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Politik: Noch ein Papst aus einem fernen Land?

Johannes Paul II. bedeutete Südamerikanern und Afrikanern viel – der Nachfolger könnte von dort kommen

„Verwaist“, fühle sie sich, sagt eine junge Uruguayerin als sie vom Tod des Papstes erfährt. So wird es Millionen Menschen in Lateinamerika gehen, dem Subkontinent, den Johannes Paul II. 18 Mal besucht hat, und auf dem fast die Hälfte der über eine Milliarde Katholiken lebt. Fußballspiele und Fernsehsendungen wurden am Sonntag unterbrochen, Messen gelesen, der Papst in Nachrufen gewürdigt. Selbst Kubas Revolutionsführer Fidel Castro verhängte trotz Staatsatheismus eine dreitägige offizielle Trauer und ließ die Kirchenglocken im Andenken an den Papst läuten. In Nicaragua verhängte die Regierung eine siebentägige Trauer. In Guatemala stellten die Gläubigen das soziale Engagement des Papstes in den Vordergrund. Er habe stets die Benachteiligten und Bedürftigen verteidigt und sich für Frieden und Menschenrechte eingesetzt, sagte der frühere Gesandte im Vatikan, Acisclo Valladares.

Doch neben der Trauer spielt auch die Nachfolgerfrage in Lateinamerika eine große Rolle. Er fände es gut, wenn der nächste Papst Brasilianer oder Lateinamerikaner wäre, sagte Brasiliens Präsident Luiz Lula da Silva am Wochenende. Ganz abwegig ist das nicht. Brasilien hat mit 125 Millionen die größte katholische Gemeinschaft weltweit. In Kirchenkreisen wird seit längerem darüber spekuliert, dass der Kontinent das nächste Oberhaupt der Katholischen Kirche stellen könnte. „Es gibt lateinamerikanische Bischöfe, die diese Aufgabe übernehmen könnten“, sagte der polnische Kardinal Jozep Glemp. „Kein unmögliches Anliegen“, meint auch Roberto Blancarte vom Colegio de Mexico. „Vermutlich wird das Rennen zwischen einem Italiener und einem Lateinamerikaner ausgemacht.“ san

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Über alle Glaubensgrenzen hinweg trauern im mehrheitlich nicht christlichen Asien Millionen Menschen über den Tod von Johannes Paul II. In muslimischen Ländern wie Indonesien, Pakistan und Afghanistan wurde des Verstorbenen ebenso gedacht wie im mehrheitlich hinduistischen Indien und im vorrangig buddhistischen Sri Lanka. Auf den Philippinen, dem einzigen asiatischen Land mit überwiegend katholischer Bevölkerung, brachen in überfüllten Kirchen die Menschen in Tränen aus. Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo ordnete bis zum Begräbnis des Papstes Trauerbeflaggung an. Überlebende der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki gedachten des Papstes, der sie 1981 besucht hatte. Singapur würdigte das Engagement des Papstes gegen kommunistische Regime.

Chinas Staatsmedien dagegen verbreiteten nur eine knappe Todesmeldung. Internetforen zu dem Thema wurden stark zensiert. Offenbar will Peking eine breite Diskussion über den Papst und dessen Rolle beim Fall des Kommunismus verhindern. In vielen chinesischen Kirchen fanden am Sonntag dennoch spontane Gedenkfeiern für den Papst statt.

Der Umgang mit China ist ein großes politisches Problem, das Johannes Paul II. hinterlässt. Als einziger europäischer Staat unterhält der Vatikan diplomatische Beziehungen mit Taiwan. Im Gegenzug erkennen Pekings KP-Führer den Papst nicht als Oberhaupt der katholischen Kirche an. Die offiziell fünf Millionen Katholiken in China müssen sich in staatlichen „patriotischen Kirchen“ registrieren lassen. Nach Schätzungen gibt es jedoch bis zu zwölf Millionen papsttreue Katholiken, die in Untergrundkirchen beten. Erst am Wochenende protestierte der Vatikan gegen eine neue Inhaftierungswelle. Der 86-jährige Bischof von Wenzhou, Lin Xili, und Priester Zhao Zhendong von der Diözese Xuanhua seien verschleppt worden. Viele Untergrundchristen hoffen unter einem neuen Papst auf Annäherung zwischen Rom und Peking. Ein Signal könnte bereits die Trauerfeier für Johannes Paul II. sein. China wird genau beobachten, ob Taiwans Präsident zu den Feierlichkeiten reisen wird. maa/dpa

