfspaket ausgeräumt. Die Abgeordneten in Athen stimmten am frühen Donnerstagmorgen mit klarer Mehrheit für erste Spar- und Reformmaßnahmen, die die Kreditgeber zur Bedingung für Gespräche über neue finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe gemacht hatten.Angewiesen war die Koalition von Ministerpräsident Alexis Tsipras dabei auf Stimmen der Opposition. Die Ereignisse in unserem Newsblog.

Steuererhöhungen und Ende der Frühverrentung: Das nun gebilligte vier Milliarden Euro schwere Sparpaket, für das sich Tsipras trotz eigener Vorbehalte am Dienstagabend in einem TV-Interview stark gemacht hatte, umfasst vor allem höhere Mehrwertsteuern und Zusatzabgaben für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern und Jachten. Ebenfalls enthalten: ein nahezu vollständiger Stopp aller Frühverrentungen.

Bis Mitte August benötigt Griechenland rund zwölf Milliarden Euro, um laufende Rechnungen zu begleichen und fällige Kredite abzulösen. Schon am Montag muss Athen 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die Regierung ohnehin im Zahlungsrückstand. Ohne Rückzahlung müsste die EZB ihre Notkredite für Griechenlands Banken einstellen, das labile Finanzsystem des Landes würde dann wohl endgültig kollabieren.

Parlament billigt Reformpaket: Das Parlament in Athen hat das Gesetzespaket mit Spar- und Reformauflagen der internationalen Gläubiger gebilligt. Im Parlament mit 300 Sitzen stimmten 229 Abgeordnete mit "Ja", 64 mit "Nein", sechs Abgeordnete enthielten sich.Zu den Abweichlern in der Fraktion der Regierungspartei Syriza zählte Parlamentspräsidentin Zoe Konstantipoulou. Auch der ehemalige Finanzminister Giannis Varoufakis verweigerte seine Zustimmung. Tsipras erhielt allerdings die Unterstützung mehrerer Oppositionsparteien

Oppositionsführer sichert Tsipras Stimmen zu, nimmt ihn aber in die Pflicht: Oppositionsführer Vangelis Meimarakis von der Nea Dimokratia sichert Tsipras die Stimmen seiner Partei zu, nimmt den Ministerpräsidenten aber in die Pflicht. "Ein schlechtes Abkommen ist besser als gar kein Abkommen. Deshalb wählen wir Ja für einen Verbleib in Europa", so Meimarakis. Der Oppositionsführer macht aber ebenfalls deutlich, dass seine Partei die Maßnahmen ablehnt. Das Abkommen gehöre Tsipras, Griechenland habe nun keine Zeit zu verlieren. "Das Thema Grexit muss abgeschlossen werden", fordert Meimarakis.

Tsipras: "Wir glauben an den Großteil dieser Maßnahmen nicht, sind aber gezwungen, diese anzunehmen": Nach Konstantopoulou ergreift Tsipras doch noch das Wort. Dabei wirbt Tsipras zwar für die Zustimmung zum Rettungspaket, macht aber erneut seine Ablehnung der Maßnahmen deutlich. "Wir glauben an den Großteil dieser Maßnahmen nicht, sind aber gezwungen, diese anzunehmen", so Tsipras. Die Regierung werde keine falsche Erfolgsgeschichte erzählen, wie dies frühere Regierungen getan hätten. Dennoch seien trotz der harten Maßnahmen viele Verbesserungen möglich. Das Hilfsprogramm sei die einzige Möglichkeit, um die Wirtschaft wieder aufzubauen. "Ich bin der Letzte, der ein Abkommen beschönigen will. Doch das vorliegende Abkommen lasse im Gegensatz zum Vorschlag vom 24. Juni die Möglichkeit, aus der Krise herauszukommen. Die Schuld für die Krise sucht Tsipras vor allem im eigenen Land. "Ich gehöre nicht zu denen, die die Fehler immer im Ausland suchen", sagt Tsipras und macht insbesondere Steuerhinterzieher und Oligarchen für die Lage des Landes verantwortlich. "Wir werden die nötigen Reformen druchführen zur Bekämpfung von Korruption, Steuerhinterziehung und Steuerflucht", erklärt Tsipras. Zudem wirbt Tsipras für Verständnis. "Ich stand vor drei Alternativen: Das Abkommen, dem ich in vielen Punkten widerspreche, annehmen, ein ungeordneter Staatsbankrott oder der Schäuble-Plan", sagt Tsipras und spricht von einer Entscheidung aus "Verantwortung gegenüber der griechischen Gesellschaft". Am Ende seiner Rede bekräftigte Tsipras, sich der Verantwortung zu stellen. "Ich bin der Letzte, der versucht, aus dieser Verantwortung zu fliehen."

