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Politik: Notbremse gezogen

Oettinger fährt nicht zum Papst, sondern zu Merkel nach Berlin – und distanziert sich von Filbinger-Rede

Von Robert Birnbaum

Der Mann vom Fernsehen glaubt nicht richtig gehört zu haben, deshalb fragt er noch mal nach. Aber der Mann vom Fernsehen hatte schon richtig verstanden: Nach drei Tagen der Halbherzigkeiten hat Günther Oettinger verstanden. „Ich halte meine Formulierung nicht aufrecht, sondern ich distanziere mich davon“, sagt der baden-württembergische Ministerpräsident. Vor dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus klicken hektisch die Kameras. Günther Oettinger guckt schmallippig in die Linsen. „Ich spreche mein Bedauern aus.“ Dann macht sich der Mann, der den NS-Marinerichter Hans Filbinger posthum in eine Reihe mit dem deutschen Widerstand gegen Adolf Hitler gestellt hatte, auf den Weg ins CDU-Präsidium. Oben bei Angela Merkel warten sie schon. Oettinger ist eine knappe Stunde zu spät dran – mindestens eine knappe Stunde.

Die Verspätung hat etwas mit der relativ zeitraubenden Entscheidungsfindung des CDU–Spitzenmannes aus dem Südwesten in der selbst fabrizierten Filbinger-Affäre zu tun. Sie ist ohnehin ein Kennzeichen dieser Affäre, die mit Oettingers Trauerrede auf den verstorbenen Vorgänger begann, in der er Filbinger als eine Art inneren Widerständler gegen die NS-Herrschaft gewürdigt hatte. Zwischen dem ersten Versuch, den Aufschrei der Kritik abzuwehren, und dem vollen Rückzug am Montagnachmittag lagen etliche Tage und mehrere vergebliche Versuche, den Schaden zu begrenzen. Noch frühen Montagmorgen – die „Bild“-Zeitung mit Oettingers Entschuldigung bei Opfern und Angehörigen des NS-Regimes lag druckfrisch an den Kiosken – hatte er die Sache für erledigt gehalten und war entschlossen, zu einem Empfang zu Papst Benedikts 80. Geburtstag zu reisen. Doch am Mittag bestieg er in Stuttgart nicht das Flugzeug nach Rom, sondern ein anderes nach Berlin.

„Das war die Notbremse in letzter Minute“, sagt ein guter Kenner der Verhältnisse in Baden-Württemberg. „Wenn er nach Rom geflogen wäre, wären bei der Rückkehr in der Staatskanzlei in Stuttgart die Schlösser ausgetauscht gewesen.“ Das mag übertrieben sein. Der größte Druck kam schließlich nicht aus dem eigenen Land, sondern aus Berlin. Der aber war dafür unmissverständlich.

Als Angela Merkel am Montag zur Präsidiumssitzung kommt, ist ihr offenkundig schon klar, was Oettinger hinterher sagen wird. Die CDU-Chefin, die sich mit einem ungewöhnlichen öffentlichen Tadel früh an die Spitze der Kritiker gesetzt hatte, konnte sich deshalb einen Appell um Nachsicht mit dem reuigen Sünder erlauben. Mit seiner Entschuldigung – gemeint war noch die „Bild“-Version – habe Oettinger einen „wichtigen, aber auch notwendigen Schritt“ getan, formulierte Merkel. Jetzt erwarte sie, dass die Entschuldigung auch gehört werde. Und dann folgte noch ein Kurzseminar für alle, die Oettinger gemeint hatten verteidigen zu müssen: Es habe ihr immer sehr am Herzen gelegen, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der Perspektive der Opfer und Verfolgten gesucht werde. „Deutschland kann seine Zukunft nur gestalten, wenn es seine Verantwortung für die Vergangenheit wahrnimmt“, sagt die Kanzlerin.

Merkel hat sich am Wochenende einige Kritik auch aus den eigenen Reihen anhören müssen, weil sie früh und hart auf Oettingers Missgriff reagierte. Am Montag ist solche Kritik nirgends mehr zu hören. Auch Präsidiumsmitglieder, die sonst keineswegs alles gut finden, was die Chefin tut und sagt, sehen diesmal keinen Grund zu Tadel: Ein Flächenbrand habe vermieden werden müssen. Mit solchen Flächenbränden am rechten Rand hat Merkel leidige Erfahrung.

Denn auch im Fall Oettinger hatte der öffentliche Druck nicht nachgelassen. Dass die SPD und die Oppositionsparteien Oettingers „Bild“-Entschuldigung nicht akzeptieren wollten, hätte die CDU kalt lassen können. Aber auch NS-Opferverbände und der Zentralrat der Juden hatten „ungenügend“ zensiert: So lange die Stilisierung Filbingers zum Gegner des Nationalsozialismus im Raum stehe, sei die Sache nicht erledigt.

Oettinger gab nach. Drinnen im CDU-Präsidium hat er wenig später seine Distanzierung wiederholt. Die Parteispitze, sagt danach Generalsekretär Ronald Pofalla, habe die Erklärung „mit Respekt zur Kenntnis genommen“. Gesagt hat keiner etwas dazu. Der Vorgang spricht ja auch so für sich.

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