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Mehrere Doppelstockbetten stehen in den Familienquartieren in einem Hangar im ehemaligen Flughafen Tempelhof.

© dpa

Notunterkunft in Berlin-Tempelhof: Kinderfreundliche Zone für Flüchtlinge

In der Notunterkunft in Berlin-Tempelhof wurde ein Pilotprojekt gestartet, das eine kinderfreundliche Atmosphäre schaffen soll.

Ungeduldig hämmern die drei kleinen Mädchen gegen die Tür. „Offen?“, fragt eine von ihnen. Sie kann es kaum erwarten, wieder in den Raum zu gehen, der zum Spielen für die Kinder der Flüchtlingsunterkunft Tempelhof reserviert ist. Doch noch ist Mittagspause, wie jeden Tag von 12.30 Uhr bis 13.30 Uhr. „Noch fünf Minuten“, sagt eine der Betreuerinnen und zeigt auf die Uhr an der Wand. „Fünf Minuten“, sagt die fünfjährige Syrerin und streckt fragend die fünf Finger ihrer rechten Hand in die Höhe. Mit ihren Freundinnen bleibt sie so lange stehen, bis sie endlich reindarf.

Seit Dezember 2015 gibt es in der Notunterkunft auf dem ehemaligen Flughafengelände in Tempelhof einen kinderfreundlichen Raum. Ein Pilotprojekt, das die Kinderrechtsorganisation Save the Children mit dem Berliner Senat und dem Betreiber der Unterkunft gestartet hat, unterstützt von der Ikea-Stiftung. In dem 350 Quadratmeter großen Raum können sich die Kinder aus Hangar 3 und 4 austoben. „Wir haben hier einen Schutzraum, in dem die Kinder nach ihren Fluchterlebnissen wieder Kinder sein dürfen. Wir können ihnen dadurch wieder Stabilität geben“, sagt Weneta Suckow, Teamleiterin Migration und Kinderrechte bei Save the Children.

Viel Privatsphäre gibt es in den riesigen Hangars nicht: Jeweils sechs Stockbetten sind zu einer Wabe zusammengestellt, auf 25 Quadratmetern schlafen also zwölf Personen. Der Betreiber Tamaja versucht dabei, allein reisende Frauen und Männer in der Halle zu trennen, dazwischen werden Familien untergebracht. Kinder laufen tagsüber auf den langen Gängen im ehemaligen Flughafengebäude herum. Doch mit dem kinderfreundlichen Raum haben sie mittlerweile einen Ort, an dem sie auch mal unter sich sein können. Etwa zwei Drittel der Kinder in den Hangars 3 und 4 der Unterkunft nutzen nach Angaben des Betreibers das Betreuungsangebot.

Ein Raum zum Toben, Spielen und zum Ausruhen

Der Kinderraum ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr geöffnet – abgesehen von der einstündigen Pause fürs Mittagessen gemeinsam mit den Eltern. Es gibt Bereiche zum Toben, zum Spielen, zum Malen und Basteln und zum Ausruhen. Und es gibt klare Strukturen im Tagesablauf, die den Kindern Halt geben sollen: Wie in einer normalen Kita beginnt der Tag mit einem Morgenkreis, später gibt es Spielangebote. Auf zehn Kinder kommt ein Betreuer, im Vergleich zu anderen Notunterkünften ein Luxus. Der Berliner Senat schreibt für Kinderbetreuungsangebote in den Einrichtungen einen Schlüssel von 1:22 vor.

Anfangs kommen viele Mütter und Väter mit in die Kinderbetreuung, später tauchen ihre Kinder dort selbstständig auf. Die Betreuer sprechen Arabisch, Farsi oder Persisch, doch mit den Kindern reden sie meistens Deutsch. Die Spiel- und Lernangebote im Kinderraum sollen die Mädchen und Jungen schließlich auch auf den späteren Kita- oder Schulbesuch vorbereiten.

Die Betreuer haben Erfahrungen im Bereich Kinderschutz

Betreut werden die Kinder von einem Team aus Erziehern und Quereinsteigern, die Erfahrungen im Bereich Kinderschutz und in der Arbeit mit geflüchteten Kindern haben. Sie alle wurden in psychologischer Erster Hilfe geschult. „Das sind keine Therapeuten, aber durch das Training wissen sie, wie man Kinder stabilisiert. Sie sind außerdem geschult zu erkennen, wenn etwas nicht in Ordnung ist“, erklärt Suckow. Schließlich ist es nicht immer einfach zu unterscheiden, ob ein Dreijähriger nur in der Trotzphase ist oder ob er womöglich wegen traumatischer Erlebnisse gereizt reagiert. „Unsere Mitarbeiter sind da sensibilisiert“, sagt Suckow. Stellen sie bei einem der Kinder Auffälligkeiten fest, dokumentieren sie das in ihren Unterlagen beziehungsweise verweisen an die zuständigen Fachstellen. Häufen sich die Vorkommnisse, berät das Team gemeinsam mit dem Betreiber, was zu tun ist.

Der kinderfreundliche Raum ist auch für Eltern eine Entlastung

Der Raum soll nicht nur Kindern die Gelegenheit bieten, Stress abzubauen. Auch für Eltern könne es entlastend sein, wenn sie ihre Kinder betreut wüssten, berichtet Suckow. Wie im Fall der alleinerziehenden Mutter, die mit ihren sechs Kindern nach Deutschland geflohen sei. In den ersten Wochen in der Notunterkunft sei sie völlig überlastet gewesen. Dank der Unterstützung der Kinder im Schutz- und Spielraum sei es gelungen, die Mutter so zu stabilisieren, dass sie sich auch selbst wieder stärker um ihre Kinder kümmern konnte. Manchmal geht es auch nur um praktische Unterstützung: So haben Eltern auch dann eine Anlaufstelle, in der sie ihre Kinder vorbeibringen können, wenn sie mit dem Shuttlebus zum Hangar am anderen Ende des Flughafens fahren, um dort in Zelten zu duschen. Die Hin- und Herfahrerei dauert – Zeit, in der die Eltern nun wissen, dass jemand auf ihre Kinder achtet.

Der kinderfreundliche Raum in Tempelhof ist ein Pilotprojekt. Darüber hinaus richtet Save the Children derzeit in Brandenburg und Sachsen-Anhalt in den Erstaufnahmen Eisenhüttenstadt und Halberstadt gemeinsam mit dem jeweiligen Betreiber Spiel- und Schutzräume für Kinder ein. Künftig soll es die in ganz Deutschland geben, wie das Kinderhilfswerk Unicef im März mit dem Familienministerium vereinbart hat: In mindestens 100 Flüchtlingseinrichtungen bundesweit will Unicef die Einrichtung kinderfreundlicher Räume unterstützen.

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