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PKK Türkei

© AFP

Nordirak: Die Todesmüden

Fevzi Sürmeli verkauft keine Sättel mehr. Mehmet will nicht mehr hungern. Aber die PKK-Sprecherin meldet aus den Bergen: Keine Verhandlungen! Geschichten aus dem kurdisch-türkischen Konflikt, der zum Krieg zu werden droht.

Fevzi Sürmeli schiebt seufzend das Teeglas beiseite, klemmt die Zigarette in den Mundwinkel und schwingt sich auf die Holzplattform, die seine Werkstatt halb ausfüllt. Mit geübtem Griff streift er ein Stück Filz glatt, wickelt bunt gewebten Wollstoff darum und fädelt Schnur durch seinen Pfriem, bevor er mit weit ausholenden Bewegungen alles zusammennäht. Fertig ist der Bauchgurt und damit endlich auch der ganze Sattel – ein Prachtstück von einem Eselssattel, wie ihn sonst kaum noch jemand in der Türkei zu fertigen versteht. Einzig aus Stroh, Filz und Wollstoff genäht, ist er elastisch und stabil zugleich, passt sich schonend dem Rücken jedes Esels an und tut jahrelang gute Dienste.

Aber so schön der Sattel auch ist – Freude mag bei Fevzi Sürmeli nicht aufkommen. Auf dem Boden seiner winzigen Werkstatt in der Altstadt von Diyarbakir stapeln sich die Sättel. 15 bis 20 verkauft Fevzi Sürmeli normalerweise im Monat, doch seit einem Monat ist keiner mehr abgeholt worden. „Seit das alles wieder losgegangen ist, kommen meine Kunden nicht mehr aus den Bergdörfern herunter“, sagt Sürmeli. In den Bergen östlich von Diyarbakir wird fast ununterbrochen gekämpft, seit die kurdischen PKK-Rebellen im Oktober bei zwei Angriffen 25 türkische Soldaten getötet haben, es waren die schwersten Verluste der türkischen Armee seit zwölf Jahren – und das in einem schon gewonnen geglaubten Krieg.

In den zerklüfteten Höhen des Cudi und des Gabar machen seither zehntausende Soldaten und hunderte Guerillakämpfer aufeinander Jagd.

Diyarbakir, Hauptstadt der Kurden in der Türkei, westlich von den heißesten Punkten eines Konflikts, der zum Krieg zu werden droht – hier wurzelt der Streit, der Wellen schlägt bis nach Berlin und Hamburg, wo tausende Kurden und Türken auf die Straßen gehen, manchmal miteinander, manchmal gegeneinander. Wer in den letzten drei Jahrzehnten in dieser Gegend geboren wurde, dessen Leben ist geprägt vom Kurdenkonflikt – „da kannst du noch so unpolitisch sein“, sagen die Menschen. Die schlimmsten Unterdrückungsmaßnahmen hat der türkische Staat an den Kurden hier ausprobiert, die schlimmsten Kurdenaufstände gegen die Türken gab es hier. Es ist ein Teufelskreis aus Unzufriedenheit und Angst, in dem sie hier hin und her taumeln. Und nicht wenige landen letztlich aus reiner Verzweiflung mitten drin in den Kämpfen, die sie eigentlich nicht mehr wollen.

Sürmeli sagte: „Wenn das so weitergeht, muss ich das Geschäft aufgeben.“

Fevzi Sürmeli hatte mit dem ersten Sattel seines Lebens noch nicht einmal begonnen, als die Kämpfe zwischen der PKK und der Armee losgingen. Inzwischen ist er 36 Jahre alt und sieht aus wie ein alter Mann. Mit harter Arbeit hat er seine sechs Kinder bisher gerade noch ernähren können, aber wenn die türkische Armee im Nordirak einmarschiert, wo die PKK-Kämpfer sich verschanzen, wenn sich die Kämpfe am Gabar also zum Krieg ausweiten, dann wird auf absehbare Zeit niemand mehr einen Sattel kaufen, um zum Markt zu reiten.

Und danach sieht es zurzeit wohl aus. Die ganze Welt beschäftigt sich mit dem Thema und schafft es dennoch nicht, die Zündschnur zu löschen. Heute wird der türkische Regierungschef Erdogan zu George W. Bush reisen. Die USA sind besorgt, dass die Kämpfe den Nordirak destabilisieren und die allmählich sichtbaren Erfolge im übrigen Land gefährden. Und so haben bei der großen Istanbuler Irakkonferenz am Wochenende irakisch-kurdische Politiker die PKK schon aufgefordert, die Waffen niederzulegen und eine politische Lösung mit der Türkei zu suchen. Tatsächlich haben die Rebellen am Sonntag acht türkische Soldaten freigelassen, die sie vor zwei Wochen bei den ersten Angriffen gefangengenommen hatten. Vielleicht, sagen Experten, verringert das zunächst die Gefahr eines türkischen Einmarsches in den Nordirak.

Aber Verhandlungen?

Aus den Bergen meldet sich die PKK-Sprecherin Sozdar Avesta mit den markigen Worten: „Die PKK wird trotz des internationalen Drucks ihren Kampf nicht aufgeben.“ Die Türkei bekäme eine Lektion, die sie nicht vergessen werde. Immerhin: Man kämpfe für die Befreiung des kurdischen Volks, für die kurdische Identität und Sprache, für legitime Rechte und Selbstbestimmung.

