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Politik: Nicht ohne sein Privatleben

Seit gut zwei Jahren regiert Günther Oettinger Baden-Württemberg – turbulent, aber unbeirrbar

Über die Weihnachtstage kümmert sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger um seine Familie. Das ist keine Nachricht? Doch. Denn eben erst hat der 54-Jährige Spekulationen beendet und verkündet, dass er und seine Frau Inken fortan getrennter Wege gehen. Seither tobt eine Kampagne, die sogar Rücktrittsforderungen einschließt.

Der Grat zwischen Privatsphäre und Politik ist schmal – besonders, wenn man auch im eigenen Lager nicht nur auf Freunde zählen kann. Oettingers missglückte Filbinger-Totenrede ist unvergessen und der Graben noch offen, den der Machtkampf zwischen ihm und Annette Schavan um die Nachfolge nach dem erzwungenen Rücktritt Erwin Teufels riss: Wer Oettinger nicht mag und ihn vorführen will, findet passende Gelegenheiten.

Kaum waren die Trennungsgerüchte und die neue Beziehung von Oettingers Frau Inken mit einem Porscheverkäufer bestätigt, enthüllte „Bild am Sonntag“ das wenig schmeichelhafte Foto einer alkoholgeschwängerten Neujahrsparty in der Brüsseler Landesvertretung, um des Ministerpräsidenten Neigung zu Wein und Bier zu belegen – fast ein Jahr alt. Die „Welt“ präsentierte anderntags die auch nicht mehr taufrische Geschichte, nach der man Oettinger in der mallorquinischen Kneipe eines Wirts gesehen haben, der Stuttgart fluchtartig verlassen musste, weil die Staatsanwälte wegen Sozialversicherungsbetrug gegen ihn ermitteln. Den Besuch dementierte Oettinger, obwohl er ja vielleicht töricht, aber nicht strafbar wäre. Nur fügte er kryptisch an: Sollte man ihm den Besuch nachweisen, wäre dies ein Rücktrittsgrund. Bestätigt hat Oettinger indes seinen Hang zur Geselligkeit: Er habe auch weiterhin die Absicht, „leutselig und bürgernah zu bleiben – außerhalb der Kernarbeitszeit“.

So zeigt sich Oettinger mal blutspendend auf der Trage, mal lässt er ein Narrengericht den nackten Bauch abstempeln. Der Portraitierte sieht sowas als Beleg für seine Offenheit gegenüber den Medien. Wohl deshalb streicht auch niemand peinliche Fragen nach einer neuen Freundin des Regierungschefs aus autorisierten Interviews.

Ob all das die Regierungsarbeit tangiert? Nein, sagt Oettinger. Selbst wenn weit kompromittierendere Fotos auftauchen sollten (die der Boulevard ankündigt), sei ihm das „egal“. Schließlich wisse man, dass er sich benehmen könne, „privat und in der Öffentlichkeit“.

„Entscheidend ist, was er politisch tut“, erklärt auch CDU-Landtags-Fraktionschef Stefan Mappus. Das klingt ehrlich, auch wenn Kronprinz Mappus vielleicht nichts lieber täte, als Oettinger zu beerben. Aber er kann warten. In Baden-Württemberg ist noch jeder CDU-Fraktionschef Regierungschef geworden.

Das Staatsministerium von Günther Oettinger verweist darauf, dass sich die „Wahrnehmungskurve“ zwar von der „Wirkungskurve“ distanziere. Aber ein Haushalt, der aus der Verschuldungsspirale führt, der Einstieg in verkehrstechnische Jahrhundertprojekte und die wirtschaftliche Führungsrolle des Südweststaats seien ja keine allzu schlechte Bilanz. Schon im März wurde Oettinger zu einem von zwei Vorsitzenden der Föderalismuskommission II benannt – das taugt zur bundespolitischen Profilierung. Und auch die Partei findet, Oettinger regiere nicht schlecht: Die Chefs mächtiger Bezirksverbände, darunter mit Wolfgang Reinhard der Statthalter des Landes in Berlin, versicherten ihm ihre Solidarität. Erst im November hatte die Union Oettinger mit satten 91 Prozent als Parteiboss bestätigt. Will heißen: Der städtisch geprägte Protestant Oettinger ist zwei Jahre nach seinem Amtsantritt auch in der katholisch- ländlichen Provinz angekommen.

Lancierte Rücktrittsgerüchte aus der eigenen Partei und eine hilflose Forderung seiner einstigen Rivalin Ute Vogt von der SPD können nicht drüber wegtäuschen, dass auch ein schwacher Oettinger bislang wenig fürchten muss. Die nächste Landtagswahl kommt erst 2011, die in sich zerstrittene SPD ist mit rund 20 Prozent eine marginale Opposition, und ein Königsmörder ist nicht in Sicht. Eine neuerliche Einmischung Angela Merkels ist auch nicht zu erwarten – sie hat Wichtigeres zu tun als den Lebenswandel eines Provinzfürsten zu tadeln, zumal im Südwesten, der nicht zu ihren Bastionen zählt.

Vor zwei Jahren meinte Oettinger, „wenn ein Regierender kein Privatleben hat, gehe ich raus“. Und heute? „Der Satz stimmt unverändert.“ Es gibt für ihn keinen Grund zum Rückzug. Selbst wenn das Private nun öffentlich ist.

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