Abstimmung verzögert sich deutlich: Die ursprünglich für 23 Uhr geplante Abstimmung verzögert sich deutlich. Noch wird im Parlament hitzig diskutiert. Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou von Tsipras' Syriza-Partei wirbt mit starken Worten für ein Nein zum Rettungspaket. "Wir haben kein Recht, dieses Nein des Volkes in ein Ja umzuwandeln", sagt Konstantopoulou im Parlament, "jede dieser Maßnahmen wurde von den Bürgern abgelehnt." Die Entscheidung, die die Griechen im Referendum getroffen hätten, müsste von den Abgeordneten geachtet werden. "Ein Ja wäre ein Gnadenschuss", sagt Konstantopuolou zum Ende ihrer Rede. Ministerpräsident Tsipras war beim Großteil der Debatte nicht zu sehen. Nach Medienberichten soll er die Diskussion in seinem Büro verfolgt haben. Auf Twitter wurden unter dem Hashtag #WhereIsTsipras zahlreiche Nachrichten abgesetzt.

Solidaritätsdemo in Berlin: In Berlin haben spontan rund 1200 Menschen für Solidarität mit Griechenland demonstriert. Sie marschierten am Mittwochabend friedlich vom Oranienplatz im Stadtteil Kreuzberg zum Sitz des Bundesfinanzministeriums im Beziks Mitte, wie ein Polizeisprecher sagte. Zu der Demonstration war über soziale Netzwerke aufgerufen worden - häufig verbunden mit dem Hashtag #ThisIsACoup („Das ist ein Staatsstreich“). Unter diesem Oberbegriff lassen Menschen bereits seit Anfang der Woche ihrer Wut über die Bedingungen der Europartner zur Rettung Griechenlands freien Lauf.
Euro-Finanzminister vereinbaren Telefonkonferenz: Wenige Stunden nach dem Votum des griechischen Parlaments über die Spar- und Reformauflagen der internationalen Geldgeber wollen die Euro-Finanzminister bei einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen beraten. Am Donnerstagvormittag um 10.00 Uhr sei eine Telefonkonferenz angesetzt, teilte der Sprecher von Eurogruppenchef Jeroen Djisselbloem am Mittwochabend über den Kurzbotschaftendienst Twitter mit.

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Lage in Athen hat sich wieder beruhigt: Die Lage auf dem Syntagma-Platz hat sich wieder beruhigt, vor Ort sind noch einige Hundert Demonstranten, denen eine starke Polizeipräsenz gegenübersteht. Während der Ausschreitungen wurden nach einer ersten Bilanz ein Übertragungswagen und einige Mülleimer angezündet. Im Parlament geht die Debatte weiter.

Finanzminister Tsakolotos im Parlament: Der griechische Finanzminister Euklid Tsakolotos spricht im Parlament in Athen über die Einigung mit den Europartnern beim Krisengipfel in Brüssel: „Der Montagmorgen war der schwierigste Moment meines Lebens. Das wird mich mein ganzes Leben lang belasten. Ich weiß nicht, ob ich das Richtige gemacht habe, aber wir haben das gemacht, weil wir keine andere Wahl hatten.“

Griechische Fahnen vor einem Geschäft im Zentrum Athens.
Griechische Fahnen vor einem Geschäft im Zentrum Athens.

