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Politik: „Nichts für verzagte Geister“

Wirtschaftsweise schlagen Kompromiss für Gesundheitsreform vor – eine Bürgerpauschale

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Die Spitzen der deutschen Wirtschaftsforschung haben es am Mittwoch deutlich ausgesprochen: Ein überzeugender Plan für ein demografiefestes, kostengünstiges und sozial ausgewogenes Krankenkassensystem in Deutschland ist in den beiden großen politischen Lagern nicht erkennbar. Obwohl das Land ein solches Reformmodell dringend nötig hat, kommen die „fünf Weisen“ zu dem Schluss, dass weder der Vorschlag einer Bürgerversicherung von Rot-Grün noch der jetzt gefundene Prämienkompromiss von CDU/CSU geeignete Lösungen für die Zukunft sind. Zu kompliziert, zu verzagt, zu bürokratisch – so fasste der Sachverständige Bert Rürup das Urteil der Fünfergruppe über die Unionsideen zusammen und schloss die Bürgerversicherung der SPD auch gleich mit ein: „Die taugen nichts.“

Ganz umsonst haben die Arbeitsgruppen der Parteien allerdings nicht gerechnet und gedacht. Denn, so meint der Sachverständigenrat in seinem 800 Seiten starken Gutachten, sowohl über die Einbeziehung aller Bürger in eine gemeinsame Versicherung (wie bei der SPD) als auch eine einkommensunabhängige Pauschale (so die Vorstellung der Union) sollte man nachdenken. Eine Bürgerpauschale also, wie die Experten ihren eigenen Vorschlag zur Reform des deutschen Gesundheitssystems nannten.

Mit dem Systemwechsel hin zur Bürgerpauschale wollen die Sachverständigen das System von gesetzlicher und privater Krankenversicherung verlassen: Die gesamte Wohnbevölkerung wird versicherungspflichtig, die beitragsfreie Mitversicherung von nichtberufstätigen Ehepartnern wird aufgegeben. Jeder Erwachsene soll demnach – unabhängig von seinem Einkommen – eine Pauschale von 198 Euro im Monat bezahlen, wobei diese Summe 13 Prozent des Haushaltseinkommens nicht übersteigen soll. Voll zur Kasse gebeten werden also nur Ehepaare, die gemeinsam brutto mehr als 3046 Euro im Monat verdienen. Liegt das Einkommen darunter, erhalten sie staatliche Zuschüsse. Für Kinder werden keine Beiträge bezahlt.

Der soziale Ausgleich und die Kinderversicherung – die die Sachverständigen aus Steuermitteln bezahlen wollen – werden rund 30 Milliarden Euro kosten, heißt es im Gutachten. 17 Milliarden Euro davon wären finanziert, wenn die Arbeitgeber ihren Anteil an den Krankenkassenkosten an die Arbeitnehmer als zu versteuernden Lohn auszahlten. Für die restlichen 13 Milliarden Euro schlagen sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder einen Einkommensteuerzuschlag vor.

Weil ein solches System der Bürgerpauschale die Lohnkosten und damit den Arbeitsmarkt nicht mehr so stark belaste und das heutige Zweiklassensystem verlassen wird, bezeichneten es die sachverständigen Wissenschaftler am Mittwoch als „zielführend“. Ob eine große Koalition aus SPD und Union ihre beiden Reformmodelle in dieser Weise zusammentragen können, steht allerdings auf einem anderen Blatt. „Ein solcher Systemwechsel“, sagte Wolfgang Wiegard, der Präsident des Sachverständigenrats, „ist nichts für verzagte Geister.“

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