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Mehr Raum für die Presse? Wie das neue Verfahren zur Vergabe der Medienplätze beim NSU-Prozess aussehen oder ob ein größerer Saal zur Verfügung gestellt werden soll, konnte die Sprecherin des Oberlandesgerichts in München nach der Verschiebung des Auftakts am Montag auch noch nicht sagen.

© Reuters

Update

NSU-Prozess verschoben: Kritik und Zustimmung nach Entscheidung des Gerichts

Aufschub für Beate Zschäpe: Die Entscheidung des Münchener Oberlandesgerichts, den NSU-Prozess auf Mai zu verlegen, um die Medienplätze neu zu vergeben, wird sowohl zustimmend als auch kritisch kommentiert.

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Der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht sollte ursprünglich diesen Mittwoch beginnen, jetzt soll der Auftakt zum Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte am 6. Mai erfolgen, wie das Oberlandesgericht am Montag in München mitteilte. In einer Erklärung des OLG München heißt es: "Im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.04.2013 wird die Durchführung eines neuen Akkreditierungsverfahrens notwendig und dies ist bis zum geplanten Hauptverhandlungsbeginn am 17.04.2013 zeitlich und organisatorisch nicht mehr möglich." Deshalb würden alle bis zum 6. Mai geplanten Verhandlungstermine abgesetzt. Alle Anwälte wurden mit einem gleich lautenden Schreiben über die Verschiebung unterrichtet und gebeten, ihre Mandanten zu verständigen.

Auf einer Pressekonferenz in München hieß es am Nachmittag, dass die neuen Kriterien für die Platzvergabe noch nicht bekannt seien, aber möglichst bald bekannt gegeben würden. Die Entscheidung über die Verschiebung habe der Vorsitzende Richter persönlich getroffen, sagte die Pressesprecherin des Oberlandesgerichts. Ob nun ein anderer, größerer Gerichtssaal mit mehr Medienplätzen in Frage komme, konnte die Sprecherin nicht sagen.

Die Karlsruher Richter hatten nach der Klage der türkischen Zeitung "Sabah" entschieden, dass beim Prozess Vertreter ausländischer Medien eine angemessene Zahl von Sitzplätzen erhalten müssen. Damit bekommen nun auch türkische Journalisten Zugang. Sie waren bei der Platzvergabe zunächst leer ausgegangen, obwohl acht NSU-Opfer aus der Türkei stammen. Die Entscheidung aus Karlsruhe stieß bei Politikern und Medienvertretern auf Erleichterung.

Die Sitzplatzvergabe an Journalisten stand seit Wochen in der Kritik, weil alle türkischen und fast alle internationalen Medien keinen festen Sitzplatz in dem Prozess bekommen haben. Vor allem aus der Türkei kamen harsche Kritik sowie Zweifel an der Glaubwürdigkeit der deutschen Justiz.

Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags begrüßten die Verschiebung des Prozessauftaktes. Der Vorsitzende des Ausschusses Sebastian Edathy (SPD) wollte sich zwar aus Respekt vor dem Gericht nicht konkret äußern, sagte aber, dass er die Entscheidung des Gerichts mit "Interesse zur Kenntnis" genommen habe. Der Obmann der CDU, Clemens Binninger, sagte, dass die Verschiebung ein wichtiger Schritt sei. "Aber die Begrenztheit der Plätze bleibt und das öffentliche Interesse ebenfalls und ich hoffe, das Gericht findet nun ein angemessenes Verfahren." Er regte an, ähnlich wie bei Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht wenigstens eine Tonübertragung in einen anderen Raum zu ermöglichen. Auch SPD-Obfrau Eva Högl verlangte ein "sensibleres Vorgehen" des Gerichts.

Wolfgang Wieland, Obmann der Grünen, warnt, dass es trotz des neuen Akkreditierungsverfahrens auch diesmal wieder "enttäuschte Gesichter" geben werde, weil die Zahl der Plätze weiter begrenzt bleibe. Er forderte, eine Videoübertragung zu ermöglichen. Petra Pau, Obfrau der Linken, begrüßte die Prozessaufschiebung ebenfalls und sagte: "Das wäre alles nicht nötig gewesen, wenn das Gericht von Beginn an sensibler agiert hätte." Die FDP fordert nun ein für alle nachvollziehbares verfahren. "Das Bundesverfassungsgericht hat einen Schaden der deutschen Justiz ausgewetzt und jetzt muss das Gericht ein Verfahren durchführen, das größtmögliche internationale Transparenz ermöglicht", sagte FDP-Obmann Hartfrid Wolff.

