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Politik: NMD-Auseinandersetzung: Schulterschluss unerwünscht

Für das wichtigste Gesprächsthema bei seinem Besuch in Peking brauchte Rudolf Scharping eigentlich keinen Übersetzer. Bei seinen Treffen mit Chinas Staats- und Militärführern bekam der deutsche Verteidigungsminister immer wieder drei englische Buchstaben zu hören.

Für das wichtigste Gesprächsthema bei seinem Besuch in Peking brauchte Rudolf Scharping eigentlich keinen Übersetzer. Bei seinen Treffen mit Chinas Staats- und Militärführern bekam der deutsche Verteidigungsminister immer wieder drei englische Buchstaben zu hören. NMD - die Abkürzung für das geplante US-Raketenabwehrprogramm "Nuclear Missile Defence" ist Pekings Führern derzeit durchaus geläufig.

Kein anderes Thema beschäftigt Chinas Sicherheitspolitik mehr als das umstrittene Abwehrprogramm der Bush-Regierung. China und Russland sind die größten Gegner der NMD-Pläne. Peking fürchtet, dass NMD seine rund zwei Dutzend atomaren Interkontinentalraketen neutralisieren könnte. Auch die erwogene Einbeziehung Taiwans unter ein regionales Raketenabwehrsystem (TMD) wird von Peking als "ernsthafte Gefahr für den Frieden" abgelehnt.

Scharping, der als erster deutscher Verteidigungsminister nach China reiste, wollte in Peking eigentlich gemeinsame Sicherheitsinteressen wie die Energiesicherung in politisch instabilen Regionen besprechen. Bei einer Podiumsdiskussion mit chinesischen Militärstrategen drehte sich jedoch alles nur um NMD. Ob es einen Zusammenhang zwischen dem US-Programm und der europäischen Verteidigungsidentität gebe? Welche Haltung Scharping und Deutschland gegenüber den NMD-Plänen einnähmen?

Öffentlich gab Scharping nur ausweichende Antworten. Die Raketenabwehr sei "politisch noch nicht entschieden und technisch noch nicht durchführbar". Bis dahin bliebe "noch genügend Zeit für intensive politische Diskussionen", versuchte Scharping die Befürchtungen seiner Gesprächspartner zu zerstreuen. Statt zusammen mit Moskau die US-Pläne einfach nur abzulehnen, solle Peking mit Washington einen Dialog aufnehmen, forderte Scharping.

Der Militärexperte Chen Feng sprach Pekings Befürchtung schließlich am deutlichsten aus: Dass sich NMD gegen die vermeintlichen Schurkenstaaten Nordkorea und Irak richte, sei "eine Ausrede der USA". Das wirkliche Ziel hieße China. Professor Wang Jinbiao vom Institut für Weltentwicklungsforschung warnte vor einem "neuen Wettrüsten". NMD zwinge China, Russland und Indien, ähnliche Abwehrsysteme oder Raketen, die diese Systeme durchbrechen können, zu entwickeln. "Insgesamt wird sich die Sicherheitslage der Welt durch NMD verschlechtern", warnte Wang.

Auch wenn Peking in den politischen Gesprächen mit Scharping das Thema NMD etwas vorsichtiger anpackte, war der Besuch für China eine Art Versuchsballon in die Atmosphäre der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Peking weiß, dass Deutschland und Europa nicht gerade begeistert über Washingtons Rüstungspläne sind, und sucht Verbündete.

Zu einem Schulterschluss mit Peking, das hat Scharping deutlich gemacht, ist Berlin trotz aller Zweifel an dem Raketenabwehrschirm jedoch nicht bereit. Ausdrücklich betonte er das "starke Band" zwischen den USA und Europa. Es sei für kein Land ratsam, auf eine Strategie zu bauen, die "auf eine Schwächung der Beziehungen zwischen den USA und Europa setzt", sagte er.

Nicht einfacher wurde Scharpings Besuch durch die Luftangriffe auf Irak. China, einer der wichtigsten Verbündteten Iraks, verurteilte die Militärschläge der USA und Großbritanniens scharf. Scharping verweigerte in China einen öffentlichen Kommentar zu den Luftangriffen. Eine Stellungnahme aus Peking könne nur zu "Missverständnissen" führen, sagte Scharping vor Studenten der Nationalen Verteidigungsuniversität. Welche Missverständnisse dies sein könnten, wollte der Minister nicht erklären.

Harald Maass

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