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Politik des leeren Stuhls. Der Platz des neuen Nobelpreisträgers im Osloer Rathaus blieb am Freitag demonstrativ leer.

© Odd Andersen/AFP

Nobelpreis für Liu Xiaobo: Kleines Norwegen, großes China

Die Wahl von US-Präsident Obama zum Friedensnobelpreisträger im letzten Jahr rief auch heftige Kritik hervor. An der Unabhängigkeit des Nobelkomitees gab es Zweifel – mit Lius Wahl wollte man sie entkräften.

„Wir ducken uns nicht vor Clowns“, polterte Jiang Yu, Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, laut der norwegischen Tageszeitung „Dagbladet“. Der Nobelpreis für Liu Xiaobo habe „das politische Verhältnis zwischen Norwegen und China zerstört. Es kann nicht mehr so freundschaftlich werden wie zuvor“.

Vor allem Norwegens Wirtschaft zeigte sich sehr beunruhigt über die Verleihung an einen Menschenrechtler aus China. Schließlich exportierte das Land mit seinen nur knapp fünf Millionen Einwohnern allein 2009 Waren im Wert von 15 Milliarden norwegischen Kronen nach China. Und ausgerechnet während der diesjährigen Nobelfeierlichkeiten sollte eine norwegische Delegation in China über das erste Freihandelsabkommen für ein europäisches Land überhaupt verhandeln. Wirtschaftsminister Trond Giske wurde ausgeladen.

Allerdings sagte Peking die Verhandlungen nicht ab, sondern verschob sie lediglich. Man müsse ein wenig Zeit verstreichen lassen bis zur nächsten Verhandlungsrunde, hat das chinesische Wirtschaftsministerium nach Angaben der norwegischen Regierung verlauten lassen. Das könnte allerdings zwei Jahre dauern, prognostiziert der Chinaexperte Willy Lam. Dann endet die Amtszeit von Präsident Hu Jintao, der die Preisverleihung als persönlichen Gesichtsverlust ansehen müsse. Er hatte höchstpersönlich im letzten Jahr die elfjährige Gefängnisstrafe für Liu bestätigt.

Allerdings zeichnet der norwegische Rundfunk ein optimistischeres Bild: Bei einer Umfrage unter Unternehmen im Chinageschäft war keine Verschlechterung der Lage festzustellen. Vor allem Norwegens Lachs scheint beliebter denn je zu sein. Gegen den chinesischen Vorwurf, der Nobelpreis sei eine politische Entscheidung seines Landes, hatte sich Norwegens sozialdemokratischer Ministerpräsident Jens Stoltenberg ohnedies gewandt: „Das Nobelkomitee ist völlig unabhängig von unserer Regierung.“

Die politische Unabhängigkeit der Nobeljury gilt allerdings als umstritten. Denn sie besteht aus ehemaligen Parlamentsabgeordneten, die nach dem Willen des Stifters Alfred Nobel vom Parlament gewählt werden. Zumeist sind es vor dem Ruhestand stehende Spitzenvertreter der Parteien. Die Mitglieder sind formell politisch unabhängig, waren aber ihr Leben lang führende Figuren in der norwegischen Politik. Entsprechend gab es bei der Wahl von US-Präsident Obama im letzten Jahr auch heftige Kritik.

Die Jury traue sich aus Rücksicht auf Norwegens Wirtschaftsinteressen nicht, hieß es, Personen auszuzeichnen, die mächtige Länder zu ihren Gegnern zählen. Vor allem gegen den Nobelkomitee-Vorsitzenden Thorbjörn Jagland richtete sich der nun demonstrativ entkräftete Befangenheitsverdacht, denn neben seiner engen Bindung zur sozialdemokratischen Regierung ist er auch noch Vorsitzender im Europarat. Die Verflechtung von Politik und Komitee sei „ein politisches Dilemma, das weiter bestehen wird“, kritisiert Berg Harpviken, Chef des renommierten norwegischen Friedensforschungsinstitutes Prio. Nun hat Norwegen seinen Mut zusammengenommen – und muss die Konsequenzen tragen.

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