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Die Thüringer Neonazis Uwe M. (li.) und Uwe B. (M.), aufgenommen im Herbst 1996 in Erfurt.

© dapd

Update

Neonazi-Trio: Niedersachsen räumt Panne bei Terrorfahndung ein

Schwere Fahndungsfehler in Niedersachsen: Ein mutmaßlicher Komplize der Neonazi-Terrorgruppe wurde als Mitläufer eingestuft. Ein Verfassungsschützer könnte ebenfalls in die Taten verstrickt sein.

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Bei der Fahndung nach der Neonazi-Terrorgruppe haben Innenministerium und Verfassungsschutz in Niedersachsen schwere Fehler in der Vergangenheit eingeräumt. Der als mutmaßlicher Komplize des Neonazi-Trios festgenommene Holger G. sei bereits 1999 in Niedersachsen auf Bitten aus Thüringen observiert worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel am Mittwoch in Hannover. Erkenntnisse über seine Zusammenarbeit mit der Gruppe seien in Niedersachsen aber nicht gespeichert worden und Holger G. nur als Mitläufer eingestuft worden.

Auch ein hessischer Verfassungsschützer könnte in einen Mord des Neonazi-Trios verstrickt sein, heißt es in verschiedenen Zeitungen. Parallel zu den Ermittlungen wird zudem ein erneutes NPD-Verbotsverfahren diskutiert.

Die Bundesanwaltschaft könnte bei ihren Ermittlungen zu der Neonazi-Mordserie heute deutliche Fortschritte machen. Das mutmaßliche Mitglied der Zwickauer Terrorzelle, Beate Zschäpe, will nach Informationen der „Stuttgarter Nachrichten“ eine umfassende Aussage machen. „Sie will auspacken und berät sich deshalb mit ihrem Anwalt“, zitierte das Blatt einen Beamten aus Ermittlerkreisen.

Zschäpe gehörte laut Bundesanwaltschaft gemeinsam mit ihren inzwischen toten Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. Die Gruppe soll für Morde an neun Geschäftsleuten türkischer und griechischer Abstammung sowie an einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich sein.

Offen ist, wie viele Helfer das zuletzt in Zwickau lebende Trio hatte. Ein Mann in Niedersachsen wurde bereits festgenommen. Nach einem ARD-Bericht hatte das Trio auch einen Unterstützer in Sachsen - ebenfalls einen Neonazi, der für die Verdächtigen in Zwickau Wohnungen angemietet haben soll.

Mitglieder des parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste hatten am Dienstag nach einer Sitzung in Berlin deutlich gemacht, dass sich die Zwickauer Terror-Zelle womöglich auf weit mehr Helfer stützen konnte als bisher bekannt. Nach Informationen der „Berliner Zeitung“ haben die Fahnder etwa eine Handvoll Verdächtiger im Visier.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will gefährliche Neonazis in einem neuen Zentralregister erfassen. In dieser Datei sollten „Daten über gewaltbereite Rechtsextremisten und politisch rechts motivierte Gewalttaten zusammengeführt werden“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Die neue Neonazi-Datei solle ähnlich wie eine bereits bestehende Datensammlung über gefährliche Islamisten aufgebaut und von Verfassungsschutzämtern und Polizeibehörden in Bund und Ländern gespeist werden.

