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Politik: "Niemand will Jugoslawiens Grenzen verändern"

RUDOLF SCHARPING (51) ist seit Oktober vorigen Jahres Bundesverteidigungsminister.Stationen seiner politischen Karriere: 1991 bis 1994 Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, 1993 bis 1995 Bundesvorsitzender der Sozialdemokraten, 1994 Kanzlerkandidat seiner Partei.

RUDOLF SCHARPING (51) ist seit Oktober vorigen Jahres Bundesverteidigungsminister.Stationen seiner politischen Karriere: 1991 bis 1994 Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, 1993 bis 1995 Bundesvorsitzender der Sozialdemokraten, 1994 Kanzlerkandidat seiner Partei.Mit Scharping sprach Thomas Kröter.

TAGESSPIEGEL: Herr Minister, Sie sehen müde aus.

SCHARPING: Geistig bin ich wach.

TAGESSPIEGEL: Was ist schlimmer: Der körperliche Streß der Rund-um-die-Uhr-Belastung oder die enorme Verantwortung?

SCHARPING: Das ist nicht voneinander zu trennen.Es sind 18 bis 20 Stunden am Tag.Manchmal wird man noch wegen wichtiger Nachrichten geweckt.Die Verantwortung ist beachtlich, wegen der entsetzlichen Lage der Kosovo-Albaner und für die Sicherheit der eingesetzten Soldaten.Aber ich komme zurecht damit.

TAGESSPIEGEL: Kommentatoren haben der Bundesregierung anfangs Leichtfertigkeit vorgeworfen.Nun sehen sie sie gereift.Arroganz der Beobachter oder ist aus der Sicht eines Beobachteten etwas dran?

SCHARPING: Manches wächst durch Prüfung.Auch diese Regierung.Wir waren am Anfang mit unseren Vorhaben zu schnell.Und es gab handwerkliche Fehler.Jetzt handelt die Regierung klar, kompetent und effizient.Kanzler Schröder, Außenminister Fischer und ich arbeiten hervorragend zusammen.

TAGESSPIEGEL: Jetzt müssen Sie unter Streß schnell handeln, und dennoch macht diese Regierung diesen erwachseneren Eindruck?

SCHARPING: Es ist mehreres zusammengekommen: Die Verhandlungen um die Agenda 2000, der Rücktritt der EU-Kommission und dann noch die Krise um den Kosovo - da haben die Akteure gezeigt, daß sie ihre Verantwortung verstanden haben.

TAGESSPIEGEL: Trotzdem haben Sie im Kosovo ein Problem.Sie bemühen sich, der Öffentlichkeit klar zu machen, daß die aktuellen Greuel des Milosevic-Regimes lange vorbereitet sind.Dennoch bleibt der Eindruck: Die humanitäre Katastrophe tritt in dem Moment ein, da die NATO versucht, sie militärisch zu verhindern.Brauchen Sie nicht schnelle Erfolge, um die Unterstützung der Öffentlichkeit zu behalten?

SCHARPING: Glaubt jemand ernsthaft, die Situation der Menschen im Kosovo hätte sich verbessert ohne das Eingreifen der NATO? Wir wissen doch, in welch rasantem Tempo die Gewalt seit Januar zugenommen hat.Selbst während der Verhandlungen von Rambouillet gab es Massaker.

TAGESSPIEGEL: Trotzdem nähren die täglichen Nachrichten Zweifel.

SCHARPING: Es gibt die berechtigte Frage, ob das Eingreifen der NATO zum Ziel führen kann.Deshalb muß Klarheit über das Ziel bestehen: Milosevic mit einer - für die eingesetzten Soldaten sehr risikoreichen - Operation die militärischen Mittel aus der Hand zu schlagen, die Bevölkerung im Kosovo zu vertreiben und zu ermorden.

TAGESSPIEGEL: Wie lange wird das dauern?

