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Beate Zschäpe schweigt - und alle fragen sich: Wie ist aus der "Diddlemaus" eine gefährliche Neonazi-Terroristin geworden?

© dpa

NSU-Angeklagte Beate Zschäpe: Die Frau im Schatten

Beate Zschäpe fand im Urlaub schnell Freunde, verabredete sich zum Sport und erzählte von ihren Katzen. Da lebte sie schon im Untergrund. Jetzt steht sie wegen der zehn Morde des NSU vor Gericht. Ein Blick in das Leben einer mutmaßlichen Neonazi-Terroristin.

Von Frank Jansen

Die Zeugin, die das Bundeskriminalamt im Juli 2012 befragt, verschweigt offenbar nichts. Obwohl Sabine Schneider (Name geändert) der frühere Kontakt zur rechten Szene peinlich zu sein scheint. „Politik ist überhaupt nicht mein Ding“, gibt Schneider den BKA-Beamten zu Protokoll, „ich war halt bei diesen Runden damals dabei, das war lustig und da wurde getrunken.“ Rechtsradikales Gedankengut „habe ich persönlich überhaupt nicht“.

Die Frau Anfang 40 aus Ludwigsburg (Baden-Württemberg) wirkt wie die Mitläuferin einer rechten Clique, die sich mit Kumpels aus Thüringen und Sachsen traf. Mal dort, mal in Ludwigsburg. Schneider fand die Ostler sympathisch, vor allem eine Frau aus Thüringen. Die war fröhlich und die Einzige, die sich nicht szenetypisch kleidete. Die Frau hieß Beate Zschäpe. In ihr hat sich Schneider, so sieht sie es heute, furchtbar getäuscht.

Schneider erlebte „die Beate“ als „liebevolle, nette, höfliche Dame“. Auch ihre Mutter sei von Zschäpe begeistert gewesen, sagt Schneider. „Beate hatte ja Gärtnerin gelernt und gab meiner Mutter Tipps.“ Von 1994 bis 2001 hielt der Kontakt, Zschäpe kam meist mit Uwe Mundlos nach Ludwigsburg, selten nur war Uwe Böhnhardt dabei. Offenbar ahnungslos lachte und trank Sabine Schneider mit rechten Mördern. Sie hat sich „auch mit dem Uwe Mundlos bestens verstanden“. Bis zum Sommer 2001 hatten sie, die beiden Killer der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“, bereits vier Türken erschossen und einen Sprengstoffanschlag verübt, vier Geldinstitute und einen Supermarkt überfallen.

Ahnungslos war auch der Staat. Er wusste nichts vom NSU, trotz aufwendiger Ermittlungen nach jedem Verbrechen, das die Terroristen begangen hatten. Es erscheint unglaublich, auch heute noch, fast anderthalb Jahre nach dem dramatischen Ende der Terrorgruppe. Mundlos und Böhnhardt sind tot, vom Trio, das 1998 untertauchte, ist nur Beate Zschäpe übrig. Sie wird in der kommenden Woche ein gewaltiges Medieninteresse auf sich ziehen, über Deutschland hinaus.

Am 17. April beginnt am Oberlandesgericht München der Prozess gegen die 38 Jahre alte Frau und vier Mitangeklagte – den Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie André E., Holger G. und Carsten S. Die vier Männer sollen dem Trio geholfen haben, es geht da um Waffen, falsche Ausweise, unter Tarnnamen gemietete Wohnmobile. Der 6. Strafsenat wird über eine unfassbare Serie von Verbrechen zu urteilen haben, mit fassbaren Kategorien wie Täterschaft, Schuld, Unschuld, Strafmaß. Eine gigantische Aufgabe.