© dpa/YANNIS KOLESIDIS

Debatte in griechischem Parlament hat begonnen: Im griechischen Parlament hat die Debatte über ein erstes großes Spar- und Reformpaket der Regierung begonnen. Die Billigung der Gesetzespläne ist Bedingung, damit die Verhandlungen der Gläubiger mit Griechenland über ein drittes Hilfspaket beginnen können. Das Parlamentsvotum ist für den späten Abend vorgesehen, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung dürfte gegen Mitternacht feststehen.

Es wird damit gerechnet, dass es bei der Abstimmung zahlreiche Abweichler unter den Abgeordneten der Regierungspartei Syriza oder sogar aus den Reihen des rechtspopulistischen Koalitionspartners - der Unabhängigen Griechen (Anel) - geben wird. Tsipras Koalitionsregierung hat 162 Abgeordnete im Parlament mit 300 Sitzen. Syriza verfügt über 149 Sitze, der Koalitionspartner über 13 vom Kolaitionspartner Anel. Allein zwölf Abweichler würden zum Verlust der Regierungsmehrheit führen. Die Billigung des Sparprogramms gilt dennoch als sicher, da die wichtigsten Oppositionsparteien für das Sparprogramm stimmen wollen. 

Ausschreitungen bei Demonstration in Athen

Vor dem Parlament in Athen warfen gewalttätige Demonstranten mit Brandflaschen auf Polizisten.
Vor dem Parlament in Athen warfen gewalttätige Demonstranten mit Brandflaschen auf Polizisten.

© REUTERS/Jean-Paul Pelissier

Ausschreitungen bei Demonstration in Athen: Bei einer Demonstration vor dem griechischen Parlament ist es am Mittwochabend zu Ausschreitungen gekommen. Eine Gruppe von rund 200 Autonomen mischte sich unter eine friedliche Demonstration von Gegnern des Sparprogramms. Sie lösten sich aus der Menge und warfen mehrere Brandflaschen auf Polizisten, wie das griechische Fernsehen berichtete. Die Beamten setzten massiv Tränengas ein. Friedliche Demonstranten flüchteten in Panik. Das griechische Parlament sollte am Abend über neue Spar- und Reformgesetze abstimmen. Die Billigung im Eilverfahren ist Voraussetzung dafür, dass die Kreditgeber mit Athen über neue Finanzhilfen verhandeln.
Proteste vor Parlament in Athen: Tausende griechische Bürger haben am Mittwochabend vor dem Parlamentsgebäude in Athen gegen die neuen Sparauflagen demonstriert. Aus Angst vor Ausschreitungen des „schwarzen Blocks“ zog die Polizei Einheiten zusammen, wie das Staatsfernsehen (ERT) berichtete. Zu den Protesten aufgerufen hatten die kommunistische Gewerkschaft PAME sowie verschiedene autonome Gruppierungen und Parteien der außerparlamentarischen Linken. Das griechische Parlament sollte am Abend über Spar- und Reformgesetze abstimmen. Die Billigung im Eilverfahren ist Voraussetzung dafür, dass die Kreditgeber mit Athen über neue Finanzhilfen verhandeln.

Protest. Ein Demonstrant während des Streiks der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes macht am Mittwoch in Athen seinem Unmut über die geplanten Reformen Luft.
Protest. Ein Demonstrant während des Streiks der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes macht am Mittwoch in Athen seinem Unmut über die geplanten Reformen Luft.

© Alkis Konstantinidis/Reuters

Tsipras droht Abgeordneten mit Rücktritt: Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras soll den Abgeordneten seiner Partei mit Rücktritt gedroht haben, sollten sie am späten Mittwochabend gegen das griechische Sparprogramm stimmen. „Wenn ich eure Unterstützung nicht habe, dann wird es für mich schwierig sein, (auch) morgen Regierungschef zu bleiben“, zitierten übereinstimmend griechische Medien Tsipras.

