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Innenminister Hans-Peter Friedrich hatte den Einsatz der US-Spähprogramme zunächst verteidigt.

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Update

NSA-Spähaffäre: Friedrich erklärt sich für ahnungslos

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich informierte heute das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages. Thema: Die Spähvorwürfe gegen den US-Geheimdienst NSA. Zuvor verschärfte die Opposition ihre Angriffe auf den CSU-Politiker.

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Untergeschoss Jakob-Kaiser-Haus. Von hier kann man direkt über eine Art Tunnel in den Reichstag gelangen. Auf einem langen Flur liegt unscheinbar Raum U1 - 215. Hier tagt jenes Gremium, das in erster Linie für die parlamentarische Kontrolle der deutschen Geheimdienste zuständig ist: das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG). Abhörsicher ist der Raum, so heißt es jedenfalls. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) soll dort heute über die Erkenntnisse seiner jüngsten Washington-Reise Bericht erstatten. Friedrich selbst trat am Dienstagmorgen im ARD-Fernsehen auf - und gab sich dort weiter ahnungslos: Man könne davon ausgehen, dass in Deutschland niemand gewusst habe, was Prism sei und welchen Umfang es habe, sagte der CSU-Politiker. "Wir wissen es bis heute nicht."

Die Oppositionsparteien legen die Messlatte hoch. "Sechs Wochen sind seit dem Bekanntwerden der Spionagevorwürfe gegen die USA vergangen und wir haben immer noch keine Klarheit und nach allem was man bisher von Herrn Friedrich gehört hat, ist er mit leeren Händen zurückgekehrt", sagte der Vorsitzendes des Gremiums, SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Er wolle wissen, was konkret die Bundesregierung gewusst habe und was sie nun unternimmt. Er verweist auf die 500 Millionen E-Mails und Telefonate, die monatlich in Deutschland von den Amerikaner überwacht werden sollen. "Das ist ein permanenter Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung, die völlig unverhältnismäßig ist und weiter andauert", sagte Oppermann.

Er wolle von Friedrich wissen, wie es um die strafrechtlichen Ermittlungen stehe und ob der Bundesnachrichtendienst aktiv mit dem amerikanischen NSA zusammenarbeite. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, wie es Grüne und Linke fordern, sieht er für diese Wahlperiode nicht mehr. "Das ist praktisch unmöglich und muss in der nächsten Wahlperiode entschieden werden, aber der Vorgang hätte es verdient, in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt zu werden", sagte Oppermann.

Wenig konkrete Informationen

Der Grüne Hans-Christian Ströbele will Bundeskanzlerin Angela Merkel vor das Kontrollgremium laden. Außerdem verlangt er Akteneinsicht, wenn Friedrich nicht genau erklären könne, welchen konkreten Anschläge mit Hilfe der durch Prism gesammelten Daten verhindert worden sind. Friedrich selbst spricht von fünf Anschlägen, ohne jedoch konkret werden zu können, weil die Informationen der Amerikaner so klassifiziert seien, dass deutsche Stellen keinen Einblick hätten. Aber die Amerikaner hätten ihm zugesichert, an einem Deklassifizierungsprozess zu arbeiten.

Unterstützung erhält Friedrich zwar von seinem Koalitionspartner der FDP. Gisela Piltz sagte vor der Sitzung, dass die USA-Reise von Friedrich ein erster wichtiger und richtiger Schritt gewesen sei. Aber der Aufklärungsprozess müsse weitergehen. "Einen millionenfachen Grundrechtseingriff können wir nicht hinnehmen", sagte die Liberale. Sie forderte eine Task-Force im Kanzleramt mit Vertretern des Bundesinnenministeriums sowie des Justiz- und Wirtschaftsressort. "Denn es geht hier wohl auch um Wirtschaftsspionage", sagte sie. Friedrich hatte nach seiner USA-Reise gesagt, dass ihm versichert worden sei, dass es keine Industriespionage gebe.

Die Frage, ob Friedrich zu leichtgläubig sei, wollte sie nicht beantworten. Sie sagte nur: "Dass ihm das von den USA gesagt wurde, glaube ich ihm." Die heutige Sitzung wurde von den Koalitionsfraktionen beantragt, worauf auch CDU-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer verwies. "Ich wünsche mir, dass wir die sachliche Aufklärung fortsetzen, die schrillen Töne der Opposition sind dem Wahlkampf geschuldet", sagte er und forderte eine einheitliche Datenschutzlösung auf europäischer Ebene.

