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Per Video: Edward Snowden berichtet dem Europarat.

© AFP

NSA-Untersuchungsausschuss: Kommt Snowden nach Deutschland?

In den USA ist Edward Snowden der Staatsfeind Nummer eins - hier in Deutschland könnte er als wichtiger Zeuge auftreten. Für seine Vernehmung gibt es durchaus rechtliche Grundlagen. Die Frage ist nur, ob die Bundesregierung den Willen des Untersuchungsausschusses unterstützt.

Staatsfeind Nummer eins ist Edward Snowden schon. In den USA. Aber was ist er eigentlich hierzulande? Warum löst er derart heftige Auseinandersetzungen in einem Untersuchungsausschuss aus, der sich doch genau mit dem beschäftigen soll, was Snowden ins Rollen gebracht hat: die NSA-Affäre? Und was würde passieren, wenn Snowden, wie von der Opposition stark forciert und vom Unionsteil der Koalition nur widerwillig unterstützt, in Deutschland befragt würde?

Diese Frage soll die Bundesregierung nun klären. Bis zum 2. Mai hat sie dafür Zeit. Dabei dürfte es doch recht schnell gehen, da bereits einige Gutachten zu der Frage vorliegen, ob einem Zeugen, der im Ausland lebt, sicheres Geleit gewährt werden kann und welche Rolle Auslieferungsabkommen spielen. Und vielleicht können ja auch die Kollegen im Bayerischen Landtag weiterhelfen. Denn ein Blick in die bundesdeutsche Geschichte zeigt, dass der deutsche Parlamentarismus so ungeübt im Umgang mit der Frage nicht ist – vor allem, wenn es um Geheimdienste geht.

Der perfekte Geheimdienstskandal

Mehrere Untersuchungsausschüsse haben sich zwischen 1982 und 1985 mit der sogenannten Affäre Langemann beschäftigt. Hans Langemann war von Ende der fünfziger Jahre bis Anfang der Siebziger beim Bundesnachrichtendienst, anschließend wechselte er nach Bayern und wurde dort oberster Verfassungsschützer. Einen Schlüsselroman über den BND wollte er schreiben, nur klappte die Vermarktung nicht recht. Erst als ihm Franz Peter Heigl zur Seite gestellt wurde, nahm die Idee Fahrt auf. Heigl ist eine schillernde Figur. Er war lange beim Bundeskriminalamt und wurde dann gewissermaßen Privatier. Nachrichtenhändler war seine offizielle Bezeichnung und als solcher fischte er Geschichten aus der Grauzone zwischen Geheimdienst und Nachrichtendienst hervor und bot sie Medien an – nicht selten angereichert mit ein wenig Fantasie.

Doch mit Langemann sollte alles anders werden: Fakten statt Fiktion. Und Langemann packte aus: Dokumente, die eigentlich längst im Reißwolf sein sollten, aber auch aktuelles Material. In Heigls Wohnung in Südfrankreich berichtete er haarklein, und alles wurde aufgenommen. Zum Beispiel, wie der BND belastendes Material über Bundeskanzler Kiesinger im Washingtoner Nationalarchiv verschwinden ließ. Das Geschichte erschien schließlich bei der linken Monatszeitschrift „Konkret“ – nur bekam Langemann kein Pseudonym. Der Geheimdienstskandal war perfekt.

Sicheres Geleit für den Nachrichtenhändler

Ein Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags wurde eingesetzt und ein zweiter dazu, weil zwei SPD-Politiker verdächtigt wurden, geheime Unterlagen aus dem ersten Untersuchungsausschuss an die Presse weitergegeben zu haben. In beiden Ausschüssen wurde Heigl vorgeladen. Doch der lebte in Südfrankreich und fürchtete sich vor Strafverfolgung, deshalb stellte er sein Erscheinen unter die Bedingung, „sicheres Geleit“ zu bekommen. Außerdem verlangte er die Sicherheit, dass auf freiheitsbeschränkende und freiheitsentziehende Maßnahmen seitens der Finanzbehörden verzichtet und ihm eine sichere Ausreise garantiert werde. Der Untersuchungsausschuss stellte entsprechende Anträge beim Bundesgerichtshof sowie bei Justizministerien in verschiedenen Bundesländern. Vom Bundesgerichtshof erhielt Heigl sicheres Geleit für fünf Tage. Auch vom Amtsgericht Wiesbaden erhielt er die Zusage zu „sicherem Geleit“ für vier Tage, obwohl dort vier Ermittlungsverfahren gegen Heigl anhängig waren. Auch von den anderen Behörden gab es die Zusage des „sicheren Geleits“. Heigl wurde daraufhin am 8. Juni 1983 vernommen und reiste anschließend wieder aus Deutschland aus.

Eine Vorlage für Snowden?

In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wird dieser Fall exemplarisch aufgeführt. Beim freien Geleit geht es letztlich um eine Zusage an eine Person, nicht verletzt oder verhaftet zu werden. Eine Regelung dazu findet sich in der Strafprozessordnung Paragraf 295. Nur geht es dabei um freies Geleit im Zusammenhang mit Gerichtsprozessen. Die Frage ist, ob und unter welchen Vorraussetzungen dies bei Zeugen vor Untersuchungsausschüssen des Bundestages möglich ist.