Die Billigung der Gesetzespläne ist Bedingung, damit Verhandlungen der Gläubiger mit Griechenland über ein drittes Hilfspaket beginnen können. Das Parlamentsvotum ist für den späten Abend vorgesehen, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung dürfte gegen Mitternacht feststehen.

Es wird damit gerechnet, dass es zahlreiche Abweichler unter den Abgeordneten der Regierungspartei Syriza geben wird. Die Billigung des Sparprogramms gilt dennoch als sicher, da die wichtigsten Oppositionsparteien für das Sparprogramm stimmen wollen.

Deutliche Mehrheit für Griechenland-Rettungsplan in Frankreich: Das französische Parlament hat den neuen Griechenland-Rettungsplan mit klarer Mehrheit gebilligt. Bei einer Abstimmung in der Nationalversammlung sprachen sich am Mittwochabend 412 Abgeordnete für die Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket für Athen aus, lediglich 69 Abgeordnete stimmten dagegen. In der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, stimmten 260 Senatoren für und 23 gegen den Rettungsplan.

Premierminister Manuel Valls hatte zuvor in der Nationalversammlung an die "europäische Solidarität" appelliert: "Das 'Jeder für sich' kann nicht die Sprache Europas sein." Griechenland und die Griechen würden nicht "aufgegeben". "Griechenlands Platz ist in der Eurozone und in der Europäischen Union", sagte der Sozialist.

In einer Reihe von Euroländern wird die Vereinbarung den nationalen Parlamenten vorgelegt. Der Bundestag wird vermutlich am Freitag über den Rettungsplan beraten und abstimmen. Die konkreten Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm können erst danach beginnen.

EU-Kommission gewährt Athen Vorzugsbehandlung bei EU-Fördergeld: Zur Ankurbelung der Wirtschaft in Griechenland gewährt die EU-Kommission Athen eine bevorzugte Behandlung beim Zugriff auf EU-Fördergeld. Um den akuten Finanzbedarf zu stillen, kann Athen weiterhin Geld aus dem Struktur- und Regionalförderungstopf der bereits abgelaufenen Haushaltsperiode 2007 bis 2013 nutzen.

„Wir wollen das Land unterstützen“, sagte die für Regionalpolitik zuständige EU-Kommissarin Corina Cretu am Mittwoch in Brüssel. „Reformen alleine reichen nicht. Dies muss mit Investitionen verbunden werden.“ Die europäische Regionalpolitik kann nach Worten der EU-Kommissarin einen entscheidenden Beitrag leisten, damit Griechenland aus der Krise herauskommt.

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Für die abgelaufene Periode wird Athen zudem aus der Pflicht genommen, sich finanziell an den von der EU geförderten Projekten zu beteiligen (Ko-Finanzierung). Wegen der klammen Staatskasse Griechenlands galt diese Vorbedingung bislang in einigen Fällen als zu hohe Hürde.

Für Griechenland bedeutet das laut der EU-Behörde eine direkte zusätzliche Liquidität von etwa 500 Millionen Euro sowie Einsparungen für den griechischen Haushalt in Höhe von etwa 2 Milliarden Euro. Zudem will die EU-Kommission für Griechenland den Anteil der Vorfinanzierung für die Programme im Zeitraum von 2014-2020 um sieben Prozentpunkte erhöhen.

Diese zusätzliche Vorfinanzierung mache eine Milliarde Euro zusätzlich verfügbar. Bis 2020 stehen seitens der EU insgesamt 35 Milliarden Euro an europäischen Fördergeldern für Griechenland bereit.

