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NS-Verbrecher: Demjanjuks letzter Prozess beginnt im November

Münchner Justiz lässt Anklage gegen mutmaßlichen NS-Täter zu – er soll „bereitwillig“ mitgeholfen haben.

Berlin - Monatelang haben die Ermittler recherchiert, während der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk vor Gerichten in den USA und Deutschland gegen Abschiebung und Haft kämpfte. Jahrzehntelang haben Überlebende und Angehörige auf Gerechtigkeit gehofft. Über 64 Jahre nach Kriegsende wird nun einer der letzten NS-Prozesse in Deutschland eröffnet: Das Landgericht München ließ die Anklage gegen Demjanjuk am Freitag zu. „Die Hauptverhandlung soll voraussichtlich Anfang November beginnen“, erklärte eine Justizsprecherin. Demjanjuk wird vorgeworfen, als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von mindestens 27 900 Menschen beteiligt gewesen zu sein.

Der 89-Jährige, der im Mai aus den USA nach Deutschland abgeschoben worden war und in München-Stadelheim in Haft sitzt, streitet alle Vorwürfe ab. Er sieht sich als Opfer, da er als Soldat der Roten Armee im Mai 1942 in deutsche Gefangenschaft geraten war. Wenige Wochen später wurde er laut Anklageschrift von SS-Offizieren für die „Fremdvölkischen Wachmannschaften“ – eine ausländische Hilfstruppe der SS – ausgesucht und im Lager Trawniki mehrere Monate lang militärisch ausgebildet.

Am 27. März 1943 wurde Demjanjuk als Wachmann nach Sobibor abkommandiert. Er habe spätestens kurz nach seiner Ankunft gewusst, dass der Zweck des Lagers die Vernichtung der dorthin transportierten Juden war und dass er daran beteiligt sein würde – davon sind die Staatsanwälte überzeugt. Zudem werfen sie ihm vor, nicht aus dem Lager geflohen zu sein, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte und auch im Besitz einer Schusswaffe war. Als Wachmann sei er beim Eintreffen der Züge mit den nach Sobibor deportierten Juden an allen wesentlichen Stationen des Vernichtungsprozesses beteiligt gewesen. Demnach hat er auch Juden direkt in die Gaskammern getrieben. Er habe sich „bereitwillig“ an der Ermordung der Juden beteiligt. Diese Formulierung ist schon deswegen bedeutend, weil es in dem Prozess auch darum gehen wird, ob sich Demjanjuk auf einen Befehlsnotstand berufen kann oder nicht.

Die Ermittler recherchierten akribisch, dass zwischen Ende März und Juli 1943 15 Züge mit deportierten Juden aus dem Lager Westerbok in den Niederlanden nach Sobibor fuhren. In jedem dieser Züge waren zwischen tausend und 3000 Menschen eingepfercht. So sind die Ermittler auf die Zahl von 27 900 Opfern gekommen – diese Menschen wurden in dem Zeitraum ermordet, in dem Demjanjuk in Sobibor gewesen sein soll. In seinen Ausmaßen entzieht sich das Verbrechen der Vorstellung. Umso wichtiger könnte es werden, dass in dem Prozess neun Angehörige der Opfer als Nebenkläger auftreten. Sie können den Ermordeten von Sobibor ein Gesicht und eine Geschichte geben. Claudia von Salzen

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