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Otto Schily wagte eine rasche Prognose. Am 10. Juni 2004, einen Tag nach der Explosion einer Nagelbombe vor einem türkischen Friseursalon in Köln, verkündete der damalige Bundesinnenminister, der Anschlag habe vermutlich keinen terroristischen Hintergrund. Heute bekennt sich der Ex-Bundesinnenminister zur politischer Verantwortung für das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall der Terrorgruppe.

© dpa

NSU-Terror: Schily gibt schweren Irrtum zu

Schon einen Tag nach dem Bombenanschlag der rechtsextremen Terrorgruppe NSU in Köln im Juni 2004 sagte der damalige Bundesinnenminister, die Tat habe keinen terroristischen Hintergrund. Diese Fehleinschätzung hatte möglicherweise gravierende Folgen.

Von Frank Jansen

Er war ein harter Bundesinnenminister und galt als schwer zugänglich, manchmal auch selbstgerecht. Doch jetzt, sechseinhalb Jahre nach dem Abschied vom Amt, sieht Otto Schily sein früheres Wirken zumindest punktuell selbstkritisch. Auch mit Blick auf das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“. Der Sozialdemokrat, der von 1998 bis 2005 Bundesinnenminister war, gibt sich heute schuldbewusst.

„Dafür, dass wir der NSU-Terrorgruppe nicht früher auf die Spur gekommen sind, tragen ich und die Länderinnenminister die politische Verantwortung“, sagte Schily am Donnerstag dem Tagesspiegel. Er gab zu, dass es ein Fehler war, am Tag nach dem Bombenanschlag des NSU im Juni 2004 in Köln geäußert zu haben, ersten Ermittlungen zufolge gebe es keinen terroristischen Hintergrund. „Inzwischen wissen wir, dass das ein schwerwiegender Irrtum war“, sagte Schily. Mit „wir“ ist auch sein damaliger Amtskollege in Nordrhein-Westfalen gemeint, Fritz Behrens (SPD). Er hatte mit Schily die falsche Einschätzung in einer gemeinsamen Erklärung verkündet. Bei dem Anschlag mit einer Nagelbombe vor einem türkischen Friseursalon waren 22 Menschen verletzt worden.

Frank Jansen zur rechtsextremistischen Gefahr in Deutschland:

Behrens hingegen, der auch von 1998 bis 2005 Innenminister war, hatte am Mittwoch auf eine Anfrage des Tagesspiegels eher diffus geantwortet. Er habe an die damaligen Ereignisse „heute nur noch vage Erinnerungen“, sagte Behrens. Er sei sich „ganz sicher“, einen terroristischen Hintergrund „nicht ausgeschlossen zu haben – das wäre völlig gegen meine sonstigen Formulierungsgewohnheiten“. Vermutlich werde er gesagt haben, „dass es nach dem bisherigen Ermittlungsstand keinen Hinweis auf einen terroristischen Hintergrund gebe“. Das entspricht dann auch der Erinnerung von Otto Schily. Doch im Unterschied zu ihm ließ Behrens die Frage, ob er seine Äußerung vom Juni 2004 als Irrtum ansehe, unbeantwortet.

Sehen Sie die Bilder zu den Ermittlungen gegen die Terrorgruppe:

Möglicherweise hatte die Fehlprognose der Minister gravierende Folgen. Polizei und Staatsanwaltschaft in Köln könnten bestärkt worden sein, sich bei den Ermittlungen eher den Milieus der Ausländerkriminalität zu widmen. Die regionale rechtsextreme Szene wurde zwar auch mithilfe des Verfassungsschutzes durchleuchtet, aber dort fand man nichts. Da aus Sicht der Strafverfolger kein politisches Motiv zu erkennen war, wurde die für Terrorverfahren zuständige Bundesanwaltschaft, die einen Prüfvorgang eingeleitet hatte, nicht eingeschaltet. Dennoch waren die Kölner Ermittler, ohne es zu ahnen, der Wahrheit ziemlich nahe.

Experten trafen sich mit den bayerischen Kollegen der „Besonderen Aufbauorganisation Bosporus“, die mit Morden an türkischstämmigen Kleinunternehmern in Nürnberg, Hamburg, München und Rostock befasst war. Die Kölner wollten prüfen, ob es Verbindungen zum Bombenanschlag gab. Die richtige Idee – doch dass eine braune Terrorzelle für alle Taten verantwortlich war, blieb den Fahndern aus Köln und Bayern verborgen.

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