In einigen Medien ist schon vom „Jahrhundertprozess“ die Rede. Der Superlativ erscheint sogar plausibel. Das NSU-Verfahren ist, sieht man von den Prozessen zum Staatsterrorismus der Nazis ab, das größte zu rechtsextremem Terror seit Gründung der Bundesrepublik. Der Präsident des Gerichts, Karl Huber, erwartet eine Dauer von mehr als zwei Jahren. Die juristische, aber auch die politische Dimension des Prozesses erinnert an die so spektakulären wie schwierigen Verfahren gegen Mitglieder der Roten Armee Fraktion. Und der Blick auf den Komplex RAF, auf die hier immer noch schmerzlich offenen Fragen zu Morden, Motiven und Hintergründen, verstärkt die Ahnung, auch im NSU-Verfahren werde vieles unbegreiflich bleiben. Vielleicht auch die Person Beate Zschäpe.

Beate Zschäpe schweigt. Die Akten erzählen aus ihrem Leben.

Die Angeklagte schweigt – voraussichtlich auch im Prozess, zumindest am Anfang. Dass Zschäpe nicht redet, ist ihr gutes Recht. Auch Zschäpes Mutter und Großmutter sprechen nicht mit den Medien. Dennoch kommt man ihr näher bei der Lektüre von Ermittlungsakten des BKA und anderen Unterlagen. Zschäpe erscheint da zunächst wie eine Durchschnittsfigur, die sich radikalisiert hat, die an den beiden Uwes hing und plötzlich mit ihnen verschwand. Keine Ulrike Meinhof, die den Kampf für die RAF intellektuell zu begründen suchte, keine Fanatikerin mit einem bizarren Charisma wie Gudrun Ensslin. Nur ein unbedeutende Thüringer Rechtsextremistin. Die dann, so sieht es die Bundesanwaltschaft, eine ungeheure kriminelle Energie entwickelte. In der knapp 500-seitigen Anklage werden aufgelistet: Beteiligung an den zehn Morden des NSU, an mehreren Mordversuchen, an 15 Raubüberfällen, dazu Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwere Brandstiftung. Zschäpes Anwälte halten die Vorwürfe für weit übertrieben. Doch aus Sicht der Ermittler wurde die junge, unauffällige Frau aus Jena, in der rechten Szene als „Diddlmaus“ verniedlicht, die gefährlichste Neonazi-Terroristin in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Die Biografie bis zum Gang in den Untergrund zeugt, wie bei vielen Rechtsextremisten üblich, von einer schwierigen Kindheit. Geboren am 2. Januar 1975 in Jena, wächst Zschäpe bei ihrer Mutter Annerose Apel und ihrer Großmutter auf. Annerose Apel hatte den rumänischen Vater beim Zahnmedizinstudium in Rumänien kennengelernt. Als die Mutter 1975 heiratet, einen Deutschen, nimmt sie dessen Nachnamen an. 1977 lässt sie sich scheiden, ein Jahr später heiratet sie Günter Zschäpe und zieht zu ihm in eine andere Stadt in Thüringen. Tochter Beate bleibt bei der Großmutter. Als wenig später auch die zweite Ehe scheitert, zieht Annerose Zschäpe zurück nach Jena und nimmt Beate wieder zu sich. Doch Mutter und Tochter verstehen sich nicht, es gibt häufig Streit. Familiäre Wärme erlebt Beate offenbar nur bei der Großmutter.

Bei der Festnahme im November 2011 sagt Beate Zschäpe einem Polizisten, sie sei als „Omakind“ aufgewachsen. 1981 wird sie in Jena an der Polytechnischen Oberschule „Otto Grotewohl“ eingeschult, 1992 macht sie an der Oberschule „Johann Wolfgang von Goethe“ den Abschluss nach der 10. Klasse. Der Wunsch, sich zur Kindergärtnerin ausbilden zu lassen, geht nicht in Erfüllung. Zschäpe macht eine Lehre als Gärtnerin für Gemüseanbau, die Abschlussprüfung besteht sie 1995 mit „befriedigend“. Übernommen wird Zschäpe nicht. Sie ist länger arbeitslos, ein Jahr lang hat sie eine ABM-Stelle als Malergehilfin, dann wieder nichts.