Kommt der EFSM wieder zum Einsatz? Es gibt ihn noch, den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM). Eigentlich einigten sich die EU-Staaten schon vor Jahren, dass dieser 2010 zur Bewältigung der Finanzkrise geschaffene erste europäische Rettungsfonds nicht mehr zum Einsatz kommen soll. Doch nun, da es um die sogenannte Brückenfinanzierung Griechenlands bis zum Beginn des dritten Hilfsprogramms geht, soll der EFSM wiederbelebt werden. Noch 13,2 Milliarden Euro sind aus diesem Topf verfügbar. Bislang wehrt sich vor allem Großbritannien dagegen, dass dieses Instrumentarium zur Rettung Griechenlands reaktiviert wird. Doch am Mittwoch kamen konstruktive Töne aus London: Eine Sprecherin der Regierung sagte, Großbritannien habe zwar den Ländern der Euro-Zone sehr deutlich gemacht, dass kein Steuergeld für eine Brückenfinanzierung aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Aber es könne eine Lösung gefunden werden, die diese Bedingung erfülle. Eine mögliche Lösung deutete der für den Euro zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, am Mittwoch in Brüssel an: Man arbeite an Garantien um sicherzustellen, dass Nicht-Euro-Staaten kein Geld verlören. So könnten Gewinne aus dem SMP-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) beim Handel mit griechischen Anleihen als Sicherheit hinterlegt werden.

Das Personal springt ab. „Alexis, ich kann nicht mehr weitermachen“, schreibt die stellvertretende griechische Finanzministerin Nadja Valavani von der linken Regierungspartei Syriza in einem Brief an den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am Mittwoch. Es ist der erste Rücktritt eines Regierungsmitlieds nach der Einigung der Griechen mit den Gläubigern vom Wochenende. Zur Begründung erklärt die Politikerin, sie könne das von den internationalen Gläubigern geforderte Sparprogramm und die damit verbundenen harten Einschnitte nicht unterstützen. Es ist wegen des Widerstands in seiner eigenen Partei ohnehin damit zu rechnen, dass Tsipras nach dem Votum des griechischen Parlaments über die Sparmaßnahmen seine Regierung umbildet.

Ungewisser Ausgang. der griechische Regierungschef Alexis Tsipras beim Verlassen seines Amtssitzes in Athen am Dienstagabend.
Ungewisser Ausgang. der griechische Regierungschef Alexis Tsipras beim Verlassen seines Amtssitzes in Athen am Dienstagabend.

© Andreas Solaro/AFP

Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis: Schäuble wollte Griechenland opfern. Yanis Varoufakis, bis vor kurzem Finanzminister Griechenlands, erhebt in einem eigenen Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" schwere Vorwürfe gegen den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. In einem ausführlichen persönlichen Rückblick auf das letzte halbe Jahr erklärt Varoufakis laut Vorabbericht der Zeitung, Schäuble habe zusammen mit anderen Politikern der Euro-Gruppe die soziale Krise eines Mitgliedstaates „kontrolliert verschärft“, um seinen Plan von einer Neugestaltung der Euro-Zone durchzusetzen. „Wahlen können nichts ändern“, mit diesen Worten sei er selbst, so Varoufakis, bei seinem ersten Auftreten in der Euro-Gruppe begrüßt worden.

Ein von Schäuble forcierter "Grexit" hätte den Startschuss für die Neugestaltung Europas geben sollen, schreibt Varoufakis. Griechenland sollte aus der Euro-Zone gedrängt werden, um „Mitgliedstaaten zu disziplinieren, die sich seinem ganz speziellen Plan zum Umbau der Euro-Zone widersetzten“. Das sei eine „rituelle Aufopferung eines Mitgliedstaats“. „Eine kontrollierte Eskalation der jahrelangen griechischen Leiden, die durch geschlossene Banken verschärft“ würden, wäre der Vorbote der neuen Euro-Zone. Der von Schäuble geplante Umbau, so Varoufakis, ziele unter anderem darauf, einen „Haushalts-Oberaufseher“ für die Euro-Staaten zu bestimmen, der über ein Vetorecht gegen nationale Haushalte verfügt.

