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NSU-Prozess: Manfred Götzl - der Ringrichter

Ist das nun rabiat und selbstherrlich? Oder einfach nur nötig, damit der NSU-Prozess nicht ausfranst? Der Vorsitzende Manfred Götzl bringt in den ersten Verhandlungstagen immer wieder eine der vielen Parteien gegen sich auf. Und manchmal spielt er sie sogar gegeneinander aus.

Von Frank Jansen

Dann ist doch noch etwas passiert, das kaum zu erwarten war. Manfred Götzl hat gelacht. Kurz, aber laut.

Am Donnerstag war das, dem für ein paar Wochen letzten Verhandlungstag im NSU-Prozess. In den Tagen davor hat Manfred Götzl zwar auch schon mal mokant einen Mundwinkel hochgezogen. Aber gelacht hat der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats am Oberlandesgericht München nie.

Gelacht hatten bis dahin immer nur andere. Wenn Götzl etwa die jungen Verteidiger von Beate Zschäpe zurechtwies. Wie am Montag, als er den Anwalt Wolfgang Heer anfuhr, „wenn Sie mir nicht sagen, zu welchem Zweck Sie das Wort haben wollen, erteile ich es Ihnen nicht“. Da war Gelächter zu hören. Aber Götzl selbst war kontrolliert und verkniff sich jede Regung. Donnerstagmittag war das nicht mehr nötig. Er hat dann einfach mitgelacht, als fast alle im Saal wie befreit auflachten. Er hatte gesagt: „Es ist vorgesehen, heute zu Ende zu kommen.“

Der NSU-Prozess ist ein Monstrum, eines, das die bundesdeutsche Justiz selten erlebt hat. Sie geht in diesem Verfahren an ihre Grenzen. Auch gestandene Anwälte sagen abends, sie bräuchten jetzt dringend ein paar Bier, „um wieder runterzukommen“. Es sind die vier schwierigen Verhandlungstage im engen, stickigen Saal A 101 des Justizpalasts an der Nymphenburger Straße gewesen, die allen Prozessteilnehmern einen Eindruck vermittelt haben, welche Strapazen noch vor ihnen liegen. Wahrscheinlich jahrelang.

Der Saal A 101. In dem mayonnaise- weiß gestrichenen Betonbunker mit dem schmächtigen Jesuskreuz drängen sich seit dem 6. Mai acht Richter, vier Vertreter der Bundesanwaltschaft, fünf Angeklagte, elf Verteidiger und eine schwankende Zahl von Nebenklägern mit mindestens 50 Anwälten. Über ihnen, auf der Empore, sind mehr als 100 Journalisten und Zuschauer verklebt. So muss man es sagen, weil dem Schweiß des Nachbarn in der Enge niemand entkommt.

Fast 500 Seiten umfasst die Anklageschrift. Die Vorwürfe gegen Beate Zschäpe sind die härtesten, die seit der Wiedervereinigung gegen eine Person aus der rechtsextremen Szene erhoben wurden. Mittäterschaft bei zehnfachem Mord, bei zwei Sprengstoffanschlägen, bei 15 Raubüberfällen. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Besonders schwere Brandstiftung in Tateinheit mit versuchtem Mord. Die Anklage gegen Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. ist weniger hart, aber jeder Einzelfall böte Stoff für ein eigenes größeres Verfahren. Der NSU-Prozess erscheint so gewaltig, dass sich die Frage stellt, ob er überhaupt zu beherrschen ist. Ob es Richter Manfred Götzl gelingt, den übergroßen Prozess in den Griff zu kriegen?

Götzl begreift sich offenbar als Dompteur in Robe. Der auf keinen Fall überfordert wirken will. Der nahezu kahlgeschorene, hagere Mann Ende 50, die randlose Brille sitzt ihm fast wie ein Kneifer auf der Nase, demonstriert jeden Tag, meist knapp und kalt, Überlegenheit. Da wirkt auch der bayerische Dialekt nicht gemütlich. Götzl pocht eisern auf seine „Sitzungsgewalt“.