Die Rechte von Untersuchungsausschüssen sind im Grundgesetz (Artikel 44) und Untersuchungsausschussgesetz festgeschrieben. Eine Regelung zum „freien“ oder „sicheren“ Geleit gibt es dort aber nicht, auch keinen Verweis auf Paragraf 295 der Strafprozessordnung. Dennoch kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass einer Person freies Geleit gewährt werden könne. Dabei spielt wiederum Artikel 44 Grundgesetz eine Rolle. Dort heißt es: „Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung.“ Und das erstrecke sich dann auch auf den Paragrafen 295 der Strafprozessordnung.

Entscheiden, ob die Voraussetzungen vorliegen, muss ein Gericht. Allerdings, und das könnte bei Snowden zum Problem werden, gilt die Regelung in der Strafprozessordnung laut dem Gutachten nur bei Haftbefehlen eines deutschen Gerichts und nicht bei ausländischen Haftbefehlen. Gegen Snowden liegt aber ein internationaler Haftbefehl vor. Allerdings gibt es auch in internationalen Abkommen Regelungen zum „freien Geleit“, die keine Beschränkung auf bestimmte Haftbefehle vorsehen. Sie sind also weitergehender. In dem Gutachten heißt es allerdings auch, dass die Frage, ob diese Regelungen auch auf Untersuchungsausschüsse übertragbar sind, bisher wenig erörtert worden seien. Dort, wo dies schon mal diskutiert wurde, sei eine Anwendung stets abgelehnt worden.

Die Frage einer möglichen Auslieferung

Neben dem freien Geleit spielt auch die Frage nach einer möglichen Auslieferung eine Rolle. Dazu gibt es ebenfalls Einschätzungen in diesem und einem weiteren Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Und in beiden Fällen wird darauf verwiesen, dass es Gründe gibt, eine Auslieferung abzulehnen, beispielsweise dann, wenn einer Person die Todesstrafe drohe oder wenn es sich um eine politische Straftat handelt. Dabei sei nicht entscheidend, ob die USA die Tat als politische Straftat einstufen, sondern, wie Deutschland das bewertet. Entschieden wird über eine Auslieferung zunächst von einem Oberlandesgericht, anschließend von einer Bewilligungsbehörde. Entscheidet das OLG auf Nicht-Auslieferung, so ist die Bewilligungsbehörde laut dem Gutachten daran gebunden. Allerdings heißt es auch, dass außenpolitische Punkte eine wichtige Rolle spielen. Grundsätzlich sei das Bundesministerium der Justiz Bewilligungsbehörde. Aber oftmals werde dies auch an Landesbehörden delegiert.

In Sachen Aufenthaltstitel bleibt Thomas de Maizière großer Spielraum

Dritter entscheidender Punkt einer Vernehmung Snowdens in Deutschland ist ein Aufenthaltstitel. Den müsste er bekommen, da er kein EU-Bürger ist. Laut Gutachten käme Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes infrage. Dort wird dem Bundesministerium des Inneren das Recht eingeräumt, Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, um „politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ zu wahren. Auch völkerrechtliche oder humanitäre Gründe können eine Rolle spielen. Im konkreten Fall hätte also Bundesinnenminister Thomas de Maizière großen Spielraum. Nur, darauf machen die Verfasser des Gutachtens auch aufmerksam, könnte da Ermessen „auf null reduziert sein“, wenn es bei dem Aufenthaltstitel um einen Zeugen für einen Untersuchungsausschuss geht. Denn da ist die Bundesregierung laut Untersuchungsausschussgesetz verpflichtet, bei der Beschaffung von Beweisen Hilfe zu leisten. Gleichwohl wird auch hier auf mögliche außenpolitische Folgen verwiesen. Insofern gibt es dann doch einen Spielraum.

Edward Snowden: Ein mutiger Held, den keiner haben will

Festhalten kann man also, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, Snowden in Deutschland zu vernehmen. Die Frage ist nur, ob die Bundesregierung den Willen des Untersuchungsausschusses unterstützt. In Deutschland selbst wurde Snowden kurz nach Beginn der NSA-Affäre weitestgehend positiv bewertet. 60 Prozent fanden seine Taten im Juli 2013 richtig. Aber Asyl für Snowden, das ergaben Umfragen im November, finden nicht mal 50 Prozent angemessen. Möglicherweise lässt sich daraus auch genau jene Schizophrenie ablesen, die die deutsche Politik bestimmt. Einerseits wird Snowden als mutiger Held angesehen, der gewissermaßen sein ganzes bisheriges Leben aufgegeben hat, um auf einen Missstand hinzuweisen, der die persönliche Freiheit eines jeden Einzelnen betreffen könnte. Andererseits will man ihn auch nicht hier haben. Aus Angst vor dem Zorn der USA. Und, zumindest in der Politik könnte das eine Rolle spielen, um potenzielle deutsche Whistleblower nicht zusätzlich zu animieren. Vor allem in der Union gibt es eine große Zurückhaltung. Dort tendiert man in der Bewertung Snowdens dazu, sein Tun eher als Verrat denn als Aufklärung einzustufen. Zumindest gibt es große Skepsis darüber, ob Snowdens Informationen von Nutzen sind.

Tatsächlich ist fraglich, ob die Enthüllungen von Snowden an den Praktiken der Geheimdienste etwas ändern werden. Aber schon jetzt ist klar, dass durch Snowden und seine offengelegten Systeme der NSA die Sensibilität für Datenschutz und Freiheitsrechte gestiegen ist. Sie erleben eine Art politisches Revival – und das könnte für die Politik zu einem verlockenden Angebot werden und die Stoßrichtung von der Sicherheitspolitik zur Bürgerrechtspolitik verschieben. Insbesondere die nun beginnende Debatte über die Vorratsdatenspeicherung könnte da einen Vorgeschmack liefern.

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