Gysi rät Griechen zu "Ja" - und stimmt selbst mit "Nein". Wenn heute Nacht das griechische Parlament über das Reformpaket abstimmt, sollten die Abgeordneten mit "Ja" stimmen, rät Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. "Wäre ich Mitglied des griechischen Parlaments, stimmte ich heute bei schwersten Bauchschmerzen und Bedenken gegen dieses - insbesondere von meiner Regierung erpresste - Diktat, eindeutig und klar mit 'Ja'. Alles andere bedeutete, eine Katastrophe, eine Verelendung des griechischen Volkes hinzunehmen.

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Das geht einfach nicht", sagte Gysi am Mittwoch in Berlin. Im Bundestag könne er am kommenden Freitag hingegen "keinesfalls mit 'Ja' stimmen". Und so begründet Gysi seine Entscheidung: "'Ja' bedeutete, der deutschen Regierung in ihrem antidemokratischem, antisozialem und antieuropäischem Vorgehen zuzustimmen." Darüber hinaus lasse sich "leicht nachweisen, dass entgegen den lautstarken Ankündigungen die deutschen Interessen keinesfalls gewahrt wurden".

Tsipras übernimmt Verantwortung

Rentner, die an ihr Geld wollen, stehen am Eingang einer Bank in Athen. ihre Bezüge R stehen in Athen vor dem Eingang einer BankPensioners wait outside a National Bank branch to receive part of their pension in Athens, Greece July 15, 2015. Greek banks will remain closed through to Thursday, the finance ministry said ahead of a parliamentary vote over tough austerity measures demanded by Greece's creditors in return for a third bailout. REUTERS/Yiannis Kourtoglou
Rentner, die an ihr Geld wollen, stehen am Eingang einer Bank in Athen. ihre Bezüge R stehen in Athen vor dem Eingang einer BankPensioners wait outside a National Bank branch to receive part of their pension in Athens, Greece July 15, 2015. Greek banks will remain closed through to Thursday, the finance ministry said ahead of a parliamentary vote over tough austerity measures demanded by Greece's creditors in return for a third bailout. REUTERS/Yiannis Kourtoglou

© Yannis Koutroglu/Reuters

Der Regierungschef übernimmt die Verantwortung. "Ich übernehme die Verantwortung für alle Fehler, die ich möglicherweise gemacht habe", sagte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras am Dienstagabend in einem einstündigen Interview im griechischen Fernsehen. "Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der Banken", fügte er hinzu.

Auf die Frage, ob er zurücktrete, wenn das griechische Parlament die geplanten Reformen nicht absegne, sagte Tsipras: "Ein Ministerpräsident muss kämpfen, die Wahrheit sagen, Entscheidungen treffen und nicht weglaufen." Er sei "ein Kapitän auf einem Schiff in Schwierigkeiten, und das Schlimmste, was man tun könnte, wäre es, das Schiff zu verlassen". Tsipras kritisierte ausdrücklich den Vorschlag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eines vorübergehenden Grexit: "Europa gehört Schäuble nicht." Der griechische Regierungschef kritisierte in dem Interview, die Euro-Länder hätten sich bei den Verhandlungen in Brüssel "hart und rachsüchtig" gezeigt - mit Ausnahme von Ländern "wie Frankreich, Österreich, Malta und Zypern".

Ähnlich registrierte das bei den Verhandlungen auch der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan. Mit Italien, Frankreich und Zypern hätten lediglich drei Staaten der Eurozone eine für Griechenland mildere Kompromiss-Vereinbarung befürwortet, die übrigen 15 Staaten hätten die harte Position Deutschlands unterstützt, sagte Padoan in einem Interview von "Il Sole 24 Ore", über das der "Tagesanzeiger" aus Zürich berichtet. Er sei überrascht gewesen, sagte Padoan, wie viele Länder Deutschland hinter sich habe versammeln können.

