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Die deutsche Delegation der Geheimdienste will in Washington ein Abkommen gegen Spionage erzielen.

© AFP

NSA-Affäre: Public Private Partnership

Breite Schultern, harte Worte: Obamas Männer für die Geheimdienste wehren sich gegen Vorwürfe aus Europa. Sie könnten niemanden betrügen, der selbst betrügt, lautet ihre Botschaft. Die Bundesregierung schickt Abgesandte nach Washington – um ein Abkommen gegen Spionage zu schließen.

Er stützt die Arme auf die Lehne, beugt den Oberkörper nach vorn. Sein Gesicht, in dem die randlose Brille und der Bart kaum auffallen, ist ernst, fast ausdruckslos. Er sitzt im US-Kongress an einem Tisch, hinter ihm Publikum, vor ihm Mike Rogers, republikanischer Ausschussvorsitzender, keiner, der als Geheimdienstkritiker gilt. Eigentlich soll es um die Arbeit der NSA in den USA gehen, aber auch die Europäer werden erwähnt bei der Anhörung. Nur nicht so, wie sie sich das vielleicht vorgestellt haben. Clappers Miene kann kaum missverstanden werden: Was soll diese Aufregung um ausspionierte Staats- und Regierungschefs? In Worten drückt er das so aus: „Das ist eines der ersten Dinge, die ich 1963 in der Geheimdienstschule gelernt habe.“ Was er meint? Dass man Staatschefs ausspioniert, um zu erfahren, ob Reden und Handeln im Einklang stehen.

Heute ist James Clapper kein Schüler mehr. Im Gegenteil. Er koordiniert die 16 amerikanischen Geheimdienste. Und er verteidigt am Dienstag deren Arbeit vor dem US-Kongress. Neben ihm sitzt hochdekoriert Keith Alexander, der Chef des Geheimdienstes NSA. Einer von Clappers Untergebenen sozusagen. In sechs Reihen zieren Orden seine Uniform und er findet, seine Spione seien die besten der Welt.

Die beiden schalten auf Angriff. Sie werfen den Europäern zuallererst Heuchelei vor. Die wüssten doch sehr genau, wie das Geschäft laufe, und außerdem, spionierten sie doch selbst. Clapper vergleicht die Aufregung mit jener Szene aus dem Filmklassiker „Casablanca“, als sich der korrupte Polizeichef Louis Renault künstlich darüber aufregt, dass im Nachtclub „Rick’s Café“ illegales Glücksspiel stattfindet. „Ich bin schockiert – schockiert!“, ruft Renault. Jetzt rufen die Europäer, wie schockiert sie sind, höhnt Clapper. Es ist die Art, wie in Geheimdienstkreisen returniert wird: hart, aber durchaus elegant.

Nun müssen die Europäer, allen voran die Deutschen, diesen Rückschlag annehmen, aufnehmen und in einen Konter umwandeln. Aber wie macht man das, wenn man derart in der Defensive ist? Ein hartes Dementi? Nein. Eher ein weiches. Der Bundesnachrichtendienst will selbst nichts sagen, verweist auf frühere Äußerungen des BND-Chefs Gerhard Schindler, wonach sein Dienst die amerikanische Regierung nicht ausspähe. Regierungssprecher Steffen Seibert bleibt auch vage. Der BND handele nach Recht und Gesetz. Den Casablanca-Vergleich von Clapper hat Seibert gar nicht mitbekommen. Aber selbst wenn. Die Deutschen wollen nicht hart zurückschlagen. Womit auch? Sie wollen jetzt vor allem reden. Und über das Reden reden. Nur das Gesagte nicht weiter kommentieren. Kompliziert? Es ist eigentlich ganz einfach.

Alles normal in einem unnormalen Vorgang

Dass jetzt eine zwei Mann starke Delegation des Kanzleramtes nach Washington geflogen ist, um sich dort unter anderem mit der Nationalen Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, Susan Rice, sowie der Anti-Terror-Beraterin Lisa Monaco zu treffen, wird als kleiner Erfolg gewertet. Und der lautet: Schaut her, die Amerikaner nehmen uns ernst. Gleichzeitig aber will die Erwartungen niemand zu hoch schrauben, denn jeder erinnert sich noch an die Reise von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Sommer. Auch dem wurden Aufklärung und deklassifizierte Dokumente zugesichert. Viel Substanzielles ist bisher nicht gekommen. Also spricht Regierungssprecher Seibert lieber von einem normalen Besuch auf Arbeitsebene. Über den werde man auch keinen Zwischenbericht abgeben, sagt Seibert.

