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Politik: Nun beginnt die Normalisierung - Julius Schoeps über einen zukünftigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden

Mit großer Bestürzung ist der Tod von Ignatz Bubis bundesweit zur Kenntnis genommen worden. In den Nachrufen, die ihn als "Versöhner", "Mahner" und "moralisches Gewissen Deutschlands" würdigten, wurde auf seine Verdienste als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland hingewiesen, aber gleichzeitig auch an sein "stern"-Interview Ende Juli erinnert, in dem er zutiefst pessimistisch bekannt hatte: "Ich habe fast nichts bewegt".

Mit großer Bestürzung ist der Tod von Ignatz Bubis bundesweit zur Kenntnis genommen worden. In den Nachrufen, die ihn als "Versöhner", "Mahner" und "moralisches Gewissen Deutschlands" würdigten, wurde auf seine Verdienste als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland hingewiesen, aber gleichzeitig auch an sein "stern"-Interview Ende Juli erinnert, in dem er zutiefst pessimistisch bekannt hatte: "Ich habe fast nichts bewegt".

Den wenigsten fällt auf, dass Ignatz Bubis die Rolle der moralischen Instanz nicht für sich beansprucht hat, sondern dass ihm diese Rolle geradezu aufgedrängt worden ist.

Er selbst wird sich wohl häufig gefragt haben, - etwa wenn er rechtsradikale Exzesse geißelte, sich mit eigenbrödlerischen Schriftstellern vom Schlage eines Martin Walser herumstritt und sich vehement für die Errichtung des "Denkmals für die ermordeten europäischen Juden" in Berlin stark machte - warum es eigentlich er ist, der sich für etwas einsetzt, wofür zu kämpfen doch die Aufgabe der deutschen Nichtjuden sein sollte.

Nach Heinz Galinski ist mit Ignatz Bubis einer der letzten Vertreter des Judentums in Deutschland gestorben, der noch am eigenen Leib den NS-Terror erlebt und durchlebt hat. Bubis, den im Alter die Erinnerungen an die NS-Zeit mehr und mehr einholten, hat sich zwar zu dem neuen Deutschland (Lebensmotto: "Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens") bekannt, gleichzeitig aber sein tief empfundenes Misstrauen gegen dieses Deutschland durch die Verfügung kundgetan, dass er nach seinem Tode nicht in Deutschland, sondern in Israel bestattet werden wolle.

Dieser letzte Wille ist erfüllt worden. Kommentieren muss man diese Verfügung nicht. Wie wird es jetzt weitergehen? Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird sich nach angemessener Trauerzeit daran machen, aus einer Reihe von potentiellen Kandidaten und Kandidatinnen einen geeigneten Nachfolger zu küren. Dieser wird aller Voraussicht nach ein Nachgeborener sein, also jemand, der die NS-Zeit nur noch vom Hörensagen kennt. Und es wird bei dieser Kür nicht anders gehen als bei der Bildung der Bundesregierung im letzten Jahr. Damals trat, vergleichbar mit der Entwicklung im Zentralrat, mit dem Schröder-Fischer-Kabinett eine Generation von nach 1945 Geborenen an, die schon wegen ihres Alters keine unmittelbaren Beziehungen mehr zur NS-Zeit haben und damit auch nur eine bedingte Verantwortung für die begangenen Verbrechen haben können. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand. Die Bedingungen werden sich mehr und mehr ändern. Eine Phase der "Normalisierung" wird einsetzen, die vom künftigen Vorsitzenden des Zentralrats verlangt, seine Funktion anders als seine Vorgänger zu definieren. Die Erinnerung an Auschwitz wird zwar nach wie vor bestimmend sein, aber mit dem schlechten Gewissen der Umgebungsgesellschaft wird ein Vorsitzender des Zentralrats nicht mehr oder zunehmend weniger rechnen können.

Der neue Vorsitzende wird nicht mehr wie Heinz Galinski oder Ignatz Bubis die Rolle des "Praeceptor Germaniae" wahrnehmen, sondern sich nur noch auf das Amt des Sprechers der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland beschränken können - und damit auf die Aufgabe, deren Anliegen vor der nichtjüdischen Öffentlichkeit zu vertreten.

Was ist sonst vom neuen Vorsitzenden zu erwarten? Was wird er leisten können, was nicht? Zunächst einmal sollte es nicht mehr in Frage kommen, dass ein Vorsitzender aktiver Funktionär in einer politischen Partei ist. Ignatz Bubis hatte damit keine Probleme. Er war Vorsitzender des Zentralrats und gleichzeitig Frankfurter Stadtrat der FDP und im Bundesvorstand dieser Partei.

Die Mitglieder des Zentralrats haben daran keinen Anstoß genommen, weil sie anscheinend nicht darüber informiert waren, dass es einen Inkompatibilitätsgrundsatz gibt, der es nicht zulässt, gleichzeitig Interessenvertreter einer Partei und Vorsitzender eines Gremiums zu sein, das nicht nur die Anliegen von Kultusgemeinden, sondern auch von Menschen unterschiedlichster Überzeugungen zu vertreten hat.

Von dem künftigen Vorsitzenden ist zu fordern, dass er zum einen seine eventuelle Parteimitgliedschaft ruhen lässt und zum anderen auf bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten verzichtet, die mit seiner Zentralratstätigkeit nicht zu vereinbaren sind. Der neue Vorsitzende wird außerdem jemand sein müssen, der bereit ist, sich für die Anliegen der Juden in Deutschland voll und ganz einzusetzen, was bedeutet, dass er sich zu den deutsch-jüdischen Traditionen bekennt und ein jüdisches Leben im Deutschland von heute akzeptiert und nicht in Distanz zu diesem steht. Der Autor ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam sowie Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.Der Autor ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam sowie Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

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