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Politik: Nicht Verdi spielt die Musik

WER RETTET DIE THEATER?

Von Peter von Becker

Theater muss sein!“ Mit diesem Slogan wirbt der Deutsche Bühnenverein als Spitzenorganisation der öffentlichen Theater seit Jahren landauf, landab. Jetzt aber droht den Bühnen landunter. Denn Theater muss gar nicht sein – nicht um jeden Preis. Das meinen immer mehr Kommunen. Sie zweifeln, ob sie sich Schauspielhäuser und Opern in der Haushaltskrise noch leisten können.

Nach dem Theatersterben in den neuen Bundesländern drohen nun Schließungen im ehemals reichen Westen, in Freiburg zum Beispiel, in Aachen oder Bielefeld. Und in Berlin, wo mit dem SchillerTheater bereits die größte Hauptstadtbühne verschied und man seit ewig über eine Opernreform streitet, glaubt niemand mehr, dass es künftig noch drei selbständige Musiktheater geben wird.

Berlins Finanzsenator, kein Mann der Musen, hat Deutschlands Intendanten erst kürzlich als „Hunde“ an den öffentlichen Futtertrögen bezeichnet. Das Klima wird rauer, doch merkwürdigerweise bellen die Künstler kaum zurück. Man leidet halblaut, diskutiert depressiv oder verfasst zusammen mit Gewerkschaftlern und Kulturdezernenten ein samtpfötiges Memorandum. Das trägt man jetzt dem Bundespräsidenten vor. Was da freilich in grauestem Funktionärsdeutsch als „Überlegungen zur Zukunft von Oper und Theater in Deutschland“ zusammengeschrieben wurde, ist nichts als ein Spiegel der Veränderungsblockaden wie auch sonst in der Politik. Ein Dokument der zwar-abernden, mutlosen Vertagung längst fälliger Reformen.

Theater sind keine Behörden. Trotzdem sind Verwaltung und Technik als öffentlicher Dienst organisiert – zu unflexibel, oft überbesetzt, und die Privilegien beispielsweise der gewerkschaftlich beinhart organisierten Orchestermusiker sind grotesk. Nur die Theaterleitungen sowie die Schauspieler und Sänger arbeiten mit leistungsbezogenen Individualverträgen. Die Mehrheit ist im öffentlichen Dienst beschäftigt, ihre Tarifsteigerungen aber müssen die Theater seit Jahren aus gleichbleibenden oder sinkenden Zuwendungen ausgleichen. Inzwischen sind kaum mehr 15 Prozent der Theateretats für den eigentlichen Theaterzweck, die Produktion von Aufführungen, verfügbar. Diese Probleme sind seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt. Und ungelöst.

Als in Weimar der Intendant zur Rettung seines Traditionstheaters ein weniger starres Modell zu realisieren versuchte und wie ein Bühnenarbeiter selber Hand anlegen wollte, wurde er von der Gewerkschaft Verdi, die mit ihrem Namen bloß kokettiert, bestreikt und bestraft. Tatsächlich können sich die Bühnen nicht selbst aus der Falle des öffentlichen Dienstes befreien. Kommunen und Länder müssen in ihren Stadt- und Staatstheatern nicht nur, wie vielerorts schon geschehen, neue Rechtsformen etablieren (GmbHs oder Stiftungen); sie müssen endlich auch den Konflikt mit den Gewerkschaften, vor allem mit Verdi und den Orchestervertretern, wagen. Notfalls: ein Institut schließen und neu gründen, mit privaten Arbeitsverhältnissen.

Nur, ganz privatisieren lassen sich die Theater nicht. Oper und Schauspielhäuser mit Repertoires von Shakespeare bis Handke, von Mozart bis Henze, sind rein marktwirtschaftlich nicht zu erhalten. Die Kulturetats der Länder und Kommunen machen aber nur etwa zwei Prozent der Gesamthaushalte aus. Also ist die Frage „Sozialstaat oder Kulturstaat“ schon rechnerisch keine Alternative. Und die Bühne als Spiegel und Vorspiel der Gesellschaft gehört auch zu ihrem sozialen Ferment. Freilich müssen sich die Theater mit ihrem Spiel dann auch wesentlich machen. Theater am Nerv der Zeit ist heute selten geworden. Wenig Entwürfe, kaum ein Wurf. Doch nur wer etwas behauptet, kann sich behaupten.

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