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Politik: „Nicht nur mit Chavez und Castro“

Die Entwicklungsministerin will Bolivien Zeit zur Selbstfindung geben

Sie haben als erstes Kabinettsmitglied Bolivien besucht, wo mit Evo Morales erstmals ein Vertreter der indigenen Bevölkerungsmehrheit zum Präsidenten gewählt wurde. Was bedeutet dieser Regierungswechsel?

Das Votum zeigt, wie auch die Wahl der Sozialistin Michelle Bachelet in Chile, dass es in Lateinamerika einen Wunsch nach neuen Möglichkeiten der Beteiligung, neuen Wegen zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit und nach einem Staat gibt, der stark für seine Bürger und Bürgerinnen eintritt. Und es zeigt, dass demokratische Regierungswechsel respektiert und akzeptiert werden.

Bolivien bildet seit langem einen Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Bleibt das so?

Natürlich entscheiden nicht wir allein, wie die Zusammenarbeit gestaltet wird. Es ist an der bolivianischen Seite zu sagen, welche Form der Kooperation sie wünscht. Was wir in jedem Fall unterstützen, ist die Forderung, die Einkommen aus Förderung und Verkauf von Erdgas zur besseren Armutsbekämpfung zu nutzen, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, der indigenen Bevölkerung durch eine verfassungsgebende Versammlung mehr politische Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen und den Bewässerungslandbau voranzubringen.

Bolivien wurden, vor allem auf deutsche Initiative hin, Schulden von mehr als 1,3 Milliarden Dollar erlassen. Aber Kritiker beklagen, es sei kein Ende der Schuldenspirale in Sicht. Was hat die Entschuldung gebracht?

Sie hat zum Beispiel mehr Investitionen in Schulen und Gesundheitsstationen gebracht. Aber völlig klar ist: Wer gehofft hat, die Entschuldung sei die Lösung aller wirtschaftlichen Probleme, der ist ein Traumtänzer. Entschuldung kann nur ein Element zur Schaffung gerechterer Verhältnisse sein. Sie ist nicht die Antwort auf die Frage, wie die Produktivität im Land so gesteigert werden kann, dass die UN- Millenniumsziele erreicht werden.

Morales hat die Neugründung des Staates Bolivien angekündigt. Lässt sich erkennen, in welche Richtung das geht?

Man muss dem Land Zeit geben. Bolivien ist in einer Phase der Identitätssuche. Noch ist zum Beispiel unklar, wie sich das Verhältnis der Regionen zur Zentralregierung gestalten wird und was „mehr Staat“ bei der Armutsbekämpfung heißen soll. Wichtig ist aber, dass der politische Dialog geführt wird. Und ich wollte mit meinem Besuch deutlich machen, dass das Land in Europa und besonders in Deutschland Freunde hat, die es bei diesem Dialog unterstützen. Bolivien soll wissen, dass es für seinen eigenständigen Weg Unterstützung hat. Blaupausen aus Washington nützen keinem. Und es kann doch niemand wollen, dass Bolivien seine Freunde nur in Hugo Chavez und Fidel Castro findet.

Ein großes Problem ist der Drogenhandel. Morales sagt, Koka sei nicht Kokain …

Ich habe in allen meinen Gesprächen Unterstützung für jedes Engagement gegen den Rauschgifthandel bekommen. Das waren klare Aussagen und daran werden wir die Regierung messen. Rauschgifthandel ist ein Anschlag auf die Gesundheit und Seele des Menschen. Die legale Produktion der Kokablätter für den Eigenbedarf in Bolivien, etwa zur Verwendung in einem kulturellen oder medizinischen Rahmen, ist das eine. Aber eine Ausweitung des Anbaus kann nicht akzeptiert werden, denn dann besteht die Gefahr, dass die Überschussproduktion in die Kokainherstellung wandert. Wenn wir allerdings einsehen, dass Repression allein nichts bringt, müssen wir auch einen Beitrag dazu leisten, dass alternativen Produkten Absatzmöglichkeiten eröffnet werden.

Das heißt, die westlichen Industrieländer müssten ihre Märkte stärker öffnen?

Ja. Die Zölle für Importe aus Entwicklungsländern müssen deutlich reduziert werden. Es ist objektiv so, dass es ungerechte Handelsstrukturen gibt. Die Europäische Union und die Welthandelsorganisation sind verpflichtet, daran etwas zu ändern.

Das Gespräch führte Michael Schmidt.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (63) ist das dienstälteste Kabinettsmitglied. Sie ist seit 1998 Entwicklungsministerin. Sie gehört dem linken Flügel der SPD an und kommt aus Hessen.

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