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Fahndung nach Migrantenmördern: Niemand ging von rechtem Terror aus

Die Bundesanwaltschaft hätte der NSU schon 2004 auf die Spur kommen können – wäre sie einbezogen worden. Bei der Fahndung nach den Neonazi-Mördern wurden Chancen vertan.

Von Frank Jansen

Otto Schily wagte eine rasche Prognose. Am 10. Juni 2004, einen Tag nach der Explosion einer Nagelbombe vor einem türkischen Friseursalon in Köln, verkündete der damalige Bundesinnenminister, der Anschlag habe vermutlich keinen terroristischen Hintergrund. Schilys Amtskollege in Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens, äußerte sich ähnlich. Doch die zwei Sozialdemokraten irrten.

Der Anschlag, bei dem 22 Menschen verletzt wurden, ging auf das Konto der Thüringer Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), wie sich im November 2011 nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und der Festnahme von Beate Zschäpe herausstellte. Diese Erkenntnis wäre nach Informationen des Tagesspiegels offenbar schon 2004 möglich gewesen, wäre die Bundesanwaltschaft, spezialisiert auf Terrorverfahren, eingeschaltet worden.

Video - Frank Jansen im Gespräch: Die braune Gefahr

Dass da eine Chance vertan wurde, lässt sich aus dem umfangreichen Material schließen, das eine „Evaluierungsgruppe Allgemeines Register für Staatsschutzstrafsachen“ bei der Anklagebehörde in Karlsruhe zusammengetragen hat. Generalbundesanwalt Harald Range beauftragte noch im November 2011 vier Staatsanwälte damit, mögliche Versäumnisse beim Thema NSU zu prüfen. Innerhalb eines Monats sichteten die Experten 8000 Vorgänge von 1995 bis 2011. Bei 45 Komplexen wurden die Staatsanwälte fündig. Es waren sogar Vorgänge mit Namen von NSU-Leuten dabei.

Schon im Sommer 1996, anderthalb Jahre vor dem Abtauchen der Gruppe, gerieten Mundlos und Zschäpe in den Blick der Bundesanwaltschaft. Die beiden hatten sich in Worms an einem verbotenen Aufmarsch beteiligt, wie auch ihre „Kameraden“ Ralf Wohlleben und Holger G. Die zwei sitzen seit Ende 2011 wegen des Verdachts auf Hilfe für den NSU in Untersuchungshaft. Doch es gibt noch brisantere, alte Vorgänge, die die Bundesanwaltschaft nach dem Anschlag in Köln auf die Spur der Gruppe hätten führen können.

Bilderstrecke - Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Mordserie

Im März 1999 zerstörte ein Sprengstoffanschlag in Saarbrücken die Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht. Möglicherweise im Zusammenhang mit der Tat verschickten Unbekannte bis ins Jahr 2000 Drohbriefe mit Bombenattrappen. Das Bundeskriminalamt prüfte, ob Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die Absender sein könnten, da die Attrappen denen ähnelten, die die drei vor dem Gang in den Untergrund versandt hatten. Die Beamten machten sogar „Vergleichsuntersuchungen“ mit DNA-Spuren und Fingerabdrücken der drei Thüringer.

Das Ergebnis war negativ – dennoch hätten diese „Prüfvorgänge“ der Bundesanwaltschaft, erst recht DNA-Spuren und Fingerabdrücke, für die Spurensuche nach dem Bombenanschlag in Köln enorme Bedeutung haben können. Hätte die Bundesanwaltschaft 2004 die Ermittlungen übernehmen können, wäre ein Abgleich mit den Untersuchungen zum Anschlag auf die Wehrmachtsausstellung und den verschickten Bombenattrappen naheliegend gewesen. Doch die Kölner Strafverfolgungsbehörden, moralisch gestützt durch die Innenminister Schily und Behrens, hielten einen rechtsextremen Terrorakt für unwahrscheinlich und glaubten eher an Ausländerkriminalität. Die Bundesanwaltschaft blieb außen vor.

Von Otto Schily, derzeit im Urlaub, war keine Stellungnahme zu erhalten. Behrens mailte dem Tagesspiegel, er habe an den Kölner Fall „nur noch vage Erinnerungen“, aber „ganz sicher“ einen terroristischen Hintergrund nicht ausgeschlossen. Der Ex-Minister vermutet aber, er habe im Juni 2004 geäußert, nach bisherigem Ermittlungsstand gebe es „keinen Hinweis auf einen terroristischen Hintergrund“. Die Frage, wie er den Irrtum heute sehe, beantwortete Behrens nicht.

Unterdessen bestätigte die Bundesanwaltschaft, 2006 habe die Kölner Staatsanwaltschaft Asservate zu einem weiteren NSU-Anschlag vernichten lassen. Es seien keine Spuren erkennbar gewesen.

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