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Die Aufarbeitung der NSU-Mordserie beschäftigte am Donnerstag den Bundestag.

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Update

NSU-Debatte im Bundestag und Abgeordnetenhaus: "Der Staat war und ist auf dem rechten Auge nicht blind"

In einer Aktuellen Stunde zum NSU-Komplex waren sich die Abgeordneten im Bundestag einig, dass die Pannenserie bei den Ermittlungen ein Skandal sei - nur einer nahm die Sicherheitsbehörden in Schutz. Unterdessen nannte im Abgeordnetenhaus Innensenator Henkel das Schreddern von Akten "nicht entschuldbar".

Bis kurz vor Schluss herrschte weitestgehend Einigkeit im Deutschen Bundestag. In einer auf Antrag der Grünen einberufenen Aktuellen Stunde zur Zwischenbilanz ein Jahr nach Auffliegen der rechten Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) haben zahlreiche Redner aller Fraktionen auf das Versagen der Sicherheitsbehörden hingewiesen und der Fassungslosigkeit der Taten Ausdruck verliehen. Dann kam Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Er schlug einen anderen Ton an und verteidigte die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden. Die Taten seien kein "Ruhmesblatt" für die Sicherheitsbehörden gewesen, aber man müsse sich auch mal in die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden versetzen und da dränge sich die Frage auf, ob man mit denen fair umgehe. "Ich waren davor, Polizei und Verfassungsschutz pauschal zu diffamieren", sagte Uhl. Das werde permanent gemacht, sagte Uhl weiter. Weder die Sicherheitsbehörden noch der Staat seien auf dem rechten Auge blind. "Das war nicht so und das ist nicht so." Er riet dem Bundesverfassungsgericht zu klären, wie viel Trennung von Ermittlungsbehörden und Sicherheitsbehörden notwendig ist. Er sei für eine Trennung. Und: "Wir brauchen starken Verfassungsschutz und starke Polizei."

Die meisten anderen Redner kommen zu einem anderen Urteil - auch auf Seiten der Union. Besonders viel Applaus erhielt Clemens Binninger, Obmann der Union im NSU-Untersuchungsausschuss. Er zitierte, wie viele andere auch, den Ex-Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm, der von einer Niederlage der Sicherheitsbehörden gesprochen hatte. "Aber es war mehr: Es war eine Niederlage für die ganze Gesellschaft, und das darf sich nicht wiederholen." Die Aufgabe des Ausschusses sei es, alle Fragen vorbehaltlos zu stellen - stellvertretend für die Angehörigen der Opfer. Eine der Fragen sei, warum es nicht gelungen sei, die Täter zu finden. Er verwies auf den Sprengstoffanschlag 2004 in Köln, als der Nachrichtendienst kurz nach dem Anschlag in einem Dossier einen fremdenfeindlichen Anschlag in Betracht zog, sogar auf das untergetauchte Trio aus Thüringen verwies. "Dass trotzdem nicht in diese Richtung ermittelt wurde, macht mich fassungslos." Auch dass kein Zusammenhang zwischen zahlreichen Banküberfällen, bei denen stets zwei Männer mit dem Fahrrad flüchteten und den anderen Taten, wo es auch Hinweise auf Täter mit Fahrrädern gab, hergestellt worden sei, sei ein "Armutszeugnis der Analysefähigkeit". Es gebe ein Missverhältnis zwischen dem Aufwand für Ermittlungen in bestimmte Richtung und dem Aufwand für die Ermittlung in Richtung Fremdenfeindlichkeit.

Wolfgang Wieland, Obmann der Grünen im NSU-Ausschuss, sprach ebenfalls von Fassungslosigkeit. "Der deutsche Staat hat eine schwere Schuld auf sich geladen", sagte Wieland. Der Grüne sprach von einem "Totalversagen der Sicherheitsbehörden". Er sprach davon, dass die Sensibilität für das Thema bis heute teilweise nicht angekommen sei und verwies aufs die Aktenschredderaktion beim Berliner Verfassungsschutz. "Das ist nicht zu Glauben." Eva Högl, Obfrau der SPD, lobte in der Debatte die überparteiliche Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuss, aber sie sagte auch, die Arbeit könne kein geschehenes Unrecht wieder gutmachen. Sie griff Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an, zu wenig im Kampf gegen Rechtsextremismus zu tun. Es sei auch ein Fehler gewesen, im November 2011 kurz nach Auffliegen der Terrorgruppe, kein Aktenvernichtungsstopp verhängt zu haben, sondern erst, als im Sommer 2012 bekannt geworden war, dass beim Bundesamt für Verfassungsschutz wichtige Unterlagen geschreddert wurden. "Da ist viel Vertrauen kaputt gegangen" Petra Pau von der Linken wiederum warf Friedrich vor, dass Behörden in Hintergrundgesprächen Parlamentarier als Sicherheitsrisiko gebrandmarkt würden. "Das ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis", sagte Pau.

Friedrich selbst sprach in der Debatte von einem "Schock", den das Bekanntwerden des Trios ausgelöst habe. Experten hätten geirrt und versagt. Es sei verletzend gewesen, dass Angehörige von Opfern selbst in den Fokus von Ermittlungen geraten seien. Allerdings seien Polizei und Staatsanwaltschaft nun mit "Hochdruck" an der Aufklärung. Dass nun Anklage gegen Beate Zschäpe und Unterstützer der NSU vom Oberlandesgericht München erhoben worden ist, sei ein guter Beleg. "Das ganze findet in einem schwierigen Umfeld statt", erklärte Friedrich. Schließlich schweige Zschäpe, die beiden anderen sind tot und viel Beweismaterial ist laut Friedrich verbrannt. Er dankte dem Untersuchungsausschuss für seine Arbeit und kündigte Reformen als Konsequenz aus dem NSU-Skandal an. Vor allem an der Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden müsse gearbeitet werden. Aber der Kampf gegen den Rechtsextremismus sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und es gelte, "den Rechtsextremismus mit neuer Entschlossenheit zu bekämpfen".

Unterdessen hat sich im Berliner Abgeordnetenhaus Innensenator Frank Henkel zum Fall geschredderter Verfassungsschutzakten zum Rechtsextremismus geäußert. Wie bereits berichtet, sagte Henkel, er sei seit dem 15. Oktober über den Vorgang informiert. Es sei zunächst jedoch nicht klar gewesen, „was passiert ist und Gegenstand der Akten war“, sagte Henkel am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Er habe deshalb sofort veranlasst, die Mitarbeiter zu befragen und für Aufklärung zu sorgen.

Die Opposition hatte Henkel scharf kritisiert, weil sie erst zu Wochenbeginn unterrichtet wurde, dass im Juni Akten des Verfassungsschutzes zum Rechtsextremismus geschreddert worden waren. Nach Angaben der Behörde handelte es sich dabei nicht um Unterlagen, die einen Bezug zur rechten Terrorzelle NSU haben. Zum damaligen Zeitpunkt lief jedoch die Aufklärung der NSU-Affäre bereits auf Hochtouren, jegliche Akten mit Bezug zum Rechtsextremismus hätten deshalb nicht vernichtet werden dürfen.

Henkel betonte, auch für ihn sei der Vorgang „inakzeptabel“ und „nicht entschuldbar“. Er habe selbst „höchstes Interesse“ an der Aufklärung. Vertuschungsvorwürfe seitens der Opposition wies der Senator jedoch nachdrücklich zurück. Sie gehörten ins „Reich der Phantasie“, denn die Innenverwaltung habe von sich aus die Berliner Abgeordneten und den NSU-Bundestags-Untersuchungsausschuss informiert. (mit dapd)

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