Die bekommen vor allem die jungen Verteidiger von Beate Zschäpe zu spüren, das jungenhaft smarte Duo Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl sowie die eher leise, umgängliche Anja Sturm. Zschäpe selbst sitzt bleich und stumm dabei.

Das dünne Fell junger Wölfe.

Am Dienstag beschwert sich Wolfgang Heer, der Wortführer der drei Anwälte, bei Götzl über die Platzverhältnisse. Zwei Richterinnen säßen so nahe, dass sie die Unterlagen und Laptop-Monitore der Anwälte einsehen könnten.

Götzl kontert: „Die beiden Damen haben beide erklärt, sie können auf den Laptops der Verteidigung nichts erkennen.“ Der Richter streckt den Kopf zu Heer, „und wenn Sie wollen, können Sie gerne weiter hinten Platz nehmen“.

Nebenkläger und Zuhörer lachen.

Heer wehrt sich. „Natürlich setze ich mich nicht an einen Katzentisch hinten.“

„Katzentisch verbitte ich mir.“

„Warum unterbrechen Sie mich? Sie sind unhöflich und unterbrechen mich!“

„Ich habe das Wort!“, sagt Götzl. Heer ist wütend, doch es nützt ihm nichts. Kurz darauf unterbricht der Richter die Verhandlung, es soll über den umfangreichen Antrag der Verteidiger Zschäpes auf Aussetzung der Verhandlung entschieden werden. Das geht flott. Nach 20 Minuten kommt der Senat zurück. Götzl verkündet, der Antrag werde zurückgewiesen. Die Gründe rattert er herunter, als müsste er den Beipackzettel für ein Schnupfenmittel verlesen.

Alles nur Launen? Spielt sich da ein Richter auf, gefällt sich in bayerisch-barocker Selbstherrlichkeit? Oder versucht er zu verhindern, dass der durch den NSU-Schock schon lädierte Rechtsstaat weiter an Ansehen verliert, sollte die Hauptverhandlung ausufern und platzen?

Vermutlich stimmt beides. Götzl hat Erfahrung mit größeren Prozessen. Er saß über den Mörder des Münchner Modeschöpfers Rudolph Mooshammer zu Gericht und über Islamisten, die für Al Qaida warben. Was er unter Sitzungsgewalt versteht, bekamen vor Beginn des NSU-Prozesses die Medien zu spüren. Erst das Windhund-Verfahren, dann die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Korrektur, schließlich ein Losverfahren. Stur hielt Götzl bei der Vergabe fester Sitzplätze für den Gerichtssaal jeweils an der Methode fest, die er für die richtige hielt. Sensibilität, so scheint es, ist ihm nicht ganz so wichtig.

Das gilt auch für den Umgang mit Rechtsanwälten. Es zeigte sich schon am ersten Tag. Als die Verteidiger Zschäpes und Wohllebens ihre Befangenheitsanträge gegen Götzl gestellt hatten, setzte er die Verhandlung kurzerhand für die ganze weitere Woche aus. Obwohl er gleich zu Beginn betont hatte, es gehe ihm um eine beschleunigte Prozessführung. Immerhin sitzen Zschäpe und Wohlleben seit November 2011 in Untersuchungshaft.

Jenseits des Richtertisches verstand die Aussetzung niemand. Die Befangenheitsanträge waren weder zu komplex noch so kompliziert, dass die zuständigen Richter darüber nicht an einem Tag hätten entscheiden können. Offenbar ging es Götzl mehr darum, zu zeigen, wer das Tempo bestimmt. Und dass er es sich leisten kann, ein hohes Tempo zu fordern und plötzlich die Langsamkeit zu entdecken.

