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Die ehemalige nigerianische Bildungsministerin und Vize-Präsidentin der Weltbank, Obiageli Ezekwesili (mit Megafon), gehört zu den Organisatorinnen der Solidaritätsproteste für die Befreiung der rund 300 entführten Mädchen. Das Foto zeigt sie beim täglichen Protest in der Hauptstadt Abuja.

© Reuters

Update

Nigeria: Nigerias Präsident erklärt Boko Haram den "totalen Krieg"

Vier der von Boko Haram entführten Mädchen sind wieder frei - das Schicksal der anderen bleibt völlig unklar. Der Terror in Nigeria geht unterdessen weiter. Mehr als 40 Menschen wurden bei einem weiteren Angriff auf ein Dorf im Nordosten getötet.

Zum 15. Jahrestag der Demokratie in Nigeria hat Präsident Goodluck Jonathan der islamistischen Sekte Boko Haram erneut den „totalen Krieg erklärt“. In seiner Rede an die Nation sprach der davon, dass Nigeria gegen den internationalen Terrorismus kämpfe, und versicherte, „dass Nigeria wieder sicher sein wird“.
Am Vorabend hatten politische Anhänger Jonathans offenbar gegen Geld Demonstranten angegriffen, die seit mehr als vier Wochen täglich am Einheitsbrunnen in der Hauptstadt Abuja die Rückkehr von knapp 300 von Boko Haram entführten Mädchen im Nordosten Nigerias fordern. Die Angreifer, so zitiert die Online-Zeitung „Premium Times“ Zeugen, hätten 5000 Naira (rund 22 Euro) dafür bekommen, die Demonstranten anzugreifen. Sie waren mit Bussen herangefahren worden, auf denen Wahlplakate für den Präsidenten werben, der kommendes Jahr wieder gewählt werden will.

Die Armee sagt, sie weiß, wo die Mädchen sind

Die nigerianische Regierung scheint derweil unter dem Druck der Weltöffentlichkeit mit mehr Einsatz nach den Schülerinnen zu suchen. Nachdem die Machthaber drei Wochen lang zunächst nichts unternommen hatten, um die Mädchen zu finden und nur darum bemüht waren, die Entführung unter den Teppich zu kehren, behauptet die Armeeführung nun plötzlich, den Aufenthaltsort der Schülerinnen zu kennen. Allerdings könne man nichts über den Ort verraten, weil die Suche ein „Militärgeheimnis sei, erklärte der Chef der Luftwaffe, Marschall Alex Badeh. Aus Sorge um das Leben der Mädchen werde die Armee auch keinen Befreiungsversuch unternehmen.
Wie gefährlich eine solche Aktion selbst bei der Verwendung von Spezialkräften wäre, zeigt der Einsatz eines britisch-nigerianischen Spezialteams vor zwei Jahren. Bei der versuchten Befreiung zweier britischer und italienischer Geiseln im Norden Nigerias waren beide von den Islamisten ermordet worden.

Viel Glaubwürdigkeit besitzen die Aussagen der nigerianischen Militärführung allerdings nicht. Viele Nigerianer machen ihre Regierung und die Sicherheitskräfte dafür verantwortlich, dass die entführten Mädchen noch nicht befreit worden sind. Selbst die amerikanische Regierung, die inzwischen neben Drohnen auch bemannte Aufklärungsflugzeuge nach Nigeria entsandt hat, bezweifelt nach Angaben aus Militärkreisen in Washington, dass die Mädchen wirklich geortet wurden.

Die USA hätten die nötigen Waffen

Dabei verfügen gerade die USA über geräuschlose Hochpräzisionswaffen für einen solchen Einsatz: Die zuletzt über der Sahelzone eingesetzten Reaper-Drohnen haben einen Radius von mehr als 1000 Kilometern und können stundenlang über ihrem Zielgebiet kreisen – oft in Höhen, in denen sie nicht gesehen werden können. In den vergangenen Monaten sind sie vor allem zur Unterstützung der französischen Militäraktion gegen einen Al-Qaida-Ableger im westafrikanischen Mali zum Einsatz gekommen.

Seit der Entführung der Schülerinnen im April hat Boko Haram im Nordosten des Landes mehr als 500 Menschen massakriert. Erst am Mittwoch gab es einen erneuten Überfall auf ein Dorf im Bundesstaat Borno, bei dem mehr als 40 Bewohner starben. Einen Tag zuvor waren bei Angriffen der Terrorbande auf Polizeistationen und Militärposten im Norden Dutzende Menschen getötet worden.

Am Donnerstag Morgen gegen zehn Uhr brach in einem Vorort der Hauptstadt Abuja Panik aus, als eine Explosion zu hören war. Drei Stunden später beteuerten Sicherheitskräfte, es habe sich um eine Sprengung gehandelt, weil dort eine Straße gebaut werde. Mitte April und Anfang Mai hatte es zwei Bombenanschläge auf Busbahnhöfe in Abuja gegeben, bei denen fast 100 Menschen getötet worden waren.

Ex-Präsident Obasanjo will mit Boko Haram verhandeln

Inzwischen hat sich Nigerias früherer Präsident Olusegun Obasanjo als Vermittler in die Befreiungsbemühungen um die Mädchen eingeschaltet. Angeblich hat sich der frühere Armeegeneral bereits am Wochenende mit Boko-Haram nahestehenden Leuten getroffen, um über die Freilassung der Schülerinnen zu verhandeln. Dabei sei auch ein Austausch gegen inhaftierte Mitglieder der Terrorbande debattiert worden. Dies hatte die Regierung in Abuja allerdings bereits ausgeschlossen, um einen Präzedenzfall zu vermeiden. Obasanjo war nach 1999 bis 2007 der erste frei gewählte Präsident nach der Militärdiktatur und hat bereits mehrmals erfolglos versucht, mit den Terroristen zu verhandeln. Inwieweit er bei seinem aktuellen Einsatz Rückendeckung von Präsident Goodluck Jonathan hat, ist unklar. Die Beziehungen der beiden gelten als angespannt, weil Obasanjo seinem Nachfolger von einer weiteren Kandidatur abgeraten haben soll.

Für die Eltern sind die jüngsten Vermittlungsversuche zumindest ein Hoffnungsschimmer. Allerdings erheben die Mädchen, die sich bislang aus den Fängen von Boko Haram befreien konnten, nicht nur schwere Vorwürfe gegen die Terrorbande und deren Behandlung sondern auch das Militär und sogar die eigenen Lehrer. Eines der Mädchen, dass bereits nach wenigen Tagen entkommen konnte, erzählte in einem Gespräch mit der Deutschen Welle wie die geflohenen Mädchen auf der Flucht an einen Checkpoint des Militärs gelangten. Als die Soldaten dort herausfanden, dass sie zu den entführten Mädchen aus Chibok gehörten, hätten sie den Schülerinnen befohlen, mit ihnen in die Kaserne nach Maiduguri, die Hauptstadt der Region, zu fahren. Dort mussten sie den Vorgesetzten der Soldaten erzählen, dass diese die Mädchen aus der Gefangenschaft von Boko Haram befreit hätten. Anschließend seien die Schülerinnen noch tagelang in der Kaserne festgehalten worden, ehe man sie zum Gouverneur der Provinz gebracht hätte, der sie schließlich den Eltern übergab.

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