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Politik: NSU hinterließ Adressen – die niemand prüfte

Polizei hielt Unterlagen von Mundlos für unwichtig.

Von Frank Jansen

Berlin - Eine neue Panne empört die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Die Abgeordneten haben erst diese Woche eine Liste mit Namen von Bekannten des Terroristen Uwe Mundlos erhalten, obwohl das Papier schon seit März 2012 beim Bundeskriminalamt gelegen haben soll. „Ich bin einigermaßen schockiert“, sagt am Donnerstag Eva Högl, Obfrau der SPD-Fraktion. Von einem „völligen Kommunikationsdesaster“ spricht der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland. Aber die Aufregung geht noch über den Ärger hinaus, ein brisantes Papier erst spät erhalten zu haben. Die Adressenliste ist auch ein weiterer Hinweis auf gravierende Fehler der Polizei bei der Suche nach der Terrorzelle.

Das Papier mit mehr als 50 Namen steckte in einer Plastiktüte, die Thüringer Polizeibeamte im Januar 1998 aus einer Garage in Jena mitnahmen. Nicht aus irgendeiner Garage: Dort lagen Rohrbomben, die mutmaßlich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gebaut hatten. Noch während der Razzia tauchten die drei ab.

Auf der Liste stehen Namen, Orte und Telefonnummern, die auf die Spur der verschwundenen Rechtsextremisten hätten führen können. Das gilt auch für eine weitere, bereits bekannte Adressliste von Mundlos. Sie hatte in der Garage in einem Karton gelegen. Doch die Zielfahnder, die das Landeskriminalamt Thüringen 1998 auf das Trio ansetzte, bekamen das Material nicht. Das hat einer von ihnen bereits dem Ausschuss berichtet. Ein Grund für die Panne war, dass ein in Thüringen tätiger Beamter des Bundeskriminalamts die Adressliste aus dem Karton als unbedeutend abtat.

Einen „tragischen Fehler“ hält der Unionsobmann im Ausschuss, Clemens Binninger, BKA und LKA vor. Die Adressenlisten wären „eine Blaupause gewesen für eine erfolgreiche Zielfahndung“. Auf beiden Listen, sie scheinen teilweise identisch zu sein, stehen auch Namen von Personen in Chemnitz. In der sächsischen Stadt hatte sich das Trio nach der Flucht aus Jena bis Sommer 2000 in mehreren Wohnungen versteckt. Hätten die Zielfahnder die Adresslisten gehabt, wären sie nach Chemnitz gefahren – mit einer beachtlichen Chance, die drei aufzustöbern. Womöglich wären alle Gewalttaten des NSU – zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle – zu verhindern gewesen.

Eine Sprecherin des BKA sagt nur, die laufende Arbeit des Untersuchungsausschusses werde nicht kommentiert. Bundesinnenminister Hans- Peter Friedrich (CSU) hat allerdings, wie sein Haus auf Anfrage mitteilt, das BKA aufgefordert, „zu dem Sachverhalt zu berichten“. Außerdem habe das Ministerium auch in dieser Angelegenheit den Untersuchungsausschuss „bislang umfassend und schnellstmöglich informiert und wird das auch weiterhin tun“.

Unterdessen deutet sich an, dass bei dem im April beginnenden Prozess gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte Platznot herrschen wird. Der vom Oberlandesgericht München vorgesehene Saal fasst 220 Personen, die Hälfte stellen allein die Nebenkläger und ihre Anwälte. Für die Medien bleiben nur 50 Plätze übrig, trotz des zu erwartenden Andrangs aus dem In- und Ausland. „Es ist außerordentlich wichtig, dass alle, die es wollen, von diesem Prozess erfahren“, mahnt die Obfrau der NSU-Opfer, Barbara John, „deshalb sollte die Hauptverhandlung die größtmögliche Öffentlichkeit haben“. Angesichts des zu befürchtenden Gedränges verweist John auch auf die psychischen und zum Teil auch physischen Leiden von Opfern und Angehörigen. Frank Jansen

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