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Politik: NS-Zwangsarbeiter: "Diakonie hat sich mitschuldig gemacht" -

Die Diakonie war während des Krieges in das flächendeckende System der NS-Zwangsarbeit eingebunden und hat aus den erzwungenen Arbeitsleistungen Nutzen gezogen. Das sagte Diakonie-Präsident Jürgen Gohde bei der Vorstellung einer Pilot-Studie, die den Einsatz von Zwangsarbeitern in diakonischen Einrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein untersucht.

Die Diakonie war während des Krieges in das flächendeckende System der NS-Zwangsarbeit eingebunden und hat aus den erzwungenen Arbeitsleistungen Nutzen gezogen. Das sagte Diakonie-Präsident Jürgen Gohde bei der Vorstellung einer Pilot-Studie, die den Einsatz von Zwangsarbeitern in diakonischen Einrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein untersucht. Gleichzeitig kündigten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und das Diakonische Werk an, die Beschäftigung von Zwangsarbeitern in ihren Einrichtungen in einem überregionalen Forschungsprojekt zu untersuchen. Erste Ergebnisse werden in etwa einem Jahr erwartet.

Die Einrichtungen der Diakonie setzten Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft, in der Pflege und in der Hauswirtschaft ein. Die Diakonissenanstalt Kropp im Kreis Schleswig beispielsweise beschäftigte ab September 1940 acht Zwangsarbeiterinnen im Pflegebereich und in der Küche. Für den Bereich Hamburg und Schleswig-Holstein hat der Historiker Harald Jenner etwa 60 Zwangsarbeiter nachgewiesen. Die tatsächliche Zahl liege vermutlich noch weit höher, sei aber derzeit angesichts der schwierigen Quellenlage nicht zu ermitteln. Wie viele Zwangsarbeiter insgesamt in der NS-Zeit für die Diakonie arbeiten mussten, lässt sich bisher ebenfalls nicht sagen, berichtete der Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser, der das neue Projekt leitet. "Wir stehen erst am Beginn unserer Forschungen." Auch wenn nicht alle Einrichtungen der Diakonie Zwangsarbeiter eingesetzt hätten, habe sich die Diakonie doch mitschuldig gemacht an einem Unrechtssystem, das die Menschenwürde verletzt habe, betonte Gohde.

Bereits im Juli hatten die EKD und die Diakonie angekündigt, sich mit 10 Millionen Mark am Stiftungsfonds für die ehemaligen Zwangsarbeiter zu beteiligen. Dies sei für die Kirche eine gesellschaftliche Verpflichtung, selbst wenn es keinen einzigen Zwangsarbeiter in der Diakonie gegeben hätte, erklärte Gohde. Doch Entschädigung könne keine Schuld begleichen. "Um den Betroffenen zumindest teilweise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir die Erinnerung an ihr Schicksal wachhalten", forderte der Diakonie-Präsident. Auch deshalb hat sich die Kirche für eine umfassende Aufarbeitung entschieden. Außerdem sollen persönliche Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern geknüpft werden. Das Forschungsprojekt schließt auch eine Lücke in der Geschichte der Diakonie, die sich in den letzten Jahren verstärkt um die Aufarbeitung ihrer Rolle in der NS-Zeit bemüht hat. "Das Problem der Zwangsarbeiter wurde bisher vernachlässigt", so Kaiser. Erst durch die öffentliche Debatte über die Zwangsarbeiterentschädigung begann sich auch die Diakonie mit diesem Kapitel ihrer Geschichte zu beschäftigen. Inzwischen werde auf der Ebene der Länder und einzelner Einrichtungen viel getan, betonte Gohde: "Das Thema ist heute nicht mehr tabu."

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