Das Problem ist nur: Der Vorgang ist kein normaler. Zumindest auf den ersten Blick nicht. Denn das Ausspähen von Partnern ist ein Affront, ein Vertrauensbruch, ein gravierender Vorgang – so hat es die Bundesregierung ausgedrückt. Auf den zweiten Blick, den, den auch Clapper einnimmt, ist es ganz normal, dass Regierungschefs ausgespäht werden.

Das alles können sich nun Christoph Heusgen und Günter Heiß in aller Ruhe erklären lassen. Heusgen ist Merkels außen- und sicherheitspolitischer Berater im Kanzleramt – seit Beginn ihrer Kanzlerschaft. Zuvor war er jahrelang in Brüssel und leitete dort den politischen Stab von Javier Solana – dem damaligen Hohen Vertreter für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Heiß wiederum koordiniert im Kanzleramt die deutschen Geheimdienste. Er arbeitet eng mit Ronald Pofalla zusammen – über den zuletzt viel gelacht wurde, weil der im Sommer die NSA-Affäre für beendet erklärt hatte, auch wenn er ja nur, wie er jetzt beteuert, einen Teil der Affäre meinte.

Heiß ist ein musischer Typ, Klavierlehrer war er mal, sogar von Ursula von der Leyen. Es ist aber nicht die Suche nach dem richtigen Ton, die ihn für dieses Amt und diese Reise befähigt. Vielmehr startete er 1983 seine sicherheitspolitische Laufbahn im niedersächsischen Innenministerium. Später wurde er Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Was es heißt, ein Sicherheitsrisiko zu sein, hat er schon am eigenen Leib erfahren. Im Sommer 2009. Die CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen veranstaltet ein kleines Fest. Aber ein herrenloser Koffer bringt alles durcheinander, Bombenalarm. Sprengstoff haben die Einsatzkräfte nicht gefunden, aber Hinweise auf den Besitzer: Verfassungsschutzchef Heiß. „Das war eine Eselei“, sagte er zu dem Vorfall und bezahlte den Einsatz.

Seit 2010 koordinierte er im Kanzleramt die deutschen Geheimdienste. Die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz fliegen am Montag in die USA. Dort werden sie auch NSA-Chef Keith Alexander treffen. Als professionell wird das Verhältnis der beiden Präsidenten zu ihrem amerikanischen Kollegen beschrieben. Sie wüssten, in welcher Welt der sich bewegt – schließlich bewegen sie sich in der gleichen. Nur ist das Selbstverständnis ein anderes. In Sicherheitskreisen wird der Vorwurf, die Amerikaner gerierten sich wie eine Weltmacht, als absurd zurückgewiesen: „Sie sind eine Weltmacht“, heißt es lapidar. Und eine, mit der die Deutschen bisher gute Erfahrungen gemacht haben. Dass es auf deutschem Boden noch keinen wirklich großen Terroranschlag wie beispielsweise in Madrid oder London gegeben hat, verdanke man maßgeblich den Informationen der Amerikaner. Es gibt einen regelmäßigen Austausch zwischen den Sicherheitsdiensten. Es ist ein freundschaftliches Verhältnis, aber eines, das von Abhängigkeit geprägt ist. Vor allem auf deutscher Seite. Die Amerikaner liefern entscheidende Hinweise und sie liefern Technik. XKeyscore, eine Software, die in diesem Sommer auch Aufregung ausgelöst hat, haben die Amerikaner den Deutschen zur Verfügung gestellt.

Erlaubt Abhängigkeit alles?

