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Oberlandesgericht München.

© dpa

NSU-Prozess: Ex-Innenminister Baum: „Der Richter hat den Prozess bisher unterschätzt“

Der ehemalige Bundesinnenminister und FDP-Rechtsexperte Gerhart Baum hält die Öffentlichkeitsarbeit des Oberlandesgerichts für "eher hilflos" und "unprofessionell". Im Interview mit dem Tagesspiegel fordert er Konsequenzen aus dem Hickhack im Vorfeld des NSU-Prozesses.

Herr Baum, die Debatte um die Vergabe der Presseplätze für den NSU-Prozess geht weiter. Droht ein Ansehensverlust?

Der Ansehensverlust für das Gericht ist groß. Bei einem so wichtigen Prozess hätte sich das Gericht besser auf diese schwierige Situation einstellen müssen. Denn allen musste klar sein, dass der Saal zu klein ist, um dem Zuschauer- und dem Presseinteresse gerecht zu werden.

Was hätte gemacht werden müssen?
Ich hätte mir mehr Sorgfalt bei der Frage gewünscht, wie die Presseplätze vergeben werden, welche unvermeidbaren Probleme es gibt. Dass es nun beim zweiten Auswahlverfahren wieder Fehler gegeben hat, ist nicht nachvollziehbar. Natürlich ist es auch schwierig, ein perfektes Verfahren zu finden. Eine Patentlösung gibt es dafür nicht. Aber es geht auch um die Frage, wie man mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Und das lässt sich sagen: Die Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts ist eher hilflos und nicht professionell.

Wäre eine Videoübertragung ein Ausweg?
Das ist ein schwieriges Thema. Das Bundesverfassungsgericht überträgt Verhandlungen in einen anderen Raum. Nur geht es da um Rechtsfragen und nicht unmittelbar um Menschen. Das Gericht in Karlsruhe hatte bei der Entscheidung zum ersten Vergabeverfahren, als die türkische Zeitung „Sabah“ geklagt hatte, eine Videoübertragung nicht explizit als Option für das OLG genannt. Es hat sie aber auch nicht direkt ausgeschlossen.

Gerhart Baum
Gerhart Baum

© dapd

Was heißt das für zukünftige Prozesse?
Eine Konsequenz muss eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Videoübertragung sein. Was bewirkt es, wenn Kameras auf Angeklagte und Zeugen gerichtet sind? Wie sieht es mit der Kontrolle des Richters in dem Saal aus, in dem der Prozess übertragen wird? Das sind Fragen, mit denen man sich jetzt auseinandersetzen sollte. Aber ich bin skeptisch, ob das ein Ausweg sein könnte.

Ist der Richter, der den NSU-Prozess leiten wird, nach diesem ganzen Hickhack im Vorfeld überhaupt noch haltbar?
Nach allem, was ich gehört habe, ist Manfred Götzl ein sehr erfahrener und angesehener Richter. Aber er hat die Außenwirkung des Prozesses bisher unterschätzt.

Wirkt sich das auf den Prozess selbst aus?
Nein. Die jetzigen Kontroversen im Vorfeld haben mit der Verhandlung selbst nichts zu tun. Man muss auch aufpassen, den Prozess nicht zu überfrachten. Es geht darum, akribisch und nüchtern die individuelle Schuld der Angeklagten zu prüfen und zu klären. Dabei wird es sicher zwangsläufig auch um die Hintergründe des gesamten Komplexes des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gehen, aber das Gericht ist kein Untersuchungsausschuss. Die politische Aufarbeitung, die Frage nach dem Versagen der Sicherheitsbehörden ist Sache der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Vor allem der Bundestags-Untersuchungsausschuss hat diese Aufgabe bisher auch sehr gut gemacht.

War es ein Fehler, dass das OLG München als Ort für den Prozess ausgewählt wurde?
Ein Gericht mit mehr Raumkapazitäten wäre sicher vorteilhaft gewesen, aber ich denke selbst an anderem Ort – etwa in Düsseldorf – wäre man rasch an Grenzen gestoßen. Es ist einfach nur sehr ärgerlich, dass schon jetzt bei diesem so wichtigen und international beachteten Prozess ein schaler Beigeschmack bleibt.

Können Sie nachvollziehen, dass die Angehörigen der NSU-Opfer durch das Chaos Vertrauen in den Rechtstaat verlieren?
Die Angehörigen mussten bereits schweres Leid durchleben und die Aufregung rund um den Prozess ist belastend. Aber es gibt Regeln für einen solchen Prozess und die muss man einhalten. Aber man muss sie auch erklären und um Verständnis werben. Wichtiger als die belastenden Diskussionen im Vorfeld für das Vertrauen in den Rechtstaat ist der Verlauf des Prozesses selbst. Darauf kommt es an.

Rechnen Sie damit, dass der Prozessbeginn noch einmal verschoben werden muss und was würde das bedeuten?
Das wäre in der Tat eine zusätzliche Belastung. Sie sollte vermieden werden.

Gerhart Baum (80) war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Der FDP-Politiker ist Rechtsanwalt. Mit ihm sprach Christian Tretbar.

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