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Politik: Nie wieder Schweigen

Regierung und Zentralrat erinnern an Pogromnacht

Berlin - Kurz vor halb elf schritten Angela Merkel und Charlotte Knobloch am Sonntag den Mittelgang in der Synagoge entlang, Seite an Seite, wie Schwestern. Die zentrale Gedenkfeier der Bundesregierung und des Zentralrats der Juden zum 70. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde zu einer Demonstration der Gemeinsamkeit von Regierung und jüdischer Gemeinschaft im Bewahren der Erinnerung und im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Zu der Gedenkveranstaltung in der Synagoge in der Rykestraße in Prenzlauer Berg, dem größten jüdischen Gotteshaus in Deutschland, waren rund tausend geladene Gäste gekommen, darunter fast das ganze Kabinett, Vertreter von Bundeswehr, Polizei und Verfassungsgericht sowie Repräsentanten der Kirchen und der muslimischen Gemeinschaft. Auf Geheiß der nationalsozialistischen Machthaber steckten vor 70 Jahren Nazi-Horden in Deutschland Synagogen in Brand und verwüsteten über 7000 Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bürger.

Der Pogrom sei „nicht vom Himmel gefallen“, betonten Knobloch und Merkel in ihren Reden. Ihm sei die systematische Entrechtung und Demütigung der jüdischen Deutschen vorausgegangen. „Am 10. Mai 1933 brannten die Bücher, am 9. November 1938 die Synagogen und bald darauf ganz Europa“, sagte Angela Merkel (CDU). Dies sei möglich gewesen, weil „die schweigende Mehrheit nicht den Mut hatte, einzuschreiten“. Selbst auf den 9. November „folgte kein Proteststurm gegen die Nazis, sondern Schweigen, Achselzucken und Wegsehen, vom einzelnen Bürger bis zu großen Teilen der Kirche“. Dazu dürfe es nie wieder kommen. „Wir dürfen nicht schweigen, es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn Rabbiner auf der Straße angegriffen, wenn jüdische Friedhöfe geschändet werden und wenn Rechtsextreme in unseren Parlamenten sitzen“, mahnte Merkel. Deutschland dürfe auch nicht schweigen, wenn Hamas, Hisbollah und der Iran Israel bedrohten. „Die Sicherheit Israels zu schützen, ist Staatsräson der Bundesrepublik“.

Charlotte Knobloch schilderte, wie sie als Sechsjährige an der Hand ihres Vaters am 10. November 1938 durch München gehastet sei und es niemanden gab, der ihnen helfen wollte. „Dieses Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein“ sei bis heute in ihrem Leben präsent. Um den „braunen Rattenfängern entgegenzuarbeiten“, forderte Knobloch erneut ein Verbot der NPD. Die Einrichtung eines Expertengremiums zum Kampf gegen Antisemitismus sei ebenfalls ein wichtiger Schritt. „Irgendwann sind wir Zeitzeugen verschwunden“, sagte die 76-Jährige und appellierte an die „jungen Menschen“: „Bitte lasst Euch von niemandem einreden, wen Ihr zu lieben und zu hassen habt.“ Am Ende der Gedenkfeier sang Kantor Isaac Sheffer das jüdische Totengebet.

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