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Politik: Nicht die große Reform, aber doch ein Riesenerfolg

"Jein", sagt Olaf Zimmermann und äußert bei allem Lob doch Bedenken. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats freut sich über die Verbesserung des Status Quo, die mit der von SPD und Grünen entworfenen Stiftungssteuerreform bald Wirklichkeit wird.

"Jein", sagt Olaf Zimmermann und äußert bei allem Lob doch Bedenken. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats freut sich über die Verbesserung des Status Quo, die mit der von SPD und Grünen entworfenen Stiftungssteuerreform bald Wirklichkeit wird. Wenn alles gut geht - nach der morgigen Lesung im Bundestag -, zum 1. Januar 2000. Insgesamt 40 000 Mark Steuerfreibetrag, die Erweiterung des Kreises der Begünstigten, dazu eine Befreiung von der Erbschaftssteuer bei nahezu allen gemeinnützigen Zwecken und bessere Bedingungen für Betriebe, ihr Vermögen in Stiftungen einzubringen - das ist doch etwas. "Es ist", so Zimmermann, "nicht die große Reform. Der jetzige Entwurf hilft den kleinen, den Bürgerstiftungen. Was wir brauchen, sind die Großstiftungen."

Christoph Mecking, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Stiftungen, begrüßt ebenfalls, dass sich der Staat endlich von der traditionellen Kleingeisterei beim Umgang mit Stiftungen zu verabschieden beginnt. 16 Jahre lang hatte die Kohl-Regierung keinerlei Veränderung auf den Weg gebracht. "Was immer noch fehlt", meint jedoch auch er, "ist der große Wurf. Die Reform ist eine hilfreiche Kleinigkeit." Ein Trostpflaster für alle, die ihr privates Geld an Stiftungen für Kultur und Wissenschaft, für Bildung, Soziales, Sport oder Kirchen weggeben wollen. Aber die wirklich Vermögenden stiftet man damit kaum zum Stiften an.

Macht der geplante jährliche Sonderausgabenabzug von 40 000 Mark - eine Kompromisssumme nach den ursprünglich im Koalitionsentwurf vorgesehenen 50 000 Mark - das Stiften tatsächlich nur im kleinen Rahmen attraktiv? Für Großstiftungen wie etwa die Stiftung Brandenburger Tor mit einem Kapital von 100 Millionen und einer jährlichen Ausschüttung von sechs Millionen Mark sind das in der Tat nur Peanuts.

Einig sind sich Kritiker und Befürworter über die Grundidee des Entwurfs: Eine Gesellschaft, die von öffentlicher Armut und privatem Reichtum geprägt ist, muss solide Alternativen zur staatlichen Förderung von Bildungs-, Kultur- und Sozialeinrichtungen schaffen. Dazu gehören auch Alternativen im großen Stil. Beispiel Kultur: Atelierförderung und Musikverein, ja bitte. Aber warum soll nicht eines der drei Berliner Opernhäuser nach amerikanischem Modell finanziert werden: von einer Großstiftung mit sicherem Millionenkapital? Für Großstiftungen, so die Interessenverbände, wird die Sache aber erst attraktiv, wenn Steuererleichterungen in einer jährlichen Höhe bis zu 20 Prozent in Aussicht stehen. Also doch keine Reform, nur ein Reförmchen? Greift der Koalitionsentwurf zu kurz?

Antje Vollmer widerspricht vehement. Die kulturpolitische Sprecherin der Grünen hat die Stiftungsreform bereits vor fünf Jahren angeregt und wertet den Entwurf als Riesenerfolg. Ihr geht es gerade um die Bürgerstiftungen. Außerdem stellt die Bundestagsvizepräsidentin klar, dass die neue Steuererleichterung die bisherige Befreiung von - je nach Zweck - 5-10 Prozent ja nicht ersetzt, sondern ergänzt. Großstiftungen kommen bereits jetzt in den Genuss steuerlicher Begünstigungen. Mit der Reform können sie über Zustiftungen auf eine breite Basis gestellt werden: nicht mit viel Geld von Wenigen, sondern mit dem in 50 Friedensjahren angehäuften Reichtum der Vielen. Derzeit globalisiert sich dieser Reichtum, anonym, in Aktien. Über Stiftungen könnte er endlich dem Gemeinwohl zugute kommen.

Antje Vollmer hat eine Vision - die Vision von einer Stiftungswelle. Das Panorama einer bundesweiten Stiftungskultur: nicht nur 8000 Stiftungen wie bisher, sondern ein Vielfaches davon. Sie möchte den Reformstau von unten auflösen, antibürgerliche Ressentiments abbauen und all diejenigen zur Mitveranwortung einladen, die sich so gern über staatliche Defizite beklagen. Der Bürger emanzipiert sich und haftet für die Gesellschaft, die er selbst mit gestaltet. Nicht nur die Gesellschaft der Happy Few, sondern der gesamte Mittelstand nimmt seine Belange in die eigenen Hände.

