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© AFP

Nordkorea: Wer folgt dem Diktator?

Berichte über eine schwere Krankheit von Nordkoreas Führer Kim Jong Il lösen Spekulationen über die Zukunft des Staates aus.

Wer kommt nach Kim Jong Il? Als Nordkoreas Diktator vergangene Woche bei den Feierlichkeiten zum 60. Gründungstag der Demokratischen Volksrepublik fehlte, schienen sich Geheimdienstberichte über eine schwere Krankheit zu bestätigen. Die japanische Zeitung „Mainichi“ berichtete am Sonntag, Kim Jong Il sei schon seit April schwer krank. Der 66-Jährige habe immer wieder bei der Arbeit das Bewusstsein verloren und sei nicht mehr imstande gewesen, in wichtigen politischen Angelegenheiten zu entscheiden. Weltweit wird nun über seine Nachfolge spekuliert.

Von der Frage, wer in Pjöngjang die Fäden in der Hand hält, wenn der „Geliebte Führer“ stirbt oder regierungsunfähig wird, hängt viel ab – sowohl für die Nordkoreaner, die wegen Kims Isolationspolitik in Armut und Unterdrückung leben, als auch für den Weltfrieden, den der undurchschaubare Herrscher mit seinen Atomwaffen bedroht. Doch da über die Machtverteilung nur wenig bekannt ist, scheint eine Fortsetzung der Erbdiktatur des Kim-Klans ebenso möglich wie die Errichtung einer Militärjunta oder der Kollaps des maroden Regimes.

„Es gibt zu diesem Thema keine verlässlichen Informationen“, sagt Nordkoreaexperte Andrei Lankov von der Kookmin-Universität in Seoul. „Die Nordkoreaner wissen, dass übermäßige Mitteilsamkeit tödlich sein kann, wenn es um das Leben der vergötterten ‚ersten Familie’ geht.“ Kim hat bisher keinen Nachfolger in Stellung gebracht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Während er selbst schon Ende der Siebziger zum Erbe seines Vaters Kim Il-sung erklärt worden war und bis zu dessen Tod 1994 einen Großteil der Amtsgeschäfte übernommen hatte, ist keines von Kims Kindern politisch in Erscheinung getreten.

Gemäß konfuzianischer Familientradition wäre Kims ältester Sohn Kim Jong-nam prädestinierter Erbe. Doch er hat ein doppeltes Handicap: Einerseits stammt er aus einer Beziehung mit einer Filmschauspielerin, die sein Vater offenbar nie heiratete und kurz nach seiner Geburt ins Exil schickte, wo sie 2002 starb. Andererseits soll Jong-nam wegen extravaganter Eskapaden – er wurde mehrfach in Peking, Hongkong und der Glücksspiel-Hochburg Macao gesehen – in Ungnade gefallen sein.

Größere Chancen werden deshalb Kims zweitem Sohn, dem 29-jährigen Jong-chol, nachgesagt, der wie sein jüngerer Bruder, der 27-jährige Jong-un, in der Schweiz ausgebildet worden sein soll. Jong-chol begleitete seinen Vater bereits auf Inspektionsreisen und 2002 sahen ihn Nordkoreaexperten im Aufwind, als der Propagandaapparat über die Tugenden einer namentlich nicht genannten „weiblichen Genossin des Geliebten Führers“ zu berichten begann, womit offenbar seine Mutter gemeint war.

Doch die Kampagne endete so plötzlich, wie sie begonnen hatte. Dahinter könnten mächtige Fraktionen in der Arbeiterpartei oder im Militär steckten, aber auch ein Nebenflügel der Kim-Familie. Kim Jong Ils Schwester soll über ihren Ehemann Chang Song-taek erheblichen Einfluss ausüben. „Er ist zwar nur ein paar Jahre jünger als Kim, aber er ist angeblich gesünder und hat große Erfahrung in der Verwaltung“, sagt Lankov. „Die meisten Experten gehen deshalb davon aus, dass sich eine Art kollektive Führung herausbilden könnte, mit Jong-chol als Repräsentationsfigur und Chang als Mentor und Berater des jungen Führers.“

Doch das setzt voraus, dass die Herrschaftselite das Land unter Kontrolle behalten kann. Zwar erklärte der Chef des südkoreanischen Geheimdienstes in der vergangenen Woche, Kim sei auf dem Weg der Besserung und es gebe derzeit keine Zeichen für ein Machtvakuum. Doch in Seoul bereitet man sich trotzdem auf den Ernstfall vor. Sollte Nordkorea implodieren, sieht Südkorea zwei gleichermaßen erschreckende Szenarien: Entweder müsste es das nördliche Schwesterland auffangen und dafür hunderte Milliarden Dollar aufbringen, was die Wirtschaft an den Rand des Kollaps bringen könnte. Oder China könnte den Anschluss durch eine militärische Intervention verhindern und in Pjöngjang ein Marionettenregime etablieren.

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