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Führungsduo. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD, rechts) und Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) im Hannoveraner Landtag.

© dpa

Niedersachsen: Cannabis, Gesamtschulen, Schweineställe

Rot-Grün baut Niedersachsen flugs um und sind mit dem Auftakt ihrer Koalition zufrieden. CDU und FDP sehen dagegen vor allem Chaos und beklagen "Parteibuchwirtschaft".

Eine Schonfrist kennt FDP-Fraktionschef Christian Dürr nicht. Rot-Grün mache Niedersachsen zur „Bananenrepublik“, wettert der Liberale. Zwei Monate sei die Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Amt, und nur zwei Botschaften gebe es dafür: „Erstens wird der Cannabis-Konsum erleichtert, und zweitens wurden politisch unliebsame Polizeipräsidenten gefeuert.“ Was Dürr so erregt: Die grüne Justizministerin und die rote Sozialministerin hatten sich für eine bundesweit einheitliche Eigenbedarfsgrenze, bis zu der der Besitz von Marihuana straflos bleibt, ausgesprochen. Und Innenminister Boris Pistorius (SPD) ersetzt – ohne Angabe von Gründen – drei fachlich weitgehend anerkannte Polizeichefs durch eigene Favoriten, darunter der bisherige Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, in Osnabrück.

Von „rotem Filz“ spricht CDU-Fraktionschef Björn Thümler. Auch viele andere Posten in Ministerien und Verwaltung hätten die Genossen unter dem Gesichtspunkt der „Parteibuchwirtschaft“ vergeben. Ansonsten macht der Neu-Oppositionelle bei der Regierung eher ein „Organisationschaos“ aus. Ein Fahrplan fehle, die Zuordnung sei unklar. Offenbar litten viele Sozialdemokraten noch darunter, dass der Koalitionsvertrag eine starke grüne Handschrift trage, meint Thümler. Da laute das Motto wohl „liegen lassen, später machen“.

Hier schwingt natürlich viel Enttäuschung über den schwarz-gelben Machtverlust mit. Rot-Grün war in den ersten Wochen keineswegs untätig; eine gewisse „Hyperaktivität“ beklagt sogar mancher aus den eigenen Reihen. Gleich in der ersten regulären Landtagssitzung leitete die Koalition die Wiedereinführung des von CDU/FDP vor zwei Jahren abgeschafften Stichentscheids bei den Wahlen von Landräten und Stadtoberhäuptern ein. Bei den Oberbürgermeisterwahlen in Hannover und Osnabrück im Herbst soll die Regelung nämlich schon gelten.

Eilig haben es SPD und Grüne auch mit den Gesamtschulen. Damit diese sich im nächsten Schuljahr erst gar nicht mit dem von Schwarz-Gelb eingeführten „Turbo- Abitur“ und seinen Lehrplänen quälen müssen, lässt Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) das Schulgesetz flugs ändern. Und senkt zum Ärger der Opposition auch gleich die Hürden für die Neugründung von Gesamtschulen. Diese müssen nicht mehr wie bisher über fünf, sondern nur noch über vier, in weitgefassten Ausnahmen sogar nur über drei Parallelklassen verfügen. Eine „Kriegserklärung an Gymnasien“ sehen CDU und FDP darin: „Niedersachsen wird zum Einheitsschulland.“

Mit anderen Hinterlassenschaften aus zehn Jahren schwarz-gelber Regentschaft räumen die neuen Damen und Herren in Hannover ebenso rigoros auf. Erst im vergangenen Jahr hatte der damalige Agrarminister Gert Lindemann (CDU) 22 000 Hektar als Vorranggebiete für den Torfabbau ausgewiesen; jetzt will sein grüner Nachfolger Christian Meyer dies aus Gründen des Moorschutzes kassieren. Für Schweineställe hatte Lindemann zwar schon schärfere Auflagen in der Schublade; aber erst Meyer setzte sie kurz nach Amtsantritt in Kraft.

Als „Feuertaufe“ der neuen Regierung bezeichnet der Ministerpräsident allerdings den Kompromiss beim Suchverfahren für ein Atommüll-Endlager. Weil konnte zwar nicht, wie noch im Wahlkampf versprochen, den Salzstock Gorleben von vornherein aus dem Verfahren ausschließen. Wohl aber rang Niedersachsen Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und den anderen Ländern das Versprechen ab, die Castor-Transporte ins Zwischenlager Gorleben zu stoppen. Wohin die Atommüll-Fuhren aus Sellafield und La Hague stattdessen gehen, ist allerdings noch völlig offen.

Weil zieht dennoch eine positive Bilanz seines Wechsels vom Rathaus in Hannover (dort war er OB) in die Staatskanzlei. „Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut und bin mit dem Start sehr zufrieden.“ Sein grüner Koalitionspartner, Umweltminister Stefan Wenzel, dessen Parteifreunde aus dem Wendland alles andere als glücklich mit dem Gorleben- Kompromiss sind, äußert sich da lieber vorsichtiger: „Der Zeitraum für eine Bewertung ist doch noch viel zu kurz.“

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