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Hatte die Terrorzelle NSU auch Ziele in Berlin im Visier? Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe könnte darüber vielleicht etwas wissen.

© Christoff Stache/AFP

Update

Jüdischer Friedhof Heerstraße: NSU könnte für Anschläge in Berlin verantwortlich sein

Der jüdische Friedhof Heerstraße stand auf einer Adressliste der Terrorzelle NSU. Der frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde fordert Beate Zschäpe danach zu befragen.

Von Frank Jansen

Die Anschläge auf den jüdischen Friedhof an der Heerstraße in Charlottenburg sind lange her, doch Andreas Nachama klingt noch heute erschüttert. „Mich hat maßlos deprimiert, dass es Menschen gibt, die nicht einmal die Totenruhe respektieren können“, sagt der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

1998 explodierten an der Grabstätte von Heinz Galinski, dem ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden, zwei Sprengsätze. Vor allem der zweite richtete großen Schaden an, die massive Grabplatte zerbrach in mehrere Teile. 2002 folgte der nächste Angriff. Eine unbekannte Person warf eine Rohrbombe in den Eingangsbereich, die Fenster der Trauerhalle zersplitterten.

Die Anschläge beschäftigen Nachama auch jetzt noch, weil nie ein Täter ermittelt wurde. Außerdem verstärkt sich nun ein Verdacht, der erstmals 2011 aufkam: Für die Angriffe auf den Friedhof könnte die Terrorzelle NSU verantwortlich sein. In einem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 25. April 2012 heißt es, „die Anschrift der jüdischen Gemeinde Berlin“ in der Heerstraße sei in der Adressliste „aus dem Wohnobjekt Zwickau verzeichnet“.

Liste mit Adressen gefunden

Gemeint ist die Unterkunft in der Zwickauer Frühlingsstraße, die Beate Zschäpe am 4. November 2011 anzündete, nachdem ihre Mitbewohner, die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, sich in Eisenach getötet hatten. Im Brandschutt des teilweise eingestürzten Hauses fand die Polizei die Liste mit den Adressen. Eine ist die des jüdische Friedhofs in Charlottenburg. Dieses Indiz könnte den NSU mit den Sprengstoffanschlägen in Verbindung bringen.

Die Annahme, die Terrorzelle habe auch in Berlin gebombt, scheint aus zwei weiteren Gründen nicht abwegig zu sein. Erstens: Zumindest Zschäpe und Mundlos waren offenbar in Berlin aktiv. Im Mai 2000 hat ein Berliner Polizist, der zur Bewachung der Synagoge in der Rykestraße eingesetzt war, mutmaßlich Zschäpe und Mundlos in der Nähe des Gotteshauses beobachtet. Wie berichtet, erkannte der Beamte noch am selben Tag die untergetauchten Rechtsextremisten wieder, als über sie am Abend in der MDR-Sendung „Kripo live“ berichtet wurde. Der Polizist identifizierte am nächsten Tag Zschäpe und Mundlos, als ihm das Berliner Landeskriminalamt Fotos vorlegte.

Zweitens: Auch wenn in der Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Komplizen Berlin als Tatort nicht auftaucht, heißt das nicht, dass der NSU hier keine Straftaten verübt hat. Schon im Frühjahr 2013, kurz nach Beginn des Prozesses am Oberlandesgericht München, berichtete der Angeklagte Carsten S. von einem Anschlag des NSU in Nürnberg, den die Behörden bis dahin keinem Täter zuordnen konnten. Mundlos und Böhnhardt hatten im Juni 1999 in einem türkischen Lokal eine mit Sprengstoff präparierte Taschenlampe abgestellt. Als ein Angestellter sie anknipsen wollte, kam es zur Explosion. Das Opfer erlitt mehrere Verletzungen.

"Sehr dringlich, da Licht reinzubringen“

Für Andreas Nachama gibt es Gründe genug, die Richter im NSU-Prozess aufzufordern, Zschäpe zu möglichen Aktivitäten des NSU in Berlin zu befragen. Für ihn ist es „sehr dringlich, da Licht reinzubringen“. Auch wenn bekannt ist, dass Zschäpes Äußerungen im Prozess nur bedingt glaubwürdig erscheinen, hält es Nachama für unverzichtbar, wenigstens eine Befragung der Angeklagten zum Thema Berlin zu versuchen. Dafür kommen nur die Richter, genauer: der Vorsitzende Manfred Götzl in Betracht. Zschäpe weigert sich, Fragen der Bundesanwaltschaft und der Nebenkläger zu beantworten. Zu Fragen, die Götzl vorträgt, gibt sie über ihre Verteidiger Auskunft.

Dass Götzl nun den Appell Nachamas erhört und Zschäpe zu Berlin befragt, ist allerdings unwahrscheinlich. Erst müsste eine Prozesspartei das Thema vorbringen. Dazu wären offenbar Opferanwälte bereit. In ihren Reihen wird Nachamas Appell begrüßt.

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