"Die große Mehrheit der Syriza-Organisationen lehnt diese Vereinbarung ab", sagte die Syriza-Abgeordnete und Vize-Präsidentin des Parlaments, Despoina Haralambidou, dem Radiosender Vima FM. Laut einer am Dienstagabend veröffentlichten Umfrage des Instituts Kapa sind allerdings 72 Prozent der Griechen von der Notwendigkeit eines dritten Hilfsprogramms überzeugt. Für die harten Auflagen machten knapp 49 Prozent nicht Tsipras, sondern die Euro-Länder verantwortlich.

Und so geht es nun weiter. Für Mittwochabend ist im Athener Parlament eine Debatte zu den Vereinbarungen von Brüssel geplant. Die entscheidende Abstimmung über das neue Spar- und Reformprogramm wird voraussichtlich aber erst gegen Mitternacht Ortszeit (23 Uhr MESZ) stattfinden.

Dieses erste Reformprogramm beinhaltet hauptsächlich Mehrwertsteuererhöhungen und neue Steuern für Freiberufler sowie Besitzer von Luxusautos, Häusern sowie Jachten. Zudem sollen die meisten Frührenten abgeschafft werden. Zunächst sollen die zuständigen Ausschüsse des Parlamentes über das rund vier Milliarden Euro Sparprogramm beraten. Rund 30 Abgeordnete von Tsipras' Syriza-Partei dürften bei der in der Nacht zu Donnerstag erwarteten Abstimmung mit Nein votieren. Die Opposition kündigte aber ihre Unterstützung an.

Die Euro-Länder wollen über das dritte Kreditpaket erst nach der Verabschiedung erster Kürzungsmaßnahmen im griechischen Parlament verhandeln. In Deutschland will der Bundestag voraussichtlich am Freitag über das Hilfspaket diskutieren. Der zweite Teil des Reformprogramms soll bis Mittwoch kommender Woche verabschiedet werden. Tsipras sagte, die Öffnung der griechischen Banken hänge von dem Schlussabkommen ab, das es "nicht vor einem Monat" geben werde. Die griechischen Staatsbediensteten haben schon mal klar gemacht, was sie von den neuen Einsparungen halten: Sie traten am Mittwoch in einen 24-stündigen Streik. Auch das Personal der staatlichen Krankenhäuser schloss sich dem Ausstand an, behandelt werden sollten nur noch Notfallpatienten. Auch die griechischen Eisenbahnen (OSE) werden seit Mitternacht für 24 Stunden bestreikt. Einige U-Bahn-Linien in Athen ruhten am Vormittag für drei Stunden, auch zahlreiche Apotheken blieben geschlossen. Die Gewerkschaften riefen für den Nachmittag zu Demonstrationen im Zentrum Athens auf. Am Abend sind Demonstrationen vor dem Parlament in Athen geplant.

Die griechischen Banken bleiben wegen der schweren Finanzkrise in dem Euro-Land mindestens bis einschließlich Donnerstag geschlossen. Den entsprechenden Ministerialerlass habe Vize-Finanzminister Dimitris Mardas am Mittwoch unterzeichnet, teilte das Finanzministerium mit. Die geltenden Kapitalverkehrskontrollen waren Anfang voriger Woche in Kraft getreten. Pro Tag können die Griechen auch weiterhin höchstens 60 Euro von ihren Konten abheben, wie es im Bericht des Staatsradios hieß. Überweisungen ins Ausland sind nur nach einer Genehmigung der Zentralbank und des Finanzministeriums möglich.

Wie die Deutschen gesehen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble spielten bei den Verhandlungen mit den Griechen in Brüssel eine zentrale Rolle. Haben die Deutschen die Gesprächspartner über den Tisch gezogen? Oder haben die Deutschen nur konsequent verhandelt und den bestmöglichen Kompromiss befördert? Der Tagesspiegel hat die Stimmung in europäischen Hauptstädten aufgefangen und in Erfahrung gebracht, wie die Rolle der Deutschen in den anderen europäischen Staaten beurteilt wird. Einen Überblick finden sie hier.