SCHARPING: Niemand hatte die Illusion, in wenigen Tagen ändern zu können, was in den letzten 10 Jahren immer stärker geworden ist.Milosevic ist unmittelbar verantwortlich für rund 300 000 Tote in Bosnien, zwei Millionen Flüchtlinge, eine ungeheure Zahl scheußlichster Verbrechen.

TAGESSPIEGEL: Die Intensität Ihrer Argumentation legt die Übersetzung nahe: Es kann viele Wochen, ja Monate dauern.

SCHARPING: Ich hoffe nicht.Aber es ist besser, sich auf eine längere Dauer einzurichten und unsere Entschlossenheit zu unterstreichen.Es muß das Morden im Kosovo aufhören.Es muß einen Rückzug der Truppen, eine Rückkehr der Flüchtlinge unter internationale Garantie geben.Dann können die militärischen Maßnahmen sofort eingestellt werden.

TAGESSPIEGEL: Völliger Rückzug der bewaffneten Serben.Das klingt nach bedingungsloser Kapitulation.

SCHARPING: Wollen wir die Mörder und die Opfer in einem Dorf in unmittelbarer Nachbarschaft leben lassen?

TAGESSPIEGEL: Das ist die moralische Position.Aber ist ihre unmittelbare Durchsetzung ein realistisches Kriegsziel?

SCHARPING: Politik ohne Moral, ebenso: Moral ohne Politik - das ist für mich unvorstellbar.Niemand will Jugoslawiens Grenzen verändern.Wenn es ein Risiko für seine territoriale Integrität gibt, dann geht es von Milosevic aus.Er zerstört sein Land.Gott sei Dank gibt es dort immer noch ein lebendiges demokratisches Potential.Ich nenne die Distanz der Teilrepublik Montenegro zu Milosevic, Flucht von Männern, die in diesem Krieg nicht dienen wollen, Demonstrationen mit der Frage, warum Milosevics 24jähriger Sohn nicht in der Armee dient.

TAGESSPIEGEL: Das Dayton-Abkommen über den Frieden in Bosnien ist von Milosevic unterzeichnet.Wer unterschreibt den Vertrag, der am Ende der Kämpfe im Kosovo steht?

SCHARPING: Schwer zu sagen.Jedenfalls wird man den Versuch machen müssen, der in der Vergangenheit zu zögerlich unternommen wurde, die demokratischen Alternativen zu unterstützen.

TAGESSPIEGEL: Sie sehen den Sturz Milosevics nicht als Folge des Krieges?

SCHARPING: Ganz persönlich wäre es mir lieber, wenn er vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal stünde, nicht an irgendeinem Verhandlungstisch säße.Aber ich bin Realist.

TAGESSPIEGEL: Italien und Griechenland, unmittelbare Nachbarn der Kriegsregion, haben erste Andeutungen in Richtung Waffenstillstand gemacht.Wird die NATO über eine längere Kriegsdauer einig bleiben?

SCHARPING: Da bin ich ganz sicher.Denn alle haben verstanden: Wenn wir noch einmal wegschauen, wenn in Europa gemordet wird, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit und lassen Völkermord geschehen, ohne Sühne.

TAGESSPIEGEL: Die Bundeswehr bereitet sich in Mazedonien auf die Durchsetzung eines Friedensabkommens vor.An den Kampfhandlungen ist sie nur in sehr geringem Umfang beteiligt.Halten Sie eine Ausweitung für möglich, eventuell nötig?

SCHARPING: Unser Beitrag ist qualitativ unverzichtbar.Wir bewegen uns im Rahmen der Erwartungen des Bündnisses und auf der festen Grundlage der vom Bundestag erteilten Mandate.

TAGESSPIEGEL: Wäre eine Ausweitung denn möglich, falls die Anforderungen der NATO sich ändern?

SCHARPING: Ich will keine Spekulationen in die Welt setzen.Nach dem heute übersehbaren Stand wird die NATO mit den eingesetzten Mitteln in der Lage sein, ihre Ziele zu erreichen.Dazu leisten wir unseren Beitrag.