Aber erlaubt diese Abhängigkeit alles? Selbst das Ausspähen der Kanzlerin? Wohl kaum, sagen die Deutschen. Sie wollen ein „No spy“-Abkommen, ein bilaterales erst mal. Was mit Europa ist, wird man sehen. Dafür kämpfen in Washington jetzt auch Heusgen und Heiß. Es ist immer noch das Gefühl, das Deutsch-Amerikanische sei etwas Besonderes, am Ende gar Emotionales. Unter den Menschen sicherlich. Vielleicht auch auf politischer Ebene, wobei Merkel dieser Obama schon immer etwas suspekt war. Mindestens der Hype um ihn. Aber auf Ebene der Sicherheitsdienste ist es ein rationales Verhältnis, Kosten und Nutzen stehen im Vordergrund.

Doch möglicherweise sind nun die Kosten, die politischen vor allem, für die amerikanischen Dienste doch etwas zu hoch. Auch in Amerika kommt eine Debatte darüber in Gang, ob es richtig ist, Partner derart zu bespitzeln. Die kalifornische US-Senatorin Dianne Feinstein hat diese Debatte verstärkt. Am Montagabend ist der Demokratin der Kragen geplatzt. Es sei vollkommen klar, ließ sie die Nation wissen, „dass eine totale Überprüfung aller nachrichtendienstlichen Programme notwendig ist“. Ein Paukenschlag. Weil Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, bisher als prominente Befürworterin der NSA-Praktiken galt.

Die Irritation über die Enthüllungen ist auch in den USA über die Monate gewachsen. Aber noch hielt man sich an die Versicherung, dass das alles zur Terrorabwehr und für die Sicherheitsinteressen der Nation wichtig und richtig sei. Seit Montagabend, nachdem Senatorin Feinstein sich vom Weißen Haus ins Bild hatte setzen lassen, ist das etwas anders. Und warum? „Mir ist jetzt klar“, sagte sie, „dass gewisse Überwachungsaktivitäten seit mehr als einem Jahrzehnt laufen und dass der Geheimdienstausschuss des Senats nicht befriedigend informiert wurde.“ Der Präsident hat nun angekündigt, die Arbeit der Geheimdienste grundsätzlich zu überprüfen, gerade im Hinblick darauf, ob sie die Balance zwischen Sicherheit vor Terror und dem Schutz der Privatsphäre wahren.

Spionieren? Das machen doch alle.

Es sieht also ganz danach aus, als begreife die Führung der USA allmählich, wie groß die Empörung der Verbündeten ist. Auch die Drohungen, Kooperationsabkommen mit den USA infrage zu stellen, zeigen offenbar Wirkung. Aber Heusgen und Heiß dürften sich keine allzu großen Illusionen machen. Tenor und Umfang der Berichterstattung amerikanischer Medien wecken ebenfalls Zweifel daran, dass die Regierung Obama die bisherige Praxis der Dienste umfassend ändern möchte. Die großen Fernsehsender und einflussreiche Zeitungen wie die „Washington Post“ und das „Wall Street Journal“ stellen es so dar, als sei nichts Besonderes vorgefallen. Spionieren? Das machen doch alle. Wieder einmal tun sich tiefe Gräben zwischen den politischen Kulturen auf beiden Seiten des Atlantiks auf. Die meisten US-Bürger teilen die Empörung der Europäer über die Ausspäh-Aktionen nicht. Auch wenn der Terrorangriff von 9/11 auf New York mittlerweile zwölf Jahre zurückliegt, herrscht weiter das Gefühl einer immerwährenden Bedrohung. Der Umstand, dass seither keine neuen Anschläge von ähnlichem Umfang gelungen sind, nehmen viele Amerikaner als Indiz, dass die Geheimdienste ihre Arbeit richtig machen.

Der Film „Casablanca“ findet, zumindest was die Männer angeht, ein gutes Ende. Denn es ist ja wahr, dass die Aufregung des französischen Polizeichefs nur vorgetäuscht ist. Er weiß genau, was der Amerikaner Rick in seiner Bar treibt. Aber in diesem Spiel liegt auch ein tieferer Sinn, der dem Barbesitzer später das Leben retten wird. „Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen“, lautet die Anweisung Renaults an seine Gendarmen. Und alle werden abgeführt, alle außer Rick. Es ist, nun ja, eben der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

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