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Syrische Flüchtlinge nahe der Grenze in der Türkei. Dort sind bereits über 700.000 Syrer gestrandet.

© DPA

Nothilfe in Syrien: „Man muss auch mit radikalen Islamisten verhandeln“

Zum Bürgerkrieg kommt nun noch eine Dürre hinzu. Im Interview berichtet Mathias Mogge, Vorstand der Welthungerhilfe, über die Nahrungskrise, den Wert politischer Neutralität und den Flüchtlingsansturm auf die Türkei.  

Herr Mogge, wie hart trifft die andauernde Dürre die Menschen in Syrien?  

Nach drei Jahren Bürgerkrieg liegt die Landwirtschaft in Syrien am Boden. Viele Bewässerungsanlagen funktionieren nicht mehr, weil die Pumpen kaputt sind oder es einfach keinen Strom gibt. Zudem fehlt es an Dünger und Saatgut.

Die Auswirkungen der Dürre sind also nicht so groß, weil ohnehin schon alles brachliegt?

Es wird ja schon noch produziert. Die ausbleibenden Regenfälle treffen vor allem den Norden des Landes, wo traditionell viel Weizen angebaut wird. Das verschärft die bestehende  Nahrungskrise. Die UN gehen davon aus, dass schon heute mindestens vier Millionen Syrer auf Lebensmittellieferungen angewiesen sind. Und diese Zahl wird wohl noch steigen.

Welche Nahrungsmittel werden denn am dringendsten gebraucht?

Es fehlt eigentlich an allem. Die Welthungerhilfe verschickt Essenspakete mit Grundnahrungsmitteln wie Milchpulver, Getreide, Linsen und Öl in die Städte Aleppo und Idlib. Außerdem versorgen wird dort Bäckereien mit Mehl und verteilen Essensgutscheine für Bedürftige, die dann kostenlos Brot bekommen. Das ist eine sehr effiziente Art der Nothilfe.

Mathias Mogge, Programmvorstand der Welthungerhilfe.
Mathias Mogge, Programmvorstand der Welthungerhilfe.

© Welthungerhilfe

Sie koordinieren die Hilfslieferungen von der Türkei aus. Wie können Sie denn sicherstellen, dass die Lieferungen auch wirklich die Notleidenden erreicht?

Wir haben verlässliche Partnerorganisationen in Syrien. Und in den einzelnen Orten haben wir gute Mitarbeiter, die für uns die Verteilung übernehmen. Meistens sind das ehemalige syrische Lehrer. Der Transport ist natürlich ein großes Risiko. Aber bis jetzt ist alles gut gegangen, die Lieferungen sind immer am Ziel angekommen. Bislang haben wir mehr als 4000 Tonnen Lebensmittel ins Land gebracht.

Hat der Aufruf der Vereinten Nationen, humanitäre Hilfe zuzulassen, denn etwas bewirkt?   

Ja, das hat schon geholfen. Es gab eine große Lieferung mit 135 LKWs, die sicher ihr Ziel erreicht hat. Das war ein wichtiges Signal. Das Problem ist, einen offenen Grenzübergang zu finden. Das ändert sich ständig, je nachdem welche Fraktion gerade die Grenzgebiete kontrolliert. Deshalb finden permanent Verhandlungen mit den verschiedenen Konfliktpartien in Syrien statt.

Man muss also auch mit radikalen Islamisten verhandeln?

Ja, da bleibt gar nichts anderes übrig. Das Gebiet, durch das unsere Lieferungen gehen, wird von den Islamisten der ISIS – des „Islamischen Staates in Irak und Großsyrien“ - kontrolliert. Mit denen müssen wir uns dann auch abstimmen. Ein wichtiges Argument dabei ist, dass wir eine neutrale und unpolitische Hilfsorganisation sind. Das verschafft uns Zugang. 

Sie waren gerade an der türkisch-syrischen Grenze. Wie ist die Situation der Flüchtlinge dort?

In den letzten Monaten hat die Zahl der Flüchtlinge wieder stark zugenommen. Jeden Tag kommen 500 Syrer über die Grenze, manchmal auch noch mehr. Oft landen sie in Auffanglagern, wo sie von der türkischen Regierung versorgt werden. Manche leben aber auch in behelfsmäßigen Behausungen. Dort haben viele Familien haben kein Geld und keine Arbeit, vor allem die Kinder bekommen nicht ausreichend zu essen. 

Unternimmt die Türkei denn etwas, um die Syrer zu integrieren? 

Die türkischen Behörden leisten sehr gute Arbeit, wenn es um die Grundversorgung geht. Aber die Integration ist eher kein Thema. Die Familien würden zum Beispiel gerne ihre Kinder in die Schule schicken. Aber die Türken erlauben das im Augenblick offenbar nicht. Die Lücke füllen ein paar private syrische Schulen. Oder eben Imame, die die Kinder mithilfe des Korans unterrichten.

Mehr als 7000.000 syrische Flüchtlinge sind inzwischen in der Türkei registriert. Gibt es Ressentiments in der Bevölkerung?

In den Großstädten wie Gaziantep fällt das noch nicht so stark auf. Aber in den kleineren Orten gibt es schon die Angst vor Überfremdung. Die Leute sagen, man hört hier schon mehr Arabisch auf der Straße als Türkisch. Da gibt es also durchaus Bedenken.

Sollte die Türkei stärker von den europäischen Ländern unterstützt werden?

Angesichts des Flüchtlingsansturms kann man sich schon fragen, ob der Rest von Europa nicht auch mehr Syrer aufnehmen sollte. Auch vor dem Hintergrund, dass sich momentan keine politische Lösung dieses Dauerkonflikts abzeichnet. Man muss sich wohl darauf einstellen, dass die Menschen für einen längeren Zeitraum in den Ländern leben müssen, in denen sie jetzt gestrandet sind.

Mathias Mogge (50) ist Programmvorstand der Welthungerhilfe und für die Auslandsarbeit zuständig.

Sebastian Drescher

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