Es sind die Jahre, in denen Beate Zschäpe in den Rechtsextremismus abdriftet. 1993 beginnt sie eine Beziehung mit dem Professorensohn Mundlos, der auch in einer rechten Clique abhängt. Das ist die Keimzelle der „Kameradschaft Jena“, einem kleinen, verschworenen Neonazi-Trupp, der sich später dem Netzwerk „Thüringer Heimatschutz“ anschließt. 1995 fällt Zschäpe erstmals dem Verfassungsschutz auf, als sie an einem größeren rechtsextremen Treffen teilnimmt – zusammen mit Mundlos und Böhnhardt. Im selben Jahr werden Zschäpe und Böhnhardt ein Paar. 1996 zieht sie bei Böhnhardts Familie ein. Doch der enge Kontakt zu Mundlos bleibt erhalten. Das Trio wird zunehmend fanatisch und für Zschäpe eine Art Ersatzfamilie.

In den kommenden Jahren fallen sie Polizei und Verfassungsschutz immer wieder auf. Es sind die für die Szene typischen Provokationen, zum Beispiel ein Auftritt von Mundlos und Böhnhardt in SA-ähnlicher Kluft in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Aber bald schon reicht das nicht, die Aktionen werden härter. An einer Autobahnbrücke nahe Jena hängt das Trio einen Puppentorso auf, der einen Juden darstellen soll und mit einer Bombenattrappe verbunden ist. Der Drang zur Militanz wird stärker. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe planen den bewaffneten Kampf.

Als Polizisten am 26. Januar 1998, auf einen Tipp des Verfassungsschutzes hin, eine von Zschäpe gemietete Garage in Jena durchsuchen, finden sie eine Sprengstoffwerkstatt. Da liegen eine fertige und vier halb gebastelte Rohrbomben, ein Sprengsatz in einer Blechdose, eine Zündvorrichtung mit einem Wecker, 60 Superböller, Schwarzpulver und ein TNT-Gemisch. Die Beamten entdecken eine Diskette, darauf ein Gedicht mit dem Titel „Ali-Drecksau, wir hassen Dich“. Durchsucht wird auch Zschäpes Wohnung, in die sie 1997 gezogen ist. Die Polizisten stellen mehrere Waffen sicher und ein Exemplar des Brettspiels „Pogromly“, eine obszöne, Auschwitz glorifizierende Version von Monopoly.

Bei ihrem letzten Anruf sagte sie: Es ist was passiert in Eisenach.

Für die Beamten ist die Aktion trotz der Funde ein Fehlschlag, das Trio taucht ab. Es wird fast 14 Jahre dauern, bis die Polizei Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe wieder entdeckt. Die beiden Uwes am 4. November 2011 als Leichen in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach, Beate Zschäpe vier Tage später an der Pforte einer Polizeistation in Jena. Die Frau stellt sich.

Die 14 Jahre Untergrund bleiben bis heute zumindest in Teilen eine Black Box. Die Ermittler haben nur wenige Erkenntnisse darüber, was Zschäpe in all den Jahren gemacht hat, warum sie bei den Uwes blieb, was sie von deren Mord- und Raubtouren wusste. Bei Mutter und Großmutter hat sie sich offenbar nie gemeldet. Nachbarinnen aus Zwickau, wo sich das Trio von 2000 an in drei Wohnungen versteckte, und Urlaubsbekanntschaften, die das Trio bei Urlauben auf der Insel Fehmarn erlebten, schildern so ungläubig wie Sabine Schneider eine freundliche, lustige, warmherzige Frau. Die sich allerdings in dieser Zeit nicht Beate Zschäpe nennt, sondern „Lisa Dienelt“ oder „Susann Dienelt“ oder einfach „Liese“. „Ich habe mit Liese häufig morgens Sport gemacht“, erzählt später eine Zeugin der Polizei, die Zschäpe 2001 auf Fehmarn kennengelernt hatte. „Und mittags haben wir uns gesonnt“. Die Liese habe ihr auch erzählt, „dass sie zwei Katzen hat, die zu Hause von einer Freundin versorgt werden“. Das mit den beiden Katzen stimmt sogar. „Heidi“ und „Lilly“ geht es gut in der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße, wo sie auch einen kleinen Kratzbaum haben.

