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Politik: Nicht nur fürs Geschichtsbuch

Der Bundestag diskutiert den Genozid – sehr zum Ärger der Türkei

Von Matthias Meisner

Die Türkei setzt auf die Kontinuität der deutschen Außenpolitik. An diesem Donnerstag debattiert der Bundestag über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der von Ankara die „vorbehaltlose“ Auseinandersetzung mit den Geschehnissen 1915/16 im Osmanischen Reich fordert. Das Wort Völkermord wird in der Vorlage vermieden. Alarmiert ist die Regierung in Ankara dennoch. Der türkische Botschafter in Berlin, Mehmet Ali Irtemcelik, hat allen Bundestagsabgeordneten ein Dossier zugesandt, und die deutsche Politik an ihre bisherige Position erinnert.

Den SPD-Abgeordneten Gernot Erler zitiert Irtemcelik mit einer Aussage aus dem Jahre 2001. Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse sollten der Geschichtsschreibung überlassen bleiben. „Würden wir damit bei den Armeniern anfangen, müssten wir auch die Ausrottung von Indianerstämmen in den USA im Nachhinein durch einen Bundestagsbeschluss förmlich feststellen sowie alle sonstigen Genozide anprangern. (…) Dies kann nicht die Aufgabe des deutschen Parlamentes sein.“ Ähnlich sah das damals FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt. Und der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers warnte unter Hinweis auf das Beispiel Frankreich vor einer Bundestagsresolution. Sie könnte, so Lamers, die Integration der in Deutschland lebenden Türken in hohem Maße erschweren. In Frankreich steht der Völkermord an den Armeniern seit vier Jahren im Gesetz. Die Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der PDS- Bundestagsfraktion von 2002 hat Irtemcelik nicht erwähnt. Darin wurde das Thema als „Sache der beiden betroffenen Länder“ bezeichnet.

In Berlin wird das heute nicht mehr so gesehen, selbst wenn es die SPD mit Rücksicht auf eine Anfang Mai geplante Türkei-Reise Gerhard Schröders und den NRW-Landtagswahlkampf mit der Kursänderung nicht so eilig hat wie die Union. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring- Eckardt mahnte diese Woche: Ohne Aufarbeitung der Geschichte, Anerkennung der historischen Fakten und „wo angebracht, Anerkennung der politischen Schuld“, werde es keine Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien geben. Ankara werde sich „daran messen lassen müssen“. Andere im rot-grünen Lager argumentieren vorsichtiger – und stellen die Frage, mit welcher Formulierung am meisten für die Öffnung der Türkei erreicht werden kann. Hakan Yilmaz, Professor an der Istanbuler Bosporus-Universität, nennt das Thema und seine Behandlung im Bundestag in jedem Fall hochexplosiv. „Es ist eine Bombe“.

Wie es scheint, hat sich die Türkei mit dem ausgeübten Druck keinen Gefallen getan. Ende Februar, gleich nach Veröffentlichung des Unionsantrags zu den Armeniern, war der deutsche Botschafter in Ankara, Wolf-Ruthart Born, ins türkische Außenministerium einbestellt worden, die türkische Regierungspartei AKP bedrängte derweil die CDU. In Joschka Fischers Außenamt werden die Reaktionen Ankaras auf die Diskussion in Deutschland „katastrophal“ genannt.

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