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Nordrhein-Westfalen: Die Mehrheit bilden

SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen haben sich am Dienstag in Düsseldorf auf ihren Koalitionsvertrag zur Bildung einer Minderheitsregierung verständigt. Wie wollen sie in Zukunft gemeinsam regieren?

Die künftigen Koalitionäre hatten die wenigen strittigen Punkte rasch wegverhandelt. Eigentlich hätten sie die Öffentlichkeit daher deutlich vor der anvisierten Zeit informieren können. Weil die Sozialdemokraten aber darauf bestanden, dass ihr eigener Parteivorstand den Koalitionsvertrag vor der Presse lesen soll und die entsprechende Sitzung erst am Mittwochabend stattfindet, musste die kleine Redaktionsgruppe der künftigen Koalitionäre noch eine Überstunde einlegen und eine 31-seitige Kurzfassung des eigentlich 88 Seiten umfassenden Werkes erstellen. Bis die damit fertig waren, unterhielten sich die roten und grünen Unterhändler auf der sonnenüberfluteten Terrasse ihres Tagungsortes in der Düsseldorfer Innenstadt – von wo aus sie auch einen guten Blick hinüber zur Parteizentrale der CDU hatten.

Dort rätselte die engere Führung der Union noch darüber, welche Auswirkungen die Wahl von Karl-Josef Laumann zum Fraktionsvorsitzenden auf die weitere Entwicklung der eigenen Partei haben würde. Das wiederum war willkommener Gesprächsstoff bei Rot-Grün. „Solange sich die CDU mit sich beschäftigt und es für ein Signal der Geschlossenheit hält, wenn sich in der Fraktion zwei gleich große Lager gegenüberstehen, können wir Politik machen“, urteilte einer der Verhandler.

Wenig später traten die beiden neuen Duzfreundinnen Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann sichtlich vergnügt vor die Presse. „Wir haben es geschafft“, freuten sie sich und vergaßen nicht, darauf hinzuweisen, dass ihnen das Kunststück gelungen ist, den Vertrag in exakt zwei Wochen zu fixieren. Gerade mal vier Verhandlungsrunden waren dafür notwendig. Sowohl Kraft als auch Löhrmann beschworen immer wieder die gute Stimmung in den Gesprächen und unternahmen anschließend den Versuch, andere mit ihrer guten Laune anzustecken.

Die rot-grüne Neuauflage des Jahres 2010 ist für beide nicht nur die Abkehr von der ersten Streitkoalition der Jahre 1995 bis 2005. Die beiden Koalitionärinnen geben sich auch erstaunlich offen für weitere Partner bei der Regierungsarbeit. In fast jedem zweiten Satz fielen Worte wie „Einladung“ oder „wir sind offen für den politischen und demokratischen Dialog“. Und dann bekannten sie ihre Bereitschaft, „gemeinsam auf mögliche Partnerinnen und Partner zuzugehen“.

Damit versuchten sie zu verschleiern, dass sie für ihr Regierungsprojekt im Düsseldorfer Landtag nur eine Minderheit hinter sich wissen. Die eine fehlende Stimme für die bei vielen Vorhaben notwendige absolute Mehrheit müssen sie in jedem Einzelfall hinzuverhandeln. Weil das so ist, rüsteten sowohl Löhrmann wie auch Kraft verbal so weit wie möglich ab.

Ganz hielten sie dies aber nicht durch. Denn nach der beabsichtigten Wahl von Hannelore Kraft am Mittwoch kommender Woche zur nordrhein-westfälischen Regierungschefin will man die fünf Jahre Jürgen Rüttgers im Schnelldurchgang rückabwickeln. „Wir sind für einen Politikwechsel gewählt worden“, nahmen die beiden Spitzenfrauen für sich in Anspruch und setzen deshalb ihre wesentlichen Wahlversprechen schon in der kommenden Woche auf die Tagesordnung des Landtages.

„Der Bereich Bildung spielt eine ganz zentrale Rolle“, gibt Sylvia Löhrmann vor, die als Ministerin für die Schule verantwortlich zeichnen soll. Rot-Grün wird die schwarz-gelben Lieblingsprojekte wieder abräumen: Die künftigen Koalitionäre wollen die Kopfnoten abschaffen, die Grundschulbezirke wieder einführen und den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, Gemeinschaftsschulen zu gründen. Rot-Grün will längeres gemeinsames Lernen bis zur sechsten Klasse verbindlich vorschreiben. Im Hochschulbereich sollen die umstrittenen Studiengebühren zum Wintersemester 2011/12 fallen, die Universitäten erhalten die entsprechenden Mittel dann aus dem Landesetat. Zusätzlich verpflichtet man sich, bis zum Jahr 2015 85 000 neue Studienplätze zu schaffen.

Die Sozialdemokraten feiern auch diese Veränderungen im Schulbereich. Sie stellen allerdings andere Schwerpunkte daneben. „Wir wollen den Wirtschafts- und Industriestandort Nordrhein-Westfalen weiterentwickeln“, heißt das in den Worten der designierten Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Und in dem Vertragswerk unter der Überschrift „Gemeinsam neue Wege gehen“ finden sich daher auch etliche Passagen, die bei der Industrie vorhandene Sorgen über Rot-Grün dämpfen sollen. So haben sich die Grünen zum Neubau von Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen bekannt, wenn gleichzeitig die Wirkungsgrade erhöht und alte Anlagen vom Netz genommen werden. Natürlich will man auch die Windkraft ausbauen und Kraft-Wärme- Kopplung fördern. „Deshalb haben wir keine Kröten geschluckt“, urteilt die künftige Vizeregierungschefin Sylvia Löhrmann. An dieser Stelle nickt Hannelore Kraft.

An die SPD gehen neben dem Amt der Ministerpräsidentin die Ministerien für Finanzen, Inneres, Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Arbeit und Integration sowie Familie, Jugend und Kultur. Auch der Chef der Staatskanzlei soll von einem Vertreter der SPD gestellt werden. Die Grünen bekommen neben dem Schulressort ein Ministerium für Klimaschutz und Umwelt sowie ein Ministerium für Gesundheit und Emanzipation.

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