Wie die Wohnung des Trios sonst noch aussah, ist für die Bundesanwaltschaft ein Beweis dafür, dass Zschäpe in die Taten von Mundlos und Böhnhardt eingeweiht war. Fünf Kameras überwachten die Umgebung der Wohnungstür. Eine weitere Tür war massiv gesichert und mit einem Schallschutz versehen, der Eingang zum Kellerraum mit einem Alarmsystem ausgestattet. Nachdem Zschäpe am 4. November 2011 die Wohnung angezündet hatte und dabei das halbe Haus in die Luft flog, fand die Polizei im Brandschutt zwölf Schusswaffen, darunter die Ceska Typ 83. Mit ihr erschossen Mundlos und Böhnhardt die neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft.

Aus Sicht der Bundesanwaltschaft gibt es noch mehr Belege für die Beteiligung Zschäpes an allen Verbrechen. Sie habe 2001 gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt vom Mitangeklagten Holger G. die Ceska entgegengenommen, sagen Ermittler. Sie habe zudem mit erfundenen Geschichten gegenüber Nachbarn die häufige Abwesenheit der beiden Uwes „abgetarnt“. Und sie habe die Beute der Raubzüge verwaltet und nach der Brandstiftung in Zwickau 15 Briefe mit der Paulchen-Panther-DVD verschickt, auf der sich der NSU zu den Morden und Anschlägen bekennt.

Die Ermittler betonen auch, eine Zeugin erinnere sich daran, Zschäpe am 9. Juni 2005 in Nürnberg gesehen zu haben. Sie soll in einem Supermarkt gestanden haben, kurz bevor Mundlos und Böhnhardt im benachbarten Imbiss den Türken Ismail Yasar erschossen. Zschäpes Anwälte halten gerade diese Aussage für unglaubhaft. Die Zeugin habe erst, nachdem Zschäpes Bild über die Medien bekannt geworden war, behauptet, sie damals gesehen zu haben. Für die Verteidiger gibt es keinen tragfähigen Beweis, dass Zschäpe an den Morden beteiligt war.

Ein Hinweis dafür, dass Zschäpes Bindung an den Rechtsextremismus heute vielleicht schwächer sein könnte, sind die Anwälte selbst. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm sind integre Juristen, von jedem Verdacht der Nähe zur Szene weit entfernt. Die Verteidigerin des Mitangeklagten Ralf Wohlleben hingegen war auch Mitglied der NPD.

Zschäpes Anwälte sprechen nur ungern darüber, wie es ihrer Mandantin heute geht. In Justizkreisen heißt es, sie lese in ihrer Zelle viele Akten. Mutter und Großmutter hätten sie besucht.

Beate Zschäpe bleibt eine nur schwer zu begreifende Figur. Selbst eine Frau, die Zschäpe etwas besser kannte, dringt in die Black Box kaum ein. „Ich kann hier sagen, dass ich die Beate wirklich gemocht habe“, gibt Brigitte Böhnhardt im Januar 2012 bei einer Vernehmung zu Protokoll. Sie ist die Mutter von Uwe Böhnhardt, ihr toter Sohn und Zschäpe waren vermutlich bis zuletzt ein Paar. „Sie war kontaktfreudig, aufgeschlossen und ein nettes Mädchen“, sagt Brigitte Böhnhardt. „Dass sie ein tragendes Mitglied dieser Gruppierung (gemeint ist der NSU) gewesen sein soll, ist für mich unvorstellbar.“

Den letzten Kontakt zu Zschäpe hatte Brigitte Böhnhardt am 5. November 2011, einen Tag nach dem Tod der beiden Uwes. Gegen 7 Uhr habe eine weibliche Stimme angerufen. „Hier ist Beate“, habe sie gesagt, „Uwes Beate“. Und „dass wir Nachrichten schauen sollen. In Eisenach wäre etwas passiert und es würde sich um die beiden Jungens handeln“. Zschäpe deutete an, auch die Eltern von Uwe Mundlos anrufen zu wollen. Brigitte Böhnhardt war geschockt und sprachlos. „Wir sagten dann beide gar nichts mehr.“ Und Zschäpe legte auf.

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