NSU-Prozess verschoben: Reaktionen von Juristen, Journalisten, Funktionären, Politikern

Die Nebenklage-Anwälte Stephan Lucas und Jens Rabe bezeichneten die Verschiebung dagegen als „mehr als ärgerlich“. Sie sei „Ergebnis der seit Wochen starren Haltung des Gerichts, das sich jeder Kritik sperrte und konstruktiven Lösungsvorschlägen verweigerte“, heißt es in einer Erklärung der Anwälte von Angehörigen des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek. „Es bleibt zu hoffen, dass es dem Gericht fortan gelingt, das Verfahren so zu moderieren und zu organisieren, dass es den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Das war bislang nicht einmal im Ansatz der Fall.“

Die Verteidigung der Hauptangeklagten Zschäpe bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als folgerichtig. „Nachdem unter anderem wegen technischer Fehler einige Medien später von der Akkreditierungsfrist erfahren hatten, stand das gesamte Verfahren infrage“, sagte Anwalt Wolfgang Stahl der Nachrichtenagentur dpa. „Hätte das Gericht anders entschieden, hätten wir in der Hauptverhandlung beantragt, das Verfahren auszusetzen und ein neues Akkreditierungsverfahren durchzuführen.“ Die Verschiebung bedeute allerdings auch „eine Verzögerung zu Lasten unserer Mandantin“.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) begrüßte die Entscheidung des Oberlandesgerichts, ein neues Akkreditierungsverfahren zum NSU-Prozess durchzuführen. „Das ist die richtige Konsequenz aus der viel diskutierten Pannenserie der letzten Wochen“, sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. „Es liegt jetzt am Gericht, Journalistinnen und Journalisten in- und ausländischer Medien die Berichterstattung über einen der wichtigsten Prozesse in Deutschland zu ermöglichen.“

Bei dem neuen Akkreditierungsverfahren solle das Oberlandesgericht laut DJV unter anderem darauf achten, dass die Zahl der Presseplätze der Bedeutung des Verfahrens gerecht werde. Auch müssten ausländische Medien, insbesondere aus den Herkunftsländern der NSU-Mordopfer, angemessen vertreten sein. „Ziel muss sein, dass das Gerichtsverfahren im Mittelpunkt steht und nicht dessen Modalitäten vor Prozessbeginn.“

Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi äußerte sich zustimmend und bezeichnete die Entscheidung als „überfällig“. Damit könne das Gericht dem NSU-Prozess nun endlich den angemessenen Stellenwert in nationalen wie internationalen Medien einräumen: „Es muss jetzt darum gehen, ausreichend Pressearbeitsplätze, mehr Chancengleichheit beim Zugang der Presse zum Prozess und vernünftige Arbeitsbedingungen währenddessen zu schaffen“, forderte dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß.

Es sei – vor allem für die Opfer - bedauerlich, dass das Gericht die fatalen politischen Auswirkungen des ersten Akkreditierungsverfahrens nicht eher eingesehen und entsprechende Korrekturen veranlasst hätte. Darunter leide jetzt das ganze Verfahren. Dennoch sei diese Entscheidung zwingend notwendig gewesen. „Hoffentlich werden nun die Weichen richtig gestellt“, sagte Haß.

Für die Zeitung "Sabah" ist die Entscheidung des Münchner Oberlandesgerichts zur Verschiebung des NSU-Prozesses aber nur die zweitbeste Lösung. „Meine Mandantin bedauert natürlich, dass der Prozess verschoben wird“, erklärte der Anwalt der Zeitung, Ralf Höcker, am Montag. „Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wäre es nicht unbedingt notwendig gewesen, das Akkreditierungsverfahren zu wiederholen. Aus unserer Sicht ist das nur die zweitbeste Lösung.“

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, kritisierte das Oberlandesgericht München wegen der Verschiebung des NSU-Prozesses scharf. „Wäre das Gericht anfänglich nicht so stur geblieben, hätten wir uns die Verzögerung sparen können. Mir tun jetzt die Hinterbliebenen der Terroropfer leid, für die ist es eine zusätzliche Tortur“, sagte Mazyek der „Rheinischen Post“. „Ich hoffe, das Gericht wird aus seinen Fehlern lernen. Es ist eben kein Strafprozess wie jeder andere.“

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, äußerte Verständnis für die Prozessverschiebung. „Ich kann die Entscheidung nachvollziehen“, sagte Kolat der Zeitung „Die Welt“. „Es muss alles dafür getan werden, damit das Urteil am Ende nicht angreifbar ist.“ Das Gericht habe bei der Platzvergabe „viele Fehler gemacht, die nun zu diesem Schritt geführt haben“. Kolat forderte die von der Bundesregierung berufene Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, auf, sich nun um die finanziellen Sorgen der Hinterbliebenen zu kümmern. „Für die Hinterbliebenen ist die Verschiebung unglaublich.“ Nun müsse überlegt werden, wie die finanziellen Schäden durch die Anreise oder Hotelbuchungen möglichst gering gehalten werden können.

Nach Ansicht der Grünen kann die Verschiebung des Verfahrens Zweifel am deutschen Rechtsstaat zerstreuen, beispielsweise in der Türkei. „Wenn die Verschiebung dazu beiträgt, dass es noch Vertrauen in den Rechtsstaat gibt, ist es positiv“, sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt am Montag in Berlin. Sie mahnte allerdings, es dürfe nun nicht nur darüber diskutiert werden, wer teilnehme. „Dieser Prozess muss sachlich geführt werden.“ (mit dpa)

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