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Das ehemalige NS-Vernichtungslager Auschwitz.

© dpa

NS-Verbrechen: Den NS-Tätern auf der Spur

In Deutschland leben noch 50 ehemalige Wachleute aus dem nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz. Nach Jahrzehnten sind sie jetzt im Visier der Justiz.

Berlin - Sie waren Wachleute im nationalsozialistischen Vernichtungslager Auschwitz und lebten wohl jahrzehntelang unbehelligt in Deutschland. Gegen 50 Ex-Wachleute werde die zuständige Behörde in Ludwigsburg nun Vorermittlungen einleiten, berichteten Medien am Wochenende. Doch so weit sind die Ermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen noch lange nicht. Denn alles, was sie über die Wachleute wissen, sind Namen, Anschrift und Geburtsdaten. „Wir können bisher nur sagen, dass 50 Auschwitz-Wachleute noch in Deutschland leben“, sagte der Leiter der Zentralen Stelle, Kurt Schrimm, dem Tagesspiegel. Dass seine Behörde gegen alle 50 ein Vorermittlungsverfahren einleiten wird, glaubt der Leitende Oberstaatsanwalt nicht. Zunächst müsse geprüft werden, ob es gegen sie bereits Verfahren in Deutschland gab. Denn dann dürfe nicht noch einmal gegen sie ermittelt werden.

Schrimm dämpft mit dem Hinweis auf das hohe Alter der Betroffenen auch die Erwartungen, dass es überhaupt noch zu Prozessen kommen wird. „Meine Skepsis wächst von Tag zu Tag“, sagte er. Aber die Frage von Gerichtsverfahren stehe für seine Behörde nicht im Mittelpunkt. „Uns geht es darum, Sachverhalte aufzuklären und Tatverdächtige zu ermitteln.“ Das Verfahren in Ludwigsburg ist nur ein erster Schritt, ihren Bericht geben die Ermittler an die zuständige Staatsanwaltschaft, die dann selbst ermittelt und gegebenenfalls Anklage erhebt. Drei bis vier Monate werde es möglicherweise dauern, bis erste Verfahren an die Staatsanwaltschaften abgegeben werden könnten, schätzt Schrimm. Derzeit ist nur einer der sechs Ermittler in Ludwigsburg mit den Auschwitz-Fällen befasst. Die anderen durchsuchen Akten zu anderen Vernichtungslagern oder forschen in Osteuropa und Südamerika nach NS-Verbrechern.

Deutsche Staatsanwälte ermitteln derzeit auf der Grundlage von Berichten aus Ludwigsburg gegen zwei AuschwitzWachleute. In Stuttgart wird der Fall eines 93-Jährigen untersucht, der von 1941 bis 1945 Wachmann im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gewesen sein soll und in Baden-Württemberg lebt. Die Ermittlungen dauerten an, hieß es am Montag bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Im bayerischen Weiden prüfen die Staatsanwälte seit August 2012 den Fall eines 87-Jährigen, der ebenfalls in AuschwitzBirkenau Dienst tat. An der Dauer des Verfahrens und der Art, in der HolocaustÜberlebende und Angehörige von Ermordeten als Zeugen befragt wurden, hatte es Kritik gegeben. Nun kündigte der Leitende Oberstaatsanwalt in Weiden, Gerd Schäfer, an, bis Ende Mai solle es „wesentliche Weichenstellungen für das künftige Verfahren“ geben. Allerdings seien die Ermittlungen auch dann nicht beendet, sagte er dem Tagesspiegel.

Dass fast 68 Jahre nach Kriegsende noch Fälle von NS-Verbrechen geprüft werden, ist eine Folge des Urteils gegen John Demjanjuk, der Wachmann in Sobibor gewesen war. Im Mai 2011 verurteilte ihn das Landgericht München zu fünf Jahren Haft. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil er vor der Revision starb. Dennoch markierte es einen Wendepunkt in der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen: In den Jahrzehnten zuvor hatten die Juristen immer den Nachweis eines einzelnen Mordes zu führen gesucht. Die Münchner Richter gingen hingegen davon aus, dass Wachleute im Vernichtungslager den Massenmord an den europäischen Juden erst möglich machten – und verurteilten Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord. Claudia von Salzen

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