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Bloß nichts unter den Teppich kehren. Die Grünen haben ihren Umgang mit Pädophilie in den 80er Jahren untersuchen lassen. Die Partei reagierte damit auf Vorwürfe vor der Bundestagswahl. Foto: Carsten Rehder/dpa

© picture alliance / dpa

Politik: Nicht nur Zeitgeist

Grüne und Pädophilie: Ein Zwischenbericht zur Aufarbeitung sieht die Partei als „Resonanzboden“.

Berlin - Es war das Thema, das die Grünen in der Schlussphase des Wahlkampfes massiv Stimmen gekostet hat: die Offenheit der Partei für pädophile Positionen Anfang der 80er Jahre. Seit einem halben Jahr untersucht der Göttinger Parteienforscher Franz Walter die Pädophilendebatte bei den Grünen und hat nun einen Zwischenbericht vorgelegt. Sein Fazit: Die Grünen seien „weder der erste noch der einzige Ansprechpartner für pädophile Aktivisten gewesen“. Doch die junge Partei, die 1980 gegründet wurde, habe einen „besonderen Resonanzboden“ für Anliegen von Minderheiten und Randgruppen geboten. So sei es auch propädophilen Kräften über mehrere Jahre hinweg möglich gewesen, ihre Ansichten in den Willensbildungsprozess der Grünen einzuspeisen, bevor diese sich seit Mitte der 80er allmählich von diesen Positionen distanzierten und später vollständig damit brachen.

Für die Untersuchung hat ein zwölfköpfiges Forscherteam rund um Walter Dokumente aus dem Grünen-Archiv und anderen Beständen gesichtet. Es sei eine Arbeit unter „erschwerten Bedingungen“ gewesen, schreiben die Wissenschaftler, auch weil die Grünen als Auftraggeber „im Zentrum der Diskussion“ stünden und der politische Gegner sich „möglichst viele diskreditierende Details“ wünsche. Mit den Grünen sei vertraglich vereinbart worden, dass die Partei keinen Einfluss nehmen könne auf die Vorgehensweise, die Arbeit oder die Forschungsfragestellungen. Der Abschlussbericht soll Ende 2014 vorliegen, die Ergebnisse seien daher „vorläufig“.

Auf 120 Seiten haben die Göttinger Wissenschaftler zusammengetragen, wie Pädophilie-Lobbyisten zeitweise Einfluss auf die grüne Programmatik nehmen konnten. So sprachen sich die Grünen in ihrem ersten Grundsatzprogramm von 1980 für eine Änderung der Paragrafen 174 und 176 im Sexualstrafrecht aus. Nur die Anwendung von Gewalt oder Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses solle bei sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden. Das hätte bedeutet, das angeblich einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen und Kindern straffrei gewesen wäre.

Eine Forderung, die in den folgenden Jahren etwa in die Landeswahlprogramme in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Bremen übernommen wurde, aber auch in Kommunalwahlprogramme – wie in Göttingen, für das damals Jürgen Trittin presserechtlich verantwortlich war. Die Übernahme dieser Forderungen sei oft „unreflektiert“ passiert. „Auffällig und im Rückblick auch irritierend“ finden die Forscher, wie wenig sich damals die politischen Mitbewerber diesen Vorgängen bei den Grünen widmeten – und das, obwohl die frisch gegründete Partei durchaus ernst genommen wurde. So habe sich die Dokumentation der CDU zu den ersten Parteitagen der Grünen „mit allerlei Merkwürdigkeiten“ aufgehalten, aber das Thema Pädophilie ausgeklammert. Ebenso die Medien, die ansonsten ausführlich über die neue politische Kraft berichteten. Es gab damals „keine zugespitzte öffentliche oder politische Auseinandersetzung in und mit den Grünen, die dazu geführt hätte, dass sich die Grünen dieser Frage hätten stellen müssen“, schreiben die Wissenschaftler.

Was sich bei den Grünen in ihrer Entstehungszeit abgespielt habe, sei mehr „das Finale als die Ouvertüre einer Entwicklung, die Jüngeren heute weitgehend unverständlich vorkommt“, beschreiben die Forscher. Schon seit den 60er Jahren habe es unterschiedliche Akteure gegeben, die pädophile Forderungen erhoben oder Legitimationshilfen beisteuerten: nicht nur aus dem linken Lager der 68er, sondern auch aus liberalen Gruppen des Bildungsbürgertums. Was „anfangs noch im Rahmen von recht spezialisierten wissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskursen erörtert worden war, wuchs im Laufe der Zeit zum Bestandteil linksliberaler Intellektualität“, heißt es in dem Bericht. Walter und seine Kollegen beschreiben, wie Pädophilenaktivisten das Bündnis mit der damaligen Schwulenbewegung suchten, aber auch, wie sie Einfluss nahmen auf Organisationen wie die Humanistische Union (HU), den Kinderschutzbund oder Pro Familia.

Die Forscher warnen die Grünen allerdings auch davor, so zu tun, als sei ihnen etwas „durchgerutscht“. Die Beteiligten müssten sehr wohl gewusst haben, welche Grenzlinien bewusst überschritten worden seien. Es reiche keinesfalls, „auf einen besonderen Zeitgeist, auf lediglich wenige Verwirrte und randständige Sektierer in den eigenen Reihen zu verweisen“, die man längst hinter sich gelassen habe, mahnen sie mit Blick auf diejenigen, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind.

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