Einer, der eine Institution ist in Europa, hat Deutschland schln mal ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Romani Prodi, ehemaliger italienischer Regierungschef und EU-Kommissionspräsident, gibt Deutschland eine gehörige Mitschuld am Ausmaß der griechischen Schuldenkrise. „Die deutsche Regierung war unflexibel“, sagte Prodi dem Deutschlandradio Kultur am Mittwoch. Zwar habe auch die griechische Regierung "Tausend Fehler gemacht", aber: "Sie wurde zwangsverwaltet und ihrer Entscheidungsgewalt beraubt. Und das wird in Zukunft kräftige Spuren hinterlassen.“ Prodi fürchtet eine Spaltung Europas ob des griechischen Dramas und fordert deshalb mehr Einfluss für die EU-Institutionen. So sei die EU-Kommission „nicht nur in der Griechenland-Frage, sondern auch in der internationalen Politik der letzten Jahre ein Zuschauer“ gewesen.

Wenn die Nerven blank liegen. In Deutschland verschärft sich unterdessen der Ton bei denen, die mit den Vereinbarungen von Brüssel ihre Probleme haben. Dem widmet sich in der Tagesspiegel-"Morgenlage" auch Chefredakteuer Stephan-Andreas Casdorff. Er greift kritische Äußerungen von CDU-Vize Thomas Strobl auf.

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat kurz vor der Abstimmung im griechischen Parlament eine Online-Petition gegen die Eurorettungspolitik der Bundesregierung gestartet. Die Petition richtet sich an den Bundestag. Wer sie unterzeichnet, unterschreibt damit den Satz: „Das dritte Griechenlandpaket und etwaige weitere Euro-Rettungsmaßnahmen für andere Länder lehne ich ab.“ Auf der Website, die am Mittwoch online ging, listet die Partei auf, wie viel Geld Griechenland bisher als Darlehen erhalten hat und für welchen Anteil davon Deutschland haftet.

IWF: Schuldenlast ist für Griechenland absolut untragbar. Der IWF hält die Vereinbarung für nicht ausgereift. Wenn sich der Währungsfonds wie geplant an dem Hilfspaket beteiligen solle, müsse die EU noch einen klaren Plan für Griechenlands Schuldentragfähigkeit entwickeln, sagte ein hochrangiger IWF-Vertreter. Griechenland ist beim IWF mit zwei Milliarden Euro in Zahlungsrückstand. Der IWF veröffentlichte am Dienstag außerdem eine Analyse, wonach Griechenlands Schuldenlast "absolut untragbar" ist. "Griechenlands Schulden können nur mit Maßnahmen zur Schuldenerleichterung tragfähig sein, die viel weiter gehen, als Europa bislang vorgesehen hat", hieß es in dem Papier, das bereits am Samstag den Regierungen der Euro-Länder vorgelegt worden sei. Der IWF warnte überdies vor einem noch höheren Finanzbedarf Griechenlands als derzeit angenommen. Für die kommenden drei Jahre wurde er mit 82 bis 86 Milliarden Euro veranschlagt.

Deutschland lehnt einen Schuldenschnitt allerdings ab. Der neue Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) sagte denn auch am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin, ein Schuldenschnitt sei im Vertrag zur Euro-Einführung ausdrücklich nicht vorgesehen. "Das geht rechtlich gar nicht." Allerdings scheint es im Finanzministerium durchaus die Bereitschaft zu geben, über eine ebenfalls vom IWF geforderte Verlängerung der Schuldenlaufzeit für Griechenland nachzudenken. Dies sei eine "denkbare Option", sagte Ministeriumssprecher Martin Jäger am Mittwoch. "Das ist sicher ein Element, dass man in Betracht ziehen kann", sagte er. Allerdings werde dies nicht die Lösung sein, "wenn es zu einem signifikanten Barwertverlust führt". Dies wäre am Ende nichts anderes als ein "Schuldenschnitt durch die Hintertür". (mit AFP/Reuters/dpa)

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