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Zehnmal ist Johannes Paul II. im Verlauf seiner Amtszeit in die 48 Staaten in Afrika südlich der Sahara gereist. Die tiefe Bewunderung und Dankbarkeit vieler Afrikaner dafür spiegeln die Radiosendungen und Leserbriefe der vergangenen Tage wider. Denn anders als viele westliche Staatschefs schreckte der Papst selbst bei Besuchen in Nigeria, Kenia oder im Kongo nie davor zurück, die herrschenden Diktatoren mit der Menschenrechtslage in ihren Ländern zu konfrontieren. „Bei seinem zweiten Besuch in Nigeria im Jahre 1998 traf er den damaligen Diktator Sani Abacha und sprach das Unrechtsregime in aller Öffentlichkeit auf die politischen Gefangenen an“, sagt Simdul Shagaya, ein Nigerianer, der heute in Südafrika lebt. „Er war ein unübertroffener Kirchenführer und Diplomat zu einer Zeit, als wir Afrikaner ihn brauchten.“ Nach Sambia flog Johannes Paul II. im Jahr 1990 zu einem Zeitpunkt, als dort noch Kenneth Kaunda herrschte und das Land ein Einparteienstaat war. „Ein Jahr später wurden in Sambia Mehrparteienwahlen abgehalten“, erinnert sich ein Hörer des Afrikaprogramms der BBC. „Viele Sambier glauben bis heute, dass der Kniefall des Papstes auf sambischem Boden etwas damit zu tun hat.“

Auf Zustimmung stoßen bei vielen gläubigen Afrikanern aber auch dessen traditionelle Moralvorstellungen, seine konservativen Ansichten zur Abtreibung sowie zum Gebrauch von Kondomen, die in Afrika Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Eindämmung der Aids-Katastrophe wären. Dass der Papst gern nach Afrika reiste, hatte aber wohl einen weiteren Grund: Das Christentum verbreitet sich dort schnell, wenn auch in höchst unterschiedlichen Formen. Allein im Verlauf der Amtszeit von Johannes Paul II. hat sich die Zahl der Katholiken in Afrika auf mehr als 100 Millionen verdoppelt. Sie sind die stärkste christliche Gruppe auf dem Kontinent. Von den 117 zur Papstwahl berechtigten Kardinälen kommen jedoch nur elf aus Afrika. Auch wenn sie mit Kardinal Francis Arinze aus Nigeria einen starken Kandidaten für die Wahl des nächsten Pontifex haben. wdr

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In den USA überschlagen sich Konservative in ihrem Lob. Er war es, der den Kommunismus besiegte. Er war es, der das Banner der Freiheit, der Religion und des Anstands vor sich her trug. Kein Zweifel: Papst Johannes Paul II. war einer von ihnen. Der Präsident meldete sich mit einer Huldigung des Verstorbenen zu Wort, die wie ein verfrühter Nachruf auf sich selbst klang. Die „Würde des menschlichen Lebens“ habe der Papst verteidigt, sagte George Bush, den Lauf der Geschichte verändert und „uns an unsere Pflicht ermahnt, eine Kultur des Lebens zu begründen“. Die Erinnerungen an den Tod der Wachkoma-Patientin Schiavo sind frisch. Der Papst und Bush: Waren sie nicht auch in diesem Kampf wie Brüder im Geiste?

Dass der Heilige Vater auch gegen die Todesstrafe wetterte, gegen beide Irakkriege, Materialismus und Ausbeutung anprangerte: All das wird von Amerikas Konservativen, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Statt dessen wird sein Mut gepriesen, sich gegen den Totalitarismus gewehrt zu haben, und seine klare, unverblümte Sprache. Die Wahrheit verträgt keine Kompromisse. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns: Eint nicht auch diese Haltung Bush und den Papst?

Anders urteilt etwa Christopher Hitchens im Online-Magazin „Slate“. Er wirft dem Papst Komplizenschaft in den Skandalen um sexuellen Missbrauch der katholischen Kirche in den USA. In deren Mittelpunkt stand Kardinal Bernard Law aus Boston. Doch der hat sich der US-Gerichtsbarkeit entzogen und lebt unbehelligt im Vatikan. Hitchens ist Linker, war aber für den Irakkrieg. Dass der Papst Tarik Aziz, „einem von Saddam Husseins blutrünstigsten Gefolgsleuten“, eine Audienz gewährte, nimmt er ihm übel. Im heftigen Gedenkstreit spiegelt sich die Polarisierung der USA wider. mal

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