Er wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, das Diyarbakirs Kurden automatisch Freunde der PKK sind, nur weil die verspricht, für die Kurden zu kämpfen. Nach über 35 000 Toten sind die meisten hier kriegsmüde. Fevzi Sürmeli sagt: „Ist es nicht immer eine Sünde, einen Menschen zu töten?“ Irgendjemand verdiene wahrscheinlich daran. „Letzten Endes geht es doch immer ums Geld.“

Sürmeli ist in Diyarbakir geboren und aufgewachsen, mit seiner Werkstatt in der Altstadt zählt er zum Mittelstand. Als privilegiert würde er damit gelten draußen vor den gewaltigen Basaltmauern, wo der Guerillakrieg in den letzten Jahrzehnten eine neue Unterklasse angetrieben hat – Bergbewohner, deren Dörfer niedergebrannt wurden.

Mehmet, ein lebenslustiger Junge mit schwarzen Augen, ist einer von denen, die seither in Mevlana Halit leben, einem Elendsviertel am Rande von Diyarbakir. Vier war er, als die Armee bei heftigen Kämpfen im Winter 1992 sein Heimatdorf im Landkreis Lice niederbrannte und seine Familie hier landete. Auf engen Pfaden schleppen Frauen das Wasser in Eimern vom Brunnen zu den windschiefen Hütten. Zwei kleine Räume hat die Hütte von Mehmets achtköpfiger Familie, ein Plumpsklo. Auch die vorsichtige Entspannung zwischen Staat und Rebellen von 2000 bis 2005 hat ihnen ihr Leben nicht zurückbringen können. „Da gibt es nichts mehr, wohin man zurückkehren könnte“, sagt Mehmet. Seit frühester Kindheit putzt er also Schuhe und zieht Handkarren, um zum Familieneinkommen beizutragen – in Diyarbakir sind 60 Prozent der Menschen ohne Job. Zur Zeit hackt Mehmet für zehn Lira am Tag Hühner klein an einem Marktstand in der Neustadt.

Mehmets Hühnerstand steht im Schatten eines nagelneuen Einkaufszentrums, in dem Boutiquen teure Mode aus Istanbul verkaufen. Aber seit wieder gekämpft wird in den Bergen, schrecken viele Investoren schon wieder vor der Region zurück, obwohl die Löhne hier konkurrenzlos niedrig wären. Wenn die Kämpfe eskalieren, werden auch die neuen Einkaufszentren wieder verfallen. Die Skelette unvollendeter Fabriken überall in der Region gemahnen daran, wie oft so etwas hier geschieht.

Nicht wenige der jungen Männer, die auf diese Weise Jobs bekommen und wieder verlieren und damit irgendwann auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, sagen: „Wenn die PKK uns ruft, dann gehen wir.“ In Diyarbakir finden die Guerillatruppen immer neue Rekruten.

Mehmet hingegen will nur Frieden und Brot. Dass ein Großteil der kriegsmüden Bevölkerung von Diyarbakir so denkt wie er, zeigte das Ergebnis der türkischen Parlamentswahlen vom Juli. Auf mehr als 40 Prozent kam die regierende AK-Partei von Ministerpräsident Erdogan da in Diyarbakir – ein Schock für die Kurdenpartei DTP, die sich bis dahin auf die kurdischen Stimmen abonniert wähnte. Mehmet selbst hat keine Stimme abgegeben. Türkei, Kurdistan, Europa – es ist ihm einerlei. „Wenn ich nur satt werden könnte, wär’ mir alles recht.“

Den Hunger fürchtet auch der Milizionär Ali mehr als alles andere in diesem Konflikt, obwohl gerade er jeden Anlass hätte, um sein Leben zu fürchten. Auf seinem einsamen Posten außerhalb von Diyarbakir bewacht der 52-jährige Kurde, der seinen Nachnamen vorsichtshalber nicht in der Zeitung haben will, die Pipeline, die die PKK angreifen will, falls die türkische Armee sich ihren Lagern in Nordirak nähert; sie befördert Erdöl vom irakischen Kirkuk an einen türkischen Mittelmeerhafen. Ali und seine Kameraden gehören zu den sogenannten Dorfschützern – der Kurdenmiliz, die auf Seite des türkischen Staates gegen die PKK kämpft. Rund 70 000 kurdische Dorfschützer stehen im türkischen Südosten derzeit unter Waffen; das sind mehr Kämpfer, als die PKK jemals hatte.

„Wenn ich gewusst hätte, wie lange das dauert, hätte ich damals aber wohl nicht eingewilligt“, grummelt Ali. Ein paar Monate, dachte er damals; nun ist er schon seit 20 Jahren Dorfschützer. In zwei Jahren nimmt er seinen Abschied. Aber was dann? 500 Lira Sold bekommt er, die helfen, den Hunger aus dem Haus zu halten. Seine Herde von 200 Schafen ist angesichts der verfallenden Viehpreise kaum noch die Mühe wert. „Vor ein paar Jahren war ein guter Hammel noch 500 Lira wert, jetzt bekommt man gerade noch 200“, sagt er kopfschüttelnd. „Wie soll das nur weitergehen?“

Über die PKK kann Ali sich ebenso wenig aufregen, wie sich die Leute, die vielleicht Söhne bei den Rebellen haben, über ihn aufregen. „Wir gehören doch alle zur gleichen Sippe“, sagt Ali. Er gehört der Izol-Sippe an, mit mehreren zehntausend Mitgliedern einer der größeren Kurdenclans der Region, und deshalb hat er nichts zu befürchten. Da mögen die Rebellen für einen sozialistischen Kurdenstaat kämpfen und die Armee für die Einheit der Türkei – für Ali zählen seine Sippe, sein Dorf und seine Familie. „Wir wollen doch alle nur unsere Ruhe“, sagt Ali.

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