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In diesem Wohnmobil starben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

© dapd

NSU-Morde: Noch sind viele Fragen offen

Die Verbrechen der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ sind auch ein Jahr nach ihrem Bekanntwerden unfassbar. Obwohl die Ermittler zahllose Details sammeln, bleibt vieles bis heute unklar. Wie funktionierte der Irrsinn?

Von Frank Jansen

Die Bilder sind so grausig, dass man sie nicht drucken kann. Auf den Fotos der Ermittler sind die Schädel von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos durch die Schüsse fast bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert. Am 4. November 2011, gegen 12 Uhr 05, haben die NSU-Terroristen an sich selbst ihren Mordwahn so exekutiert, wie sie ihn zuvor an zehn Menschen ausgetobt hatten.

Irrsinn mit Logik. Vor genau einem Jahr. Als die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ nach einem beinahe 14-jährigen Feldzug gegen die Demokratie am Ende war.

Den Opfern hatten Böhnhardt und Mundlos aus geringer Distanz in den Kopf geschossen, beim Showdown in einem Wohnmobil in Eisenach hielt Mundlos seinem Kumpan eine Pumpgun an die linke Schläfe. Dann steckte sich Mundlos die Waffe in den Mund. Und um 15 Uhr 08 flog in Zwickau ein halbes Haus in die Luft. Beate Zschäpe hatte das Versteck, in dem sie seit 2008 mit Mundlos und Böhnhardt lebte, mit so viel Kraftstoff in Brand gesetzt, dass es zur Verpuffung kam. Auch das ein logisch erscheinender Akt der Selbstzerstörung. Aber nicht mit letzter Konsequenz. Zschäpe wollte nicht sterben. Am 8. November stellte sie sich in Jena der Polizei.

Der Ablauf des Finales in Eisenach und Zwickau ist einigermaßen klar. Doch was vor dem letzten Akt geschah, in den Jahren seit dem Untertauchen des Trios am 26. Januar 1998, ist nur in Teilen nachvollziehbar. Obwohl die Ermittlungsakten der Bundesanwaltschaft 1000 Bände umfassen. Ausgewertet wurden 4300 „gegenständliche“ Asservate und 2500, die auf Datenträgern gespeichert sind. Weitere Zahlen: Es gab mehr als 1000 Vernehmungen und über 20 Durchsuchungen, und es wurden mindestens 67 Telekommunikationsverbindungen überwacht. Zeitweise waren bis zu zehn Staatsanwälte und mehr als 400 Polizisten in das Verfahren eingebunden.

Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz listen inzwischen im NSU-Komplex „100 relevante Personen“ auf. Oben stehen Böhnhardt und Mundlos, dann folgen Zschäpe und zwölf weitere Beschuldigte sowie 85 „Personen mit nachgewiesenen Kontakten zu Tätern oder Beschuldigten des Ermittlungsverfahrens“. Auf der Liste finden sich frühere und aktuelle NPD-Funktionäre, ein Landtagsabgeordneter der Partei und fünf V-Leute.

Der gewaltige Datenberg bietet dennoch keine Erklärung für zentrale Fragen zu den Verbrechen der Terrorgruppe – es geht um zehn Morde, mindestens einen Mordversuch, zwei Sprengstoffanschläge, 14 Banküberfälle und einen Raub in einem Supermarkt. Bei den Tötungsverbrechen und den Anschlägen ist offen, nach welcher Logik die Terroristen die Tatorte und -ziele aussuchten. Und welches Kalkül den Zeitplan prägte. Falls es einen gab.

Dass der NSU aus rassistischem Hass Migranten tötete, ist klar – aber warum wurde in sechs Bundesländern gemordet und gebombt? Und wieso gerade hier? Warum traf es im Juni 2001 in Nürnberg den türkischen Schneider Abdurrahim Özüdogru und zwei Wochen später in Hamburg den auch aus der Türkei stammenden Gemüsehändler Süleyman Tasköprü? Warum erschossen Mundlos und Böhnhardt im April 2006 in Kassel den Deutschtürken Halit Yozgat und ein Jahr später in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter? Wie kam die Terrorzelle im Jahr 2000 darauf, in Köln im Geschäft eines Iraners einen Sprengsatz zu deponieren, der im Januar 2001 die Tochter des Ladeninhabers schwer verletzte? Und warum fuhren Mundlos und Böhnhardt 2004 noch mal nach Köln, um nun eine Nagelbombe vor einem türkischen Friseursalon zu zünden?

Zu erkennen ist nur, dass die Täter in der Ferne töteten, aber meist in der Nähe raubten. Zehn der 14 Banküberfälle verübten Mundlos und Böhnhardt in Sachsen, wo sich das Trio versteckte. Doch in Sachsen begingen Mundlos und Böhnhardt keinen Mord.

Irrsinn ohne Logik? Die Frage könnte Beate Zschäpe beantworten. Aber sie schweigt. Im nächsten Jahr müssen sich Zschäpe und weitere Beschuldigte vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Sagt Zschäpe auch dann nichts, ist ein zäher Prozess zu erwarten.

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