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Diese Akten hinter einem verschlossenen Drahtgestell waren für den ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages bestimmt. Nun könnten sie wieder gebraucht werden.

© dpa

NSU und Verfassungsschutz: Bundestag will Rolle der V-Leute doch noch aufklären

Alle Fraktionen im Bundestag werden nach Tagesspiegel-Informationen am kommenden Dienstag empfehlen, einen zweiten Untersuchungsausschuss zum NSU einrichten.

Von Frank Jansen

Der Bundestag wird wahrscheinlich im November einen zweiten Untersuchungsausschuss zur Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ installieren. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Grünen wollen nach Informationen des Tagesspiegels gleichzeitig am kommenden Dienstag entscheiden, ob sie für die Einsetzung des Ausschusses sind. Ein positives Votum gilt als wahrscheinlich und wäre ein Signal, dass die Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg in dem kommenden Gremium wie einst im alten kooperieren werden.

Der Ausschuss sei schon vor dem Hintergrund der vielen Brandanschläge auf Unterkünfte für Flüchtlinge notwendig, sagte der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, der als Obmann der Unionsfraktion vorgesehen ist. „Wir müssen aus der NSU-Geschichte Lehren ziehen“, betonte Schuster, „beispielsweise für die Frage, ob es angesichts der aktuellen Lage wieder terroristische Vernetzungen der rechtsextremen Szene gibt“.

In der ersten oder zweiten Novemberwoche soll sich der Bundestag mit dem Thema befassen. Offen ist noch, ob das Parlament den Ausschuss bereits am 4. November einsetzt. Das wäre ein symbolisches Datum. Am 4. November 2011 flog die rechtsextreme Terrorzelle auf. Die zehn Morde und weiteren Verbrechen, die dann bekannt wurden, schockten die Bundesrepublik.

In der vergangenen Legislaturperiode hatte der Bundestag bereits einen NSU-Untersuchungsausschuss gebildet. Er befasste sich vor allem mit den gravierenden Versäumnissen der Sicherheitsbehörden. Polizei, Staatsanwaltschaften und Nachrichtendiensten war es nicht gelungen, die 1998 aus Jena verschwundenen Rechtsextremisten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ausfindig zu machen.

Hätte Terrorzelle früher gestoppt werden können?

Fast 14 Jahre verbrachten die drei unter falschen Namen in Chemnitz und Zwickau. Mundlos und Böhnhardt erschossen quer durch die Bundesrepublik neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft, verübten mutmaßlich zwei Sprengstoffanschläge in Köln und einen in Nürnberg. Außerdem überfielen sie 14 Bankinstitute sowie einen Supermarkt und erbeuteten mehr als 600.000 Euro.

Der neue Untersuchungsausschuss werde sich intensiv mit dem Thema V-Leute befassen, sagte Schuster. Auch in anderen Fraktionen war zu hören, es müsse geklärt werden, ob Spitzel von Verfassungsschutz und Polizei nicht doch soviel über den NSU wussten, dass die Terrorzelle frühzeitig hätte gestoppt werden können. Der Ausschuss werde dazu auch einstige V-Leute befragen, kündigte der CDU-Politiker an.

Auf der Agenda des Gremiums wird wahrscheinlich auch der Fall des hessischen Verfassungsschützers Andreas T. stehen. Der Beamte hielt sich mutmaßlich in dem Internetcafé in Kassel auf, als Mundlos und Böhnhardt am 6.April 2006 den Betreiber Halit Yozgat erschossen. Andreas T. bestreitet bis heute, von dem Mord etwas mitbekommen zu haben.

Mit dem Anschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewetter werde sich der Ausschuss ebenfalls beschäftigen, sagte Schuster. Mundlos und Böhnhardt hatten die Beamtin am 25. April 2007 in Heilbronn getötet. Ein Kollege Kiesewetters überlebte einen Schuss in den Kopf. Es gibt Zweifel an der Version der Bundesanwaltschaft, Mundlos und Böhnhardt hätten alleine gehandelt und Kiesewetter, die auch aus Thüringen stammte, nicht gekannt.

Laut Schuster soll der Ausschuss zudem die Ermittlungen zum dramatischen Ende des NSU prüfen. Mundlos und Böhnhardt hatten sich am 4. November 2011 in Eisenach nach einem Banküberfall erschossen. Die Leichen fand die Polizei in einem ausgebrannten Wohnmobil.

Neuer Ausschuss hat nur eineinhalb Jahre Zeit

Der neue Ausschuss wird allerdings nur etwa eineinhalb Jahre Zeit zur Verfügung haben. Die nächste Bundestagswahl ist für den Herbst 2017 vorgesehen. Die erste Sitzung des Ausschusses sei noch für Dezember zu erwarten, sagte Schuster. Die eigentliche Beweisaufnahme beginne im Januar 2016.

Auf die Frage, warum die Fraktionen nicht nach der  Bundestagswahl 2013 dem ersten Untersuchungsausschuss nahtlos einen zweiten folgen ließen, verwies der CDU-Abgeordnete auf den NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. „Wir wollten dem Verfahren dort nicht zu früh in die Quere kommen“, sagte Schuster. Die Hauptverhandlung hatte im Mai 2013 begonnen. Der Prozess steuert inzwischen auf die Endphase zu.

Den Vorsitz im zweiten Untersuchungsausschuss wird vermutlich der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger einnehmen. Der NSU-Komplex ist ihm schon lange vertraut. Im ersten Ausschuss war Binninger Obmann der Unionsfraktion.

Mehrere Landtage haben sich ebenfalls mit der Terrorzelle und den Fehlern der Sicherheitsbehörden auseinandergesetzt. Die Parlamente in Thüringen, Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen bildeten Untersuchungsausschüsse. Dennoch bleiben viele Fragen offen. Das gilt auch für den Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte am Oberlandesgericht München. Ein Beispiel: die Herkunft eines Teils der Waffen der Terrorzelle ist bis heute ungeklärt.

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