Wer Geld gibt, soll mitreden

Mit der Steuerrechtsreform rückt Vollmers Vision in greifbare Nähe. Denn die Zukunftsmusik von der Bürgergesellschaft ertönt neuerdings lauter. Die Stimmung ist umgeschlagen, die Bereitschaft zum Abschied vom Obrigkeitsdenken ist da. Schon das Vokabular schlägt neue Tonarten an: Eigeninitiative und Engagement, das klingt anders als Vereinssatzung und Kassenwart. So wird die Stärkung des Dritten Sektors neben Politik und Wirtschaft allerorten begrüßt, zumal auch Stiftungen Arbeitsplätze schaffen. Womöglich findet der Stimmungswechsel nur aus Gründen des Sparzwangs statt. Und wenn schon! Bundesfinanzminister Eichel fürchtet Steuerausfälle? Eine Milchmädchenrechnung. "Die Mark, die gestiftet wird, vermehrt sich", kalkuliert Christoph Mecking, "die Mark, die ans Finanzamt geht, nicht."

Denn wer Geld gibt, will mitreden. Der gibt nicht nur Geld, sondern auch Phantasie, Energie und Ideen. Die Gesellschaft übernimmt Ausgaben und damit auch Aufgaben. Bund und Länder, so das Fernziel, geben Kompetenzen ab und überantworten nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Gestaltung von kulturellen und sozialen Belangen in die Hände der Bürger. Der Staat sichert die Grundversorgung, den Rest übernehmen wir selbst: das Stadtteilprojekt, das Altenheim, die Nachwuchsförderung, das Naturkundemuseum, die Avantgarde-Galerie. Und, wie gesagt, warum nicht eines Tages auch eine der renommierten Opern- oder Theaterbühnen?

Ob Gerhard Schröder oder Altkanzler Kohl, Antje Vollmer oder Kulturstaatsminister Michael Naumann: Kulturpolitiker aller Parteien haben begriffen, dass Stifter und Spender, Mäzene und Ehrenamtliche vom Staat nicht länger wie Bittsteller behandelt werden dürfen, die als potentielle Steuerhinterzieher das Mißtrauen der Behörden auf sich ziehen. Die Stiftungsverbände haben derweil ein neues Selbstbewusstsein entwickelt und Berührungsängste abgebaut. Sie gehen erste Bündnisse ein, wie etwa der Kulturrat mit dem Deutschen Sportbund und der Arbeiterwohlfahrt. Sie bemühen sich um interne Demokratisierung und rücken den alten Zöpfen der Vereinsmeierei zu Leibe. Neben der Steuerreform fordern sie mehr: Harmonisierung der Länderverordnungen. Transparenz und eigenverantwortliche Kontrolle. Erleichterte Bürokratie. Der Stiftungsreferent könnte dann Berater- und Moderatorenfunktionen übernehmen. Als Geburtshelfer, nicht als Bremsklotz. Damit der Gang zum Finanzamt bald nicht mehr in einen mühsamen Hürdenlauf mündet.

Eine Debatte, die bei der heutigen Anhörung im Bundeskulturausschuss hoffentlich temperamentvoll geführt wird. Denn sie braucht öffentliche Resonanz, damit die Reform sich nicht in zaghaften Anfängen erschöpft. SPD und Grüne haben angekündigt, dem ersten Schritt auf dem Weg in die Bürgergesellschaft bald einen zweiten folgen zu lassen: nach der Steuerreform die Novellierung des Stiftungsrechts. Man muss sie beim Wort nehmen. Allein die Grundlage für Vollmers Vision einer Stiftungskultur muss erst geschaffen werden: die Definition des Stiftungsbegriffs. Wenn die per Gesetz festgelegt ist, kann der Stifter einen Rechtsanspruch anmelden und ist nicht mehr auf hoheitliche Erlasse angewiesen.

Bleibt zu hoffen, dass die nächste Etappe noch in dieser Legislaturperiode zügig angestrebt wird. Und dann die dritte: Verbesserungen für ehrenamtlich Tätige - im neuen Jahr wird dazu eine Enquête-Kommission eingesetzt. Und die vierte: die öffentliche Diskussion über die Frage, was eine moderne Bürgergesellschaft wirklich für gemeinnützig hält. Ein Langzeitprogramm mit Bewusstwerdungsprozeß, so wünscht es sich Antje Vollmer. Berlin mit seinen großen Kultureinrichtungen und seinen Millionendefiziten, meint Olaf Zimmermann, bietet dafür ein ideales Experimentierfeld.

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