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Argwohn unter Nachbarn. Am Grenzort Panmunjom blickt ein nordkoreanischer Soldat mit dem Fernglas nach Süden (Archivbild).

© dpa

Nordkoreanischer Granatenangriff: Gegen Feind – und Freund

Mit dem unerwarteten Granatenangriff auf eine südkoreanische Insel brüskiert Pjöngjang vor allem China. Und die geplanten "Sechs-Parteien-Gespräche" dürften damit nun in weite Ferne gerückt sein.

Als Provokation hatte der US-Sonderbeauftragte für Nordkorea, Stephen Bosworth, die neue nordkoreanische Atomanlage zur Urananreicherung am Montag in Seoul bezeichnet. Von einer neuen Krise wollte Bosworth zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht sprechen. Doch nach dem nordkoreanischen Granatenangriff auf eine südkoreanische Insel ist die Krise offensichtlicher denn je. Der Angriff der nordkoreanischen Artillerie kam völlig unerwartet. Mindestens 200 Geschosse schlugen nach Berichten aus Seoul auf der vor Südkoreas Westküste gelegenen Insel Yeonpyeong ein. Ziel war offenbar ein Militärstützpunkt unweit der Seegrenze zu Nordkorea. Südkoreas Präsident Lee Myung Bak versammelte seine Vertrauten in einem unterirdischen Luftschutzbunker zu einer Krisensitzung. Selbst wenn der aktuelle Konflikt militärisch nicht weiter eskaliert, sind die Folgen für die Weltwirtschaft unabsehbar. Zahlreiche asiatische Börsen, darunter die in Hongkong und Bangkok, brachen ein. Südkoreas Finanzminister lud für diesen Mittwoch Spitzenvertreter aus Finanzwelt, Wirtschaft und der Zentralbank ein, um die Auswirkungen des Konflikts zu diskutieren.

Für Spannungen hatte bereits am Wochenende ein Bericht gesorgt, der die Existenz einer neuen Urananlage in Nordkorea bekannt machte. In einem Interview mit der „New York Times“ hatte der US-Atomwissenschaftler Siegfried Hecker erklärt, dass Nordkorea heimlich und relativ schnell eine Urananlage gebaut habe. Hecker hatte die Anlage in Nordkorea Mitte November besucht. Am Montag hatte der US-Sonderbeauftragte Bosworth noch zurückhaltend auf den Bericht reagiert und seine Hoffnung über eine baldige Wiederaufnahme der Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm geäußert.

Doch nach dem nordkoreanischen Angriff dürften die „Sechs-Parteien-Gespräche“ in weite Ferne gerückt sein. Südkorea steht unter dem Schutz seines Bündnispartners, der USA. Diese verurteilten den nordkoreanischen Angriff vehement. „Pjöngjang muss sein aggressives Handeln beenden, sich an die Vorgaben der nach dem Koreakrieg getroffenen Waffenstillstandsvereinbarung halten“, erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs. Bereits am Montag hatte US-Generalstabschef Mike Mullen Nordkoreas engsten Verbündeten China aufgefordert, mäßigenden Druck auf die Führung in Nordkorea auszuüben.

Doch bisher hat Chinas Führung eine öffentliche Maßregelung Pjöngjangs immer abgelehnt und seinen Einfluss auf das Regime heruntergespielt. Auch nach der neuerlichen Eskalation des Konflikts zeigte sich China nur besorgt, ohne Nordkoreas Führung zu kritisieren. „Wir hoffen, die betreffenden Parteien handeln auf eine Weise, die dem Frieden und der Stabilität auf der koreanischen Halbinsel dienlich ist“, sagte Hong Lei, Sprecher des Außenministeriums in Peking. Für die chinesische Führung spielt die Stabilität der Region eine entscheidende Rolle. Deshalb stützt sie das weitgehend isolierte und bankrotte Nordkorea. Einen Zusammenbruch des Nachbarregimes will Peking vermeiden, da es noch immer als Puffer zu den fast 30 000 in Südkorea stationierten US-Soldaten gilt. Zusätzlich befürchtet man bei einem Kollaps unkontrollierbare Flüchtlingsströme.

Der Überfall ist eine Ohrfeige für Nordkoreas letzten Verbündeten China. Peking wurde offenbar völlig überrascht. Schon seit Monaten hat sich das Land hinter den Kulissen bemüht, Nordkorea zu neuen Verhandlungen über sein strittiges Atomprogramm zu bewegen. Doch nach der neuerlichen Eskalation werden sich wohl erst einmal keine Partner für Abrüstungsgespräche finden. Pjöngjangs Eskalationsstrategie wird für China immer mehr zum Ärgernis.

Welche Ziele Nordkorea mit seinem militärischen Gebaren verfolgt, bleibt vorerst unklar. Experten spekulieren, Kim Jong Ils aggressives Vorgehen entspringe innenpolitischem Kalkül. So könnte sich der Diktator die Zustimmung des Militärs für die baldige Machtübergabe an seinen jüngsten Sohn Kim Jong Un sichern wollen.

Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao hatte erst vor wenigen Wochen den offenbar schwerkranken Kim Jong Il empfangen und dessen Nachfolge abgesegnet. Zu den Feierlichkeiten anläßlich des 60. Jahrestages des Krieges gegen die „Imperialisten des Südens und der USA“ durften sich Kim senior und junior in Pjöngjang auch mit chinesischen Kriegsveteranen und hochrangigen Militärs schmücken. Mao Zedong hatte den kommunistischen Bruderstaat einst vor der totalen Niederlage bewahrt. Als die Truppen der UN unter Führung der USA die nordkoreanischen Angreifer Ende 1950 bis an die chinesische Grenze zurückgedrängt hatten, warf Mao fast eine Million Rotarmisten in die Schlacht und erzwang so den heutigen Status. Vier Millionen Menschen starben in diesem blutigen Konflikt, in dem mehr Bomben fielen als im Zweiten Weltkrieg. Formell befinden sich die beiden verfeindeten Bruderstaaten noch immer im Krieg. Seit 1953 ist das Land durch eine vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone geteilt. Auf beiden Seiten beäugen sich schwerbewaffnete Einheiten.

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