Die Leidtragenden waren die Verteidiger, vor allem die von Zschäpe. In den Augen vieler Nebenkläger hatten die mit ihren Anträgen den Prozess gleich zu Beginn verzögert und den Weg zur Gerechtigkeit erst mal blockiert. Zschäpes Anwälte waren getroffen. Sie empfanden es als unfair, dafür kritisiert zu werden, die klassischen Instrumente eines Strafverteidigers genutzt zu haben. Sie hätten die Aufregung auch stoisch an sich abperlen lassen können. Aber die drei haben noch nicht das dicke Fell alter Wölfe.

Immer mehr neue Nebenkläger würden den Prozess lähmen.

Götzl dürfte geahnt haben, was sich über den Verteidigern zusammenbraut. Die Ungeduld vieler Nebenkläger im NSU-Verfahren ist bekannt. Die Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU und die Überlebenden des Terrors wollen, dass endlich über Schuld und Strafe gesprochen wird. Und dann kommen viele von ihnen nach München und müssen nach einem Tag wieder gehen. Götzls unnötig lange Unterbrechung, die er nicht weiter begründete, lässt zumindest den Verdacht zu, er habe Verteidiger gegen Nebenkläger ausgespielt. Das wäre eine Demonstration der Macht. Götzl hält so was wohl für eine Methode, den Prozess in den Griff zu kriegen.

In dieser Woche hat Götzl wieder betont, wie wichtig ihm eine zügige Verhandlung ist. Und jetzt handelte er auch entsprechend. Am Dienstag setzte er durch, dass die Bundesanwaltschaft den Anklagesatz verlesen kann. Die Nebenkläger waren zufrieden. Endlich wurde über die Taten des NSU gesprochen, endlich wurden die Angeklagten mit den massiven Vorwürfen konfrontiert. Der Prozess habe dank Götzl „Fahrt aufgenommen“, sagte der Anwalt eines Nebenklägers.

Doch dann machte der Richter am Mittwoch einen Fehler. Ein Opferanwalt hatte prophezeit, im Fall des vom NSU 2004 in der Kölner Keupstraße verübten Nagelbombenanschlags könnte sich die Zahl der Nebenkläger noch auf bis zu 70 erhöhen. Dem Strafsenat liegen derzeit sechs Anträge potenzieller Nebenkläger vor, zum NSU-Prozess zugelassen zu werden. Doch es sind bereits mehr als 80 Nebenkläger mit etwa 60 Anwälten beteiligt. Bei weiteren Aufnahmen wäre die Hauptverhandlung in diesem Saal nicht mehr möglich. Der NSU-Prozess würde kollabieren.

Obwohl am Mittwoch weniger als ein Dutzend Nebenkläger im Saal waren und nachmittags mehr als 30 Stühle frei blieben, regte Götzl an, den Komplex Keupstraße vom NSU-Prozess abzutrennen. Härter hätte er die anwesenden Nebenkläger nicht treffen können.

„Wenn das Gericht das jetzt ohne Not macht, ist das ein Zeichen gegen die Nebenkläger“, rief ein Anwalt. „Das Gericht muss sich entscheiden, ob es einen Prozess gegen die Opfer führen will.“ Hintergrund der Aufregung: Die Opfer des Bombenanschlags befürchten, das Verfahren Keupstraße werde nach einer Abtrennung eingestellt. Sollte Beate Zschäpe im NSU-Prozess zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt werden, könnte nach der Strafprozessordnung eine weitere Strafe im Fall Keupstraße unnötig und die Hauptverhandlung überflüssig werden. „Dann würden die Opfer nie erfahren, wer für ihre Verletzungen verantwortlich ist“, sagte eine Anwältin, „das kann man hier doch nicht einfach am dritten Verhandlungstag über den Tisch schieben!“

Am Donnerstag verkündete der Richter, der Senat denke derzeit nicht weiter über eine Abtrennung nach. Die Nebenkläger atmeten auf. Das war kurz nach der Mittagspause. Eine halbe Stunde später unterbrach Götzl die Verhandlung wegen der bayerischen Pfingstferien bis zum 4. Juni. Und gönnte sich den einen kurzen Lacher gegen den Stress, einen Jahrhundertprozess führen zu müssen.

Dieser Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.

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