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Zehntausende Flüchtlinge versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

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Update

"Notfallmaßnahme" der EU-Kommission: Deutschland soll 9.000 Flüchtlinge aufnehmen

Die EU-Kommission plant im Rahmen einer "Notfallmaßnahme", 40.000 Flüchtlinge in Europa umzusiedeln, um Italien und Griechenland zu entlasten. 9.000 Migranten sollen von dort nach Deutschland kommen.

Deutschland soll nach dem Willen der EU-Kommission im Rahmen einer Quotenregelung knapp 9.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufnehmen. Es handele sich um eine Notfallmaßnahme, um Italien und Griechenland zu entlasten, da diese Mittelmeerländer unter sehr großem Druck stünden, erläuterte der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Mittwoch in Brüssel. Insgesamt will die Kommission 40.000 Menschen auf 23 EU-Länder verteilen. Die Initiative ist für Menschen aus Syrien und Eritrea gedacht, die wegen der schwierigen Lage in ihren Heimatländern eindeutig internationalen Schutz brauchen.

Unklar ist, ob die Pläne so umgesetzt werden können

Ob die EU-Kommission ihre Pläne eins zu eins umsetzen kann, ist allerdings noch nicht klar: Etliche Länder, unter ihnen Frankreich und Polen, stehen dem Vorschlag äußerst skeptisch gegenüber. Großbritannien, Irland und Dänemark sind wegen Sondervereinbarungen mit der EU gar nicht erst in das Konzept einbezogen. Deutschland kündigte hingegen an, die von der EU-Kommission angepeilten 8.763 Aufnahmeplätze zu schaffen. "Deutschland ist bereit, hierbei seinen Anteil zu tragen. Ich würde mir wünschen, dass auch die anderen EU-Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gerecht werden", unterstrich die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), in Berlin.

DGB-Vorstandsmitglied Buntenbach plädiert für freie Wahl des Aufnahmelandes

Das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach begrüßte die Vorschläge der Kommission zu einer gerechteren Verteilung der Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. "Ob allerdings ein Quotensystem, verbunden mit der Überstellung von Flüchtlingen in die jeweiligen Länder, der richtige Weg ist, ist fraglich", sagte Buntenbach dem Tagesspiegel. Das DGB-Vorstandsmitglied verwies dabei auf die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen EU-Ländern, etwa Arbeitsverbote in einigen Ländern Osteuropas. Europa brauche eine solidarische und gemeinschaftliche Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme, sagte sie. "Dabei müssen Flüchtlinge die Möglichkeit erhalten, in Ländern ihren Antrag stellen zu können, in denen beispielsweise familiäre Beziehungen vorhanden oder gute Integrationschancen gegeben sind", so Buntenbach.

Ska Keller, die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, sagte dem Tagesspiegel, die Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien sei "ein wichtiger erster Schritt". Allerdings müsse darüber hinaus ein "permanentes Verteilsystem" eingerichtet werden, "das auch Anknüpfungspunkte der Flüchtlinge berücksichtigt". Die Grünen-Europaabgeordnete erklärte, dass in Griechenland "unhaltbare Zustände für Flüchtlinge" herrschten, an denen sich auf absehbare Zeit nichts ändern werde. "Es gibt kaum Infrastruktur, um die Asylanträge zu bearbeiten und kaum Aufnahmezentren", so Keller. "Die Menschen müssen auf den griechischen Inseln bis zu zwei Wochen ausharren, bis sie überhaupt registriert werden und bis sie die Fähre auf das Festland nehmen dürfen. Dort gibt es für sie keinerlei soziale Absicherung."