Wahlforscher halten das Thema Spionage indes nicht für wahlentscheidend. Für Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen bergen die Themen höchsten ein Potenzial zur Binnenmobilisierung bei der SPD. Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa hält die NSA-Affäre auch nicht für ein Wahlkampfthema. „Ich glaube nicht, dass die Deutschen das Thema sehr interessiert und aufregt“, sagte Güllner der „Stuttgarter Zeitung“. Der Umsturz in Ägypten oder das Juni-Hochwasser hätten die Menschen weit mehr bewegt.

"Eine billige Nummer"

Auch andere Oppositionspolitiker stellten vor der PKG-Sitzung klare Forderungen. "Wenn die Widersprüche weiter unbeantwortet bleiben, muss die Affäre in der nächsten Legislaturperiode durch einen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden", bekräftigte der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, in der "Tageszeitung". Diese Forderung wird auch von der Linkspartei erhoben. Der Linken-Bundesabgeordnete Steffen Bockhahn hielt Friedrich "Spielchen" vor. Sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch der Bundesinnenminister würden "eine billige Nummer versuchen" und ihren Amtseid verletzen, wenn sie sich auf die Behauptung zurückzögen, nicht schriftlich über die Ausspähung von Bürgern und Politikern in Deutschland durch US-Geheimdienste unterrichtet worden zu sein. Bockhahn sagte dem Tagesspiegel weiter, dass auch der Bundesnachrichtendienst von dieser Praxis offenbar gewusst habe, werfe Fragen auf, die Friedrich vor dem PKG beantworten müsse. Bockhahn ist der Vertreter der Linksfraktion im PKG. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte, sie glaube, dass die Affäre Kanzlerin Merkel bei der Bundestagswahl Stimmen kosten werde. „Ich merke bei Veranstaltungen, wie sehr das die Menschen beschäftigt, auch bei einem eher liberal-konservativen Publikum in ländlichen Gebieten.“

Der parteilose Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic sagte, die von SPD-Politikern zur Schau gestellte Empörung über die Totalüberwachung durch die NSA sei heuchlerisch. "Solange sie an der Regierung beteiligt war, hat sich auch die SPD im Zweifel ausnahmslos für die Sicherheit und gegen die Freiheit entschieden." Neskovic, der Ende vergangenes Jahres die Linksfraktion im Streit um seine Wiederaufstellung für den nächsten Bundestag verlassen hatte, ergänzte, vor diesem Hintergrund sei es "nur konsequent, dass die SPD trotz ihrer öffentlich geäußerten Empörung über die Überwachung keinen Untersuchungsausschuss fordert. Schließlich würde der Öffentlichkeit durch einen solchen Ausschuss wieder ins Bewusstsein gerückt werden, dass es Frank-Walter Steinmeier war, der bis 2005 als Kanzleramtschef für die Koordinierung der Geheimdienste verantwortlich gewesen ist. Wenn er in dieser Position von den damals schon begonnenen Überwachungsmaßnahmen nichts gewusst haben will, ist das ähnlich unglaubwürdig, wie die aktuellen Beteuerungen der Regierung.“

Die NSA überwacht angeblich im großen Stil die Kommunikation von Bürgern und Politikern in Deutschland. Auch Wochen nach den ersten Enthüllungen darüber sind viele Fragen noch immer offen. Laut einem Medienbericht soll der Bundesnachrichtendienst angeblich schon seit Jahren von der umfassenden Datensammlung durch die NSA wissen.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding äußerte die Hoffnung, dass „die Prism-Affäre und die Ausspähaktionen ein Weckruf sind, so dass alle verstehen, dass sie besser zusammenarbeiten müssen für einen starken Datenschutz in Europa“. Von der Bundeskanzlerin wünsche sie sich dabei mehr Unterstützung, sagte Reding der „Passauer Neuen Presse“. „Ich würde mir von Deutschland, das immer behauptet, ein hohes Datenschutzniveau zu wollen, stärkere Unterstützung wünschen.“ (mit dpa)

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