TAGESSPIEGEL: Eine "Wehrstrukturkommission" soll die Bundeswehr der Zukunft planen.Läßt die Beanspruchung durch den Doppeleinsatz in Bosnien und im Kosovo nicht schon klar werden, daß die Aufteilung in große Verteidigungs- und kleine Krisenreaktionskräfte verändert werden muß?

SCHARPING: Das ist eindeutig so.Der Aufbau der Krisenreaktionskräfte ist ja noch nicht einmal abgeschlossen...

TAGESSPIEGEL: ...es gibt knapp 40 000 von geplanten gut 50 000 Mann.

SCHARPING: Unbeschadet einer sorgfältigen Prüfung der langfristigen Entwicklung der Bundeswehr müssen aktuell Anpassungen entschieden werden.Es gibt Engpässe etwa in der Logistik und im Sanitätswesen.Seit der Deutschen Einheit hat es einen massiven Abbau der Bundeswehr gegeben.In den nächsten Jahren werden nicht mehr quantitative, sondern qualitative Fragen im Vordergrund stehen.Weil Veränderungen mit Belastungen verbunden sind, gehört für mich zum qualitativen Moment planerische und soziale Sicherheit für die Angehörigen der Bundeswehr und ihre Familien.

TAGESSPIEGEL: Aber das kann doch nur heißen: Rechtzeitig sagen, daß etwa die Krisenreaktionskräfte größer werden.

SCHARPING: Das wird ganz sicher geschehen.Sie müssen den neuen Herausforderungen angepaßt werden.

TAGESSPIEGEL: In welcher Größenordnung?

SCHARPING: Das ist weniger eine Frage der Zahl als der Zuordnung bestimmter Verbände, ihrer Führungsfähigkeit und der Beseitigung von Engpässen.

TAGESSPIEGEL: Eine Rechnung lautet: Damit sie sich bessere, größere Krisenreaktionskräfte leisten kann, muß die Bundeswehr kleiner werden.Zu einfach?

SCHARPING: Eine Milchmädchen-Rechnung.Dahinter steht die Erwartung, man könne im Verteidigungsetat mehr sparen.Das übersieht die gewachsene Bedeutung Deutschlands.Unter den 19 NATO-Partnern liegen unsere Verteidigungsausgaben aber nur an 14.Stelle, gleichauf mit Belgien und Spanien, gerade noch vor Luxemburg und Island.Wer außenpolitisch in der ersten Reihe sein will, kann nicht sicherheitspolitisch in Reihe 14 spielen.

TAGESSPIEGEL: Die Bundeswehr wird also nicht kleiner?

SCHARPING: Das hat weniger mit ihrer Größe zu tun, als mit den Investitionen in ihre Leistungsfähigkeit.Die Europäer verfügen über keine strategische Aufklärung...

TAGESSPIEGEL: ...sie haben kein modernes großes Transportflugzeug ...

SCHARPING: ...was wir dringend brauchen.Die Transall ist rund 30 Jahre alt.Bei manchem Gerät erfordert es großen Aufwand um seine Leistungsfähigkeit in der erforderlichen Höhe aufrechtzuerhalten.

TAGESSPIEGEL: Dafür frißt der neue Euro-Fighter den Investitionsetat.

SCHARPING: Er wird aber Flugzeuge ersetzen, die zum Teil auch 30 Jahre alt sind.

TAGESSPIEGEL: Wird die gewachsene internationale Verantwortung der Bundesrepublik Ihre Position im Streit verbessern, der auch mit dem neuen Finanzminister Hans Eichel üblich sein wird?

SCHARPING: Der Finanzminister muß seine Aufgabe wahrnehmen.Ich habe deutlich gemacht, daß in einer schwierigen Situation des Gesamtstaates auch der Verteidigungsbereich seinen Beitrag leistet - aber keinen überproportionalen.Die Entwicklung der letzten Monate bedeutet nicht nur eine Zäsur in der deutschen Außenpolitik, sondern einen Quantensprung im internationalen Ansehen Deutschlands.

THOMAS KRÖTER

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