Vorschlag ist Teil der neuen EU-"Einwanderungsagenda"

Die "Einwanderungsagenda" der EU sieht die Einführung eines Quotensystems vor. Bei der Berechnung der jeweiligen Länderquoten hat die Kommission die Wirtschaftskraft, die Bevölkerungszahl, die Arbeitslosenquote und die Zahl der schon aufgenommenen Flüchtlinge berücksichtigt. Neben der EU-internen Umsiedlung von 40.000 Menschen schlägt die EU-Kommission vor, 20.000 Flüchtlinge direkt aus Konfliktregionen nach Europa zu holen. Auch hierbei soll eine Quotenregelung gelten. Deutschland soll aus diesem Kontingent 3.086 Menschen aufnehmen.

Experten sehen die von der EU-Kommission geplante Strategie zum Umgang mit der Flüchtlingskrise kritisch. "Sowohl aus europäischer Sicht als auch vom Gesichtspunkt der Flüchtlinge müssen wir sagen, dass es nicht funktionieren wird", sagte der Direktor des italienischen Flüchtlingsrates (CIR), Christoph Hein, am Mittwoch im Gespräch mit hr-iNFO.

Experte kritisiert geplante EU-Strategie

Der Völkerrechtler kritisierte den Plan, die in Europa ankommenden Flüchtlinge auf alle europäischen Länder zu verteilen: "Die Menschen werden in Länder gebracht, in denen sie niemanden kennen, wo sie nie hin wollten." Das werde dazu führen, dass die Flüchtlinge schon ein paar Tage später wieder in Bewegung seien: "Möglicherweise erneut mit Hilfe von Schleppern innerhalb Europas, um dorthin zu kommen, wo sie von vorneherein hin wollten."

Christoph Hein fordert, in Afrika Infomationszentren einzurichten

Stattdessen schlug Hein vor, die Flüchtlinge schon vorher anzuhören. Nur diejenigen, die keine familiären Beziehungen in europäischen Staaten haben, könnten dann auf andere Länder verteilt werden. Um Bedürfnisse und Wünsche der Flüchtlinge schon frühzeitig zu erfahren, schlägt der Direktor des italienischen Flüchtlingsrates vor, in Afrika Zentren einzurichten, "wo die Menschen Informationen bekommen und ein Einreisevisum beantragen können". Es gehe darum, auf legale Weise nach Europa zu kommen.

Rettungsmission im Mittelmeer wird ausgeweitet

Angesichts der Flüchtlingsdramen im Mittelmeer weitet die EU-Grenzschutzagentur Frontex ihr Einsatzgebiet vor der Küste Italiens deutlich aus. Die Schiffe und Flugzeuge würden in einem Gebiet von bis zu 138 Seemeilen (255 Kilometer) südlich von Sizilien nach Schiffbrüchigen suchen, hieß es in einer am Dienstag auf der Frontex-Homepage veröffentlichten Erklärung. Bislang war das Einsatzgebiet auf 30 Seemeilen vor der italienischen Küste begrenzt.

Auch das Material wird aufgestockt: Während der Sommermonate würden nun drei Flugzeuge, 18 Boote, zwei Hubschrauber und 15 Expertenteams im Rahmen der "Triton"-Mission eingesetzt, teilte die in Warschau ansässige Agentur mit.

Auf dem EU-Flüchtlingsgipfel vor einem Monat hatten die Staats- und Regierungschefs bereits eine Verdreifachung der Mittel für den "Triton"-Einsatz beschlossen. Durch die nun umgesetzte Ausweitung der Mission werde den italienischen Behörden geholfen, "ihre Küsten zu kontrollieren und Leben zu retten", erklärte Frontex-Chef Fabrice Leggeri. "Zu viele wurden in diesem Jahr schon auf tragische Weise verloren."

2015 starben bereits mindestens 1770 Migranten

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte am Dienstag von Europa mehr Engagement für die Flüchtlinge im Mittelmeer gefordert. Europa könne "mehr Hilfe leisten", sagte er in Dublin. Das Problem müsse von den Staats- und Regierungschefs der EU "umfassender und gemeinschaftlicher" angegangen werden. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr schon 1770 Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Dies waren 30 mal mehr als im Vorjahreszeitraum. (mit epd/dpa/AFP/KNA)

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