Wegen möglicher Verstrickungen stellen Koalition und Opposition V-Leute des Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Szene immer stärker infrage. Zudem wird weiter kontrovers über einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren diskutiert, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) prüfen will.
Der Innenexperte der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), wandte sich dagegen. „Es gibt kein besseres Signal für die Demokratie, als bei jedem Wahlsonntag zu zeigen, dass sich die Deutschen von der NPD abwenden“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Das ist der edlere Weg.“ Uhl weiter: „Wer die NPD nicht verbieten will, muss sie beobachten.“ Dazu zähle auch weiter das Instrument der V-Leute des Verfassungsschutzes.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), kritisiert die Debatte. „Der Staat wirkt saft- und kraftlos, wenn Politiker alle drei Monate ein NPD-Verbot fordern, der Verbotsantrag dann aber doch nicht gestellt wird“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Es sei nach wie vor ein unvertretbares Risiko, Informanten für die Dauer eines Verbotsverfahrens aus der Partei abzuziehen.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner fordert vor einem neuen NPD-Verbotsverfahren eine Klärung der Rolle von V-Leuten. Ein neuerliches Verbotsverfahren werde „nur dann erfolgreich sein können, wenn Ungereimtheiten beim Verfassungsschutz, gerade beim Einsatz von V-Leuten, vollständig aufgeklärt sind“, sagte er der „Welt“.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, ist für ein Verbot der NPD. „Es kann nicht richtig sein, dass ein Verbotsverfahren trotz klarer Verfassungsfeindlichkeit der NPD nicht in Gang kommt, weil der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten zur Bestandsgarantie für die Partei geworden ist“, sagte Ahrendt der „Passauer Neuen Presse“.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte vor zu schnellen Schlussfolgerungen aus der Mordserie und vor dem übereilten Aufbau neuer Strukturen bei den Sicherheitsbehörden. Schon jetzt sei ein Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei möglich, „wenn Hinweise auf bevorstehende oder auch stattgefundene terroristische Aktivitäten vorliegen“, sagte Schaar.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, kritisierte den Thüringer Verfassungsschutz. Er gehe davon aus, dass man dort wesentlich mehr über die Zwickauer Zelle weiß als bislang bekannt, sagte Schulz dem „Hamburger Abendblatt“. „Ich glaube nicht, dass das Trio 13 Jahre lang unbeobachtet seine Kreise ziehen konnte und bei all seinen Taten - Bankrauben, Morden, Attentaten - keine einzige Spur hinterlassen haben soll.“ Aus Angst vor weiteren Anschlägen aus dem rechtsradikalen Milieu forderte der Zentralrat der Muslime in Deutschland Schutz vom Staat an. „Wir haben die Sicherheitsbehörden gebeten, für den Schutz muslimischer Einrichtungen und deren Repräsentanten Vorkehrungen zu treffen“, sagte der Vorsitzende Aiman Mazyek den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe.

Weiter auf der nächsten Seite: Warum war der Verfassungsschützer am Tatort?

Ist der Verfassungsschutz in die Mordserie des Neonazi-Trios verwickelt?

Eine direkte Verwicklung ist bislang nicht zu erkennen. Es gibt keine substanziellen Hinweise, dass ein Mitglied des Trios oder mehrere Mitglieder vom Verfassungsschutz als Spitzel geführt wurden. Ein anderer schwerwiegender Verdacht, den einige Zeitungen äußerten, bleibt offen. Ein hessischer Ex-Verfassungsschützer soll in einen Mord der Serie von Attentaten auf türkischstämmige Männer und einen Griechen verstrickt sein.

Die Staatsanwaltschaft Kassel, die in dem Fall vor fünf Jahren ermittelte und das Verfahren dann einstellte, sieht zwar keinen Anlass für neuen Verdacht. „Alles, was damals an Erkenntnissen da war, wurde ausgeschöpft“, sagte am Dienstag der Sprecher der Behörde, Götz Wied. Doch nach Informationen des Tagesspiegels war der Verfassungsschützer in seiner Jugend rechtsextrem und wurde in seinem Ort „der kleine Adolf“ genannt. In Sicherheitskreisen hieß es, der Mann sei mehrfach überprüft worden, ohne dass ein Hinweis auf eine weiter bestehende bräunliche Gesinnung entdeckt wurde.

Bleibt aber die Frage, was der Verfassungsschützer am Tag des Mordes, dem 6. April 2006, am Tatort, einem Internetcafé in Kassel, zu suchen hatte. Der Beamte chattete nach Tagesspiegel-Informationen mit seiner Geliebten, zu Hause saß seine schwangere Frau. Da erschienen mutmaßlich die beiden Männer des Jenaer Neonazi-Trios, Uwe M. und Uwe B., und erschossen den deutschtürkischen Betreiber des Internetcafés, den 21-jährigen Halit Yozgat. Es war der letzte Mord in der Anschlagsserie auf die türkischstämmigen Männer und den Griechen.

Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten alle Personen, die sich ungefähr zur Tatzeit in dem Lokal aufgehalten hatten. Fast alle Zeugen machten auch eine Aussage, nur der Verfassungsschützer meldete sich nicht. Die Polizei holte ihn ab, er wurde im Polizeipräsidium vernommen und konnte am nächsten Abend wieder gehen. Auch die weiteren Ermittlungen ergaben keinen Hinweise, der Verfassungsschützer könnte mit den Todesschützen in Verbindung gestanden haben. Und die Waffen, die der Mann in seiner Wohnung lagerte, waren registriert. Staatsanwalt Wied betonte, es gebe auch keine Anhaltspunkte für das Gerücht, der Verfassungsschützer habe sich an sechs Tatorten der Attentatsserie aufgehalten.

Wofür braucht der Verfassungsschutz V-Leute?

Der Verfassungsschutz ist auf V-Leute angewiesen, um aus extremistischen Szenen heraus regelmäßig Informationen zu bekommen. Andere Methoden, zum Beispiel Telefonüberwachung, muss sich der Nachrichtendienst erst genehmigen lassen. Bei den V-Leuten handelt es sich um Extremisten, die vom Verfassungsschutz gezielt angesprochen werden, manchmal auch in der Haft. Den potenziellen Spitzeln wird Geld angeboten oder Hilfe, beispielsweise einen Führerschein wiederzubekommen. Lässt sich ein Extremist auf die Zusammenarbeit ein, wird er von einem V-Mann-Führer betreut. Bei den Treffen mit dem Beamten erzählt der spitzelnde Neonazi oder Islamist oder Autonome, welche Aktionen in seinem Milieu geplant werden. V-Leute sind nicht identisch mit eingeschleusten Agenten. Diese sind Beamte einer Sicherheitsbehörde, die getarnt Informationen beschaffen.

Wie viele V-Leute die 17 Verfassungsschutzbehörden führen, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Der Nachrichtendienst muss allerdings den Parlamentarischen Kontrollkommissionen der Landtage und dem Kontrollgremium des Bundestages Auskunft über geheime Aktionen geben. Jede Verfassungsschutzbehörde hat nur eine Liste der eigenen V-Leute. Ein zentrales Register ist nicht bekannt.

Was dürfen V-Leute?

Die Beteiligung an Straftaten ist nicht erlaubt. Das ist allerdings für V-Leute oft schwer durchzuhalten. Halten sie sich von kriminellen Aktivitäten fern, erregen sie in der Szene Misstrauen. Beteiligen sich V-Leute dann doch an Delikten, wird es für den Verfassungsschutz schnell heikel. Häufig bricht der Verfassungsschutz dann den Kontakt ab.

Wie verhält sich die NPD zu den Taten des Mord-Trios?

Der neue NPD-Vorsitzende Holger Apfel hat sich am Montag in brachialem Ton von dem „Zwickauer Killer-Trio“ distanziert. Wer angesichts der „Bestialität“ der Täter auch nur ansatzweise auf die Idee komme, dies könne im Sinne der NPD sein, „ist entweder unzurechnungsfähig oder agiert aus durchsichtigem politischem Interesse“, verkündete Apfel im Internet. Es folgten die erwartbaren Attacken auf den in der NPD verhassten Verfassungsschutz.

Welche Chancen hätte ein erneutes NPD- Verbotsverfahren?

Im März 2003 stellte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts das Verfahren ein, das Regierung, Bundestag und Bundesrat angestrengt hatten. Drei Richter meinten, mit den V-Leuten in der Partei liege ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“ vor. Mit den Spitzeln sei ein rechtsstaatliches und faires Verfahren unmöglich. Vier Richter votierten dagegen, sie konnten aber nichts ausrichten, weil für eine Fortsetzung sechs Stimmen nötig gewesen wären.

Doch setzt man voraus, dass die NPD in „aktiv kämpferischer Haltung“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht, bleibt das Verbot möglich. Das Personal im Zweiten Senat hat gewechselt, insbesondere Winfried Hassemer ist nicht mehr dabei. Als gelernter Strafrechtler war er besonders strikt in puncto Verfahrenshindernis und Ansprüchen an ein faires Verfahren. Die Auffassung der drei Verweigerer war auch nur Teil einer Prozessentscheidung und keines Sachurteils. Damit bindet sie formal niemanden. Die Richtermehrheit hielt es damals im Gegenteil sogar für nötig, die NPD im Sinne der Gefahrenabwehr auch vor und während des Verbotsverfahrens zu bespitzeln. Es gibt juristisch kaum Gewissheiten. Ein Verbotsurteil braucht immer noch sechs Stimmen. (mit dpa)

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