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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Peter Müller (l-r), Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Zweiten Senats beim Bundesverfassungsgericht und Präsident des Gerichts, und Herbert Landau.

© dpa

NPD-Verbotsverfahren: Verfassungsrichter haben Zweifel an Gefährlichkeit der NPD

Am dritten Tag des NPD-Verbotsprozesses ist ein Ergebnis nicht abzusehen. Eines ist sicher: Der Verfassungsschutz geht aus dem Prozess gestärkt hervor. Ein Kommentar.

Von Frank Jansen

Das Land ist so schlau wie vorher. Ob die NPD verboten wird oder nicht, ob erstmals seit 60 Jahren das Bundesverfassungsgericht die Existenz einer extremistischen Partei beendet – es bleibt unklar. Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe sind die Zweifel der Richter, dass die NPD die demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder gar beseitigen könnte, deutlich zu vernehmen. Dennoch ist ein Verbot keineswegs ausgeschlossen. Es wäre allerdings verfehlt, nun zu behaupten, der Aufwand der dreitägigen Verhandlung sei überflüssig gewesen. Das Land konnte einiges lernen.

Die erste Erkenntnis ergab sich gleich am ersten Tag. Der Verfassungsschutz, in der jüngeren Vergangenheit oft gescholten und bisweilen als unnütz geschmäht, hat in Karlsruhe seine Professionalität unter Beweis gestellt. Die Abschaltung von elf V-Leuten in Vorständen der NPD ist lückenlos vollzogen worden, die Prozessvertreter der NPD konnten kein stichhaltiges Argument für nicht behebbares Verfahrenshindernis vorbringen. Eine Blamage wie 2003, als das Bundesverfassungsgericht das erste Verbotsverfahren wegen der Spitzel in der Führung der NPD einstellte, blieb aus. Der Nachrichtendienst hat Reputation zurückgewonnen.

Das ist eine gute Nachricht für das Land. Gerade in Zeiten des Terrors und der brandgefährlichen Proteste gegen Flüchtlinge. Der Verfassungsschutz kommt gestärkt und nicht beschädigt aus der mündlichen Verhandlung heraus. Und es muss auch kein Innenminister zurücktreten, weil seine Behörde versagt hat. Das ist wichtig gerade auch in der Konfrontation mit der NPD. Die diesen Staat vorführen möchte, wo es nur geht.

Das haben die Rechtsextremisten auch in Karlsruhe demonstriert. Mit allerlei Verdächtigungen versuchte NPD-Anwalt Peter Richter, die Sicherheitsbehörden zu diskreditieren. Doch der von Richter angekündigte „Knaller“ blieb aus. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte dann lapidar fest, ein Verfahrenshindernis liege nicht vor. Eine klare Niederlage für die NPD.

"Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" reicht offenbar nicht

Aus eigener Kraft kann sie nun ein Verbot nicht mehr verhindern. Paradoxerweise könnte eher die Kraftlosigkeit der Partei im politischen Wettbewerb ihre Auflösung abwenden. Mehrere Richter äußerten gravierende Zweifel an der vom Bundesrat beschworenen Gefahr für die Demokratie. Er habe Probleme mit der Vorstellung, wie die NPD „mit 5000 Mitgliedern die ganze Republik von Anklam bis München aufmischen kann“, sagte Peter Huber. Und Andreas Vosskuhle, Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts, konnte sich nicht erklären, wieso die Partei selbst in einem für sie „perfekten Milieu“ wie in der vorpommerschen Kleinstadt Anklam „nicht am Drücker ist“.

Das Gericht stutzt das Schreckgespenst NPD auf seine wahre Größe zurück. Offenbar nützt es den Prozessbevollmächtigten des Bundesrates auch kaum, dass sie ein ungleich größeres Schreckgespenst der Vergangenheit in ihrer Argumentation präsentieren. Die „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“, die aus Sicht der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers und Christian Waldhoff an sich schon für ein Verbot ausreichen müsste, scheint den Zweiten Senat kaum zu beeindrucken. Das Grundgesetz kenne kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, zitierte Richter Peter Müller aus einer älteren Entscheidung des Gerichts. Damit hat offenbar eine zentrale These des Antrags auf ein Verbot der NPD an Wucht verloren. Man könnte auch sagen: der auf dem Land lastende Schatten des Nationalsozialismus reicht nicht, um einen so gravierenden Einschnitt in Freiheitsrechte wie das Verbot einer Partei zu rechtfertigen. So erscheinen die Zweifel der Richter an der These des Bundesrates wie ein Beleg für die Stabilität der Bundesrepublik.

Zu erwarten ist eine moderne Interpretation des Perteienverbots

Ob die NPD 51 Jahre nach ihrer Gründung nun Geschichte wird oder doch nochmal davonkommt, will das Bundesverfassungsgericht auf der Basis aktueller und nicht historischer Analyse entscheiden. Das wäre ein Fortschritt gegenüber dem 1952 ergangenen Verbot der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei, die den Richtern damals als potenzieller Wiedergänger des gerade erst besiegten NS-Regimes erschien. Und auch aus heutiger Sicht gibt es ja Argumente für ein Verbot der NPD: ihr Rassismus, ihr Judenhass, ihre Anstachelung zu Gewalt gegen Flüchtlinge und politische Gegner. Wie auch immer die Entscheidung des Gerichts, die wohl noch in diesem Jahr kommen dürfte, dann ausfällt: zu erwarten ist eine moderne Interpretation des Parteiverbots. Es wäre eine historische Antwort auf die Frage, wieviel Freiheit eingeschränkt werden muss, um die Freiheit vor den Feinden der Freiheit zu schützen.        

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