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Politik: Nichts ersetzt die Freiheit

Von Clemens Wergin

Es war das große außenpolitische Projekt der USRegierung für 2004: Die Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens. Und tatsächlich: Heute beraten die Staaten der Arabischen Liga über Reformen, Anfang Juni steht dasselbe Thema beim G-8-Gipfel an. Aber was wie hektische Betriebsamkeit aussieht, dient eher der würdevollen Beerdigung. Die USA jedenfalls sind nicht mehr in der Lage, ihre Initiative glaubwürdig voranzutreiben. Nicht nach den Folterskandalen im Irak. Und nicht mit dem negativen Image, dass George W. Bush wegen seiner Nähe zu Ariel Scharon in der muslimischen Welt anhaftet.

Das ist umso bedauerlicher, weil die Analyse der Bush-Regierung im Kern zutrifft und von zwei UN-Berichten gestützt wird: Kaum eine Weltgegend hatte in den letzten Jahrzehnten solch ein geringes Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig hat die Demokratisierungswelle, die nach dem Ende des Kalten Krieges Teile Afrikas, Asiens und Lateinamerikas erfasste, vor der arabischen Welt Halt gemacht. Von Öffnung, Demokratie oder Meinungsvielfalt keine Spur. Das sorgt für Frustrationen, besonders unter den vielen jungen Menschen in einer Region, die eine der höchsten Geburtenraten der Welt hat. Viele suchen ihr Glück im Westen. Andere werden anfällig für die einfachen Slogans der Islamisten. Wohin das führen kann, haben die Anschläge der vergangenen Jahre – von New York bis Madrid – gezeigt. Wenn der Westen weiter nur zuschaut, wie die Autokraten ihre mit Sicherheitsdiensten betonierte Macht in zweiter und dritter Generation vererben, wird die Wut nur zunehmen. Und damit die Gefahr, dass die strategisch wichtige Erdölregion instabil bleibt und der Terrorexport weitergeht. Was also tun?

Da die USA als Katalysator für Reformen ausfallen, ist es nun an den Europäern, die Modernisierung der arabischen Welt zu ihrem Projekt zu machen. Seit die Ölstaaten Europa in den 70er Jahren zur Annäherung zwangen, pflegt die EU ein Sonderverhältnis zur Region. Viele Länder genießen Handelsprivilegien. Dafür hat die EU eine Öffnung der dortigen Märkte für ihre Produkte bekommen. Das wird nicht mehr reichen. Jetzt gilt es, auch die Gesellschaften, die Regime, die Medien, kurz: die Köpfe zu öffnen. Europa muss ein Bündnis eingehen mit den Menschen in Nahost und darf beim Engagement für eingekerkerte Oppositionelle, für Meinungsfreiheit und Bürgergesellschaft den Konflikt mit den dortigen Potentaten nicht scheuen.

Der Westen war so erfolgreich, weil er sich über Humanismus und Renaissance, über Reformation und Aufklärung immer wieder neu erfand. Spätestens seit dem Ägyptenfeldzug Napoleons 1798 begann man auch im Orient, die Ursachen der westlichen Dominanz zu ergründen. Es blieb aber meist bei der Kopie von technisch-praktischen Fähigkeiten, etwa in der Medizin oder beim Militär. Die damaligen Herrscher taten sich schwer, den Kern des westlichen Erfolgsmodells zu begreifen: die Freiheit des Denkens, des Forschens, der öffentlichen Auseinandersetzung – und später dann auch die Freiheit, sich die eigene Regierung zu wählen.

Auch heute bringt es wenig, wenn arabische Jugendliche lernen, Computer zu bedienen, sich aber nicht frei im Internet bewegen dürfen; wenn sie ihre Meinung über die eigenen Herrscher in den Zeitungen weder schreiben noch lesen können. Die beste Entwicklungshilfe: ihnen zu helfen, sich Freiheiten gegenüber ihren Regimen zu erkämpfen. Damit sie endlich in die Lage versetzt werden, ihre positiven Fähigkeiten entfalten zu können.

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