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Neuer Bundespräsident Steinmeier: „Wir brauchen das Dauergespräch unter Demokraten – nicht die tägliche Selbstbestätigung unter Gleichgesinnten."

© dpa/Sophia Kembowski

Norbert Lammert und der Alterpräsident: Keine Angst vor der AfD!

Der Bundestagspräsident schlägt eine Regeländerung vor: Künftig soll der Alterspräsident nach parlamentarischen Dienstjahren bestimmt werden. Das klingt nach Trickserei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Am vergangenen Mittwoch hielt der neue Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, seine Antrittsrede im Bundestag. Zuvor war ihm von Bundestagspräsident Norbert Lammert der Amtseid abgenommen worden. Steinmeiers Rede wurde allseits positiv aufgenommen. Es hieß, er  habe die richtigen Akzente gesetzt, die Dinge deutlich beim Namen genannt. Eines seiner Themen drehte sich um das Aushalten anderer Meinungen, die Kultur des Streitens.

„Wir brauchen das Dauergespräch unter Demokraten – nicht die tägliche Selbstbestätigung unter Gleichgesinnten“, sagte das neue Staatsoberhaupt, „warum nicht mal mit denen sprechen, die Facebook uns nicht als Kontakt vorschlägt?“ Und wenig später: „Ich will, dass wir uns rauswagen aus den Echokammern, auch aus mancher Selbstgewissheit der intellektuellen Ohrensessel.“

Lammert, der Bundestagspräsident, hat diese Worte gehört und ihnen Beifall gezollt. Einen Tag später schlug er dem Ältestenrat des  Parlaments eine Regeländerung vor. Der Alterspräsident, dessen einzige Funktion darin besteht, die erste Sitzung im Bundestag nach einer Wahl so lange zu leiten, bis ein neuer Bundestagspräsident gewählt wurde, möge künftig nicht mehr nach Alter bestimmt werden sondern nach parlamentarischen Dienstjahren. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der Steinmeiers Rede ebenfalls gehört und für gut befunden hatte, kündigte umgehend seine Unterstützung für Lammerts Vorschlag an.

Ist das Alter eines Menschen eine Leistung, die für ein bestimmtes Amt qualifiziert? Darüber lässt sich lange streiten. Es gibt Landesparlamente, die ihren Alterspräsidenten nach Dienstjahren bestimmen. Doch einen solchen Vorschlag ausgerechnet ein halbes Jahr vor einer Bundestagswahl vorzubringen, zu dessen Ergebnissen der Einzug der „Alternative für Deutschland“ (AfD) ins Parlament zählen dürfte, trägt den Beigeschmack der Trickserei.

Plant Lammert eine "Lex AfD"?

Ginge es nach der bisherigen Tradition, könnte  entweder der niedersächsische AfD-Politiker Wilhelm von Gottberg, der in wenigen Tagen 77 Jahre alt wird, oder der dann 76-jährige AfD-Vize Alexander Gauland Alterspräsident des Bundestages werden. Der Verdacht drängt sich daher auf, dass Lammert dies mit einer „Lex AfD“ verhindern will. Denn die offizielle Begründung, der Alterspräsident müsse ein „erfahrener Abgeordneter“ sein, überzeugt erstens inhaltlich nicht – was soll so schwierig daran sein, eine Bundestagssitzung zu leiten, bis ein Bundestagspräsident gewählt wurde? -, und würde zweitens, wenn sie denn richtig wäre, schon seit jeher richtig sein. Warum also ausgerechnet jetzt?

Es gab schon einmal Querelen um einen Alterspräsidenten. Im Jahr 1994 hatte der Schriftsteller Stefan Heym, der als parteiloser Kandidat auf der offenen Liste der PDS kandidiert hatte, ein Direktmandat gewonnen. Mit seinen 81 Jahren hielt er die Eröffnungsrede. Die Abgeordneten der Unionsfraktion – mit Ausnahme von Rita Süssmuth – verweigerten ihm demonstrativ den Applaus, und seine Rede wurde nicht im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht. Das war eine unsouveräne, ja peinliche Reaktion. Bei aller Unvergleichbarkeit: Der deutsche Parlamentarismus ist stark genug, um auch einen Alterspräsidenten der AfD zu ertragen